»Brin«, flüsterte er schwach. »Dieses Schwert... diese Macht...«
Er konnte nicht weiter sprechen. Allanons sehnige Hand, schloß sich freundlich um seine Schulter.
»Hab’ keine Angst, Prinz von Leah.« Die Stimme des Druiden klang erschöpft, aber beruhigend. »Die Macht untersteht tatsächlich dir. Du hast bewiesen, daß du sie beherrschst. Du bist wirklich der Beschützer des Talmädchens — und bist zumindest diesmal auch der meine gewesen.«
Die Hand verweilte dort noch einen Augenblick, dann ging der große Mann den Weg zurück, den .sie gekommen waren.
»Es war nur der eine«, rief er zu ihnen zurück. »Wären noch andere da, hätten wir sie inzwischen zu Gesicht bekommen. Kommt. Unsere Aufgabe hier ist erfüllt.«
»Allanon...« begann Brin hinter ihm herzurufen.
»Komm, Talmädchen. Die Zeit zerrinnt uns zwischen den Fingern. Paranor braucht alle Hilfe, die wir ihm bieten können. Wir müssen sofort dorthin.«
Ohne einen Blick zurück machte er sich an den Aufstieg aus dem Tal. Brin und Rone Leah folgten in stiller Schicksalsergebenheit.
10
Der halbe Vormittag war schon um, ehe Jair und seine Begleiter endlich die Schwarzen Eichen hinter sich lassen konnten. Vor ihnen dehnte sich die Landschaft — Hügelland nach Norden hin, Tiefland nach Süden. Sie ließen sich wenig Zeit, das eine oder andere zu bewundern. Da sie zum Umfallen müde waren, suchten sie sich nur noch einen schützenden Bestand von breitblättrigem Ahorn, dessen Laub der Herbst in strahlendes Karmesinrot getaucht hatte. Sie schliefen innerhalb von Sekunden.
Jair hatte keine Ahnung, ob einer seiner Weggefährten daran dachte, Wache zu halten, während er schlief, doch Garet Jax rüttelte ihn schließlich wach, als die Dämmerung allmählich hereinbrach. Der Waffenmeister war besorgt, weil sie sich noch so nahe bei den Schwarzen Eichen und dem Nebelsumpf befanden und wollte für die kommende Nacht lieber eine sicherere Stelle suchen. Die Schlachtenwall-Tiefebene wies genug eigene Gefahren auf, so daß die kleine Gruppe den Weg nach Norden in die Hügel einschlug. Einigermaßen erholt durch ihren halbtägigen Schlaf marschierten sie fast bis Mitternacht weiter, ehe sie sich in einem Hain wilder Obstbäume, der zum Teil mit Sträuchern überwuchert war, bis zum Tagesanbruch zum Schlafen niederließen. Diesmal bestand Jair von Anfang an darauf, daß sie sich beim Wachehalten ablösten.
Am kommenden Tag zogen die drei weiter in nördlicher Richtung. Am Spätnachmittag erreichten sie den Silberfluß. Er wand sich klar und funkelnd im verblassenden Sonnenschein zwischen baumbestandenen Ufern und steinigen Untiefen seinen Weg westwärts. Mehrere Stunden lang folgten die drei Wanderer dem Fluß in östlicher Richtung auf den Anar zu, und als die Nacht hereinbrach, waren sie weit entfernt vom Sumpf und den Eichen. Sie waren auf ihrem Marsch keinen anderen Reisenden begegnet, und es waren keine Anzeichen für Gnomen oder Schwarze Wandler auszumachen gewesen. Es sah so aus, als wären sie zumindest für den Augenblick vor Verfolgung sicher.
Es war schon Nacht, ehe sie eine kleine Felsnische im Schutz von Ahorn- und Walnußbäumen auf einem Kamm über dem Fluß entdeckten und dort ihr Lager aufschlugen. Sie beschlossen, das Risiko einzugehen, ein Feuer zu machen, entfachten ein kleines, das keinen Rauch entwickelte, und nahmen eine warme Mahlzeit zu sich. Dann legten sie sich hin und schauten zu, wie die Kohlen zu Asche verbrannten. Die Nacht war klar und warm; über ihnen begannen Sterne zu leuchten und sammelten sich zu funkelnden Mustern vor dem schwarzen Hintergrund des Himmels. Rund um sie her sangen Nachtvögel und summten Insekten, und in der Ferne murmelten die schnellen Wasser des Flusses. Verdörrende Blätter und Gesträuch verströmten in der kühlen Dunkelheit einen süßen, modrigen Geruch.
»Ich gehe wohl mal etwas Holz sammeln«, verkündete Spinkser plötzlich, nachdem er eine Weile geschwiegen hatte. Er hievte sich schwerfällig in die Höhe.
»Ich werde dir helfen«, erbot sich Jair.
Der Gnom warf ihm einen erzürnten Blick zu. »Habe ich dich um Hilfe gebeten? Ich kann alleine Holz sammeln, Junge.«
Mit finsterem Blick stapfte er in die Dunkelheit.
Jair lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Das war typisch für die Art ihres Umgangs seit ihrem gemeinsamen Aufbruch — keiner redete viel, und was gesagt wurde, war nicht gerade sehr herzlich. Bei Garet Jax spielte das keine Rolle. Er war von Natur aus schweigsam, so daß seine Abneigung, etwas zur Unterhaltung beizutragen, nicht überraschte. Aber Spinkser war ein geschwätziger Bursche, und seine wenig mitteilsame Haltung war beunruhigend. Jair mochte Spinkser entschieden lieber, wie er sich vorher gezeigt hatte: keck, gesprächig, fast so etwas wie ein rauhbeiniger Onkel. Und so war er nun nicht mehr. Er schien sich in sich zurückgezogen zu haben und verschloß sich gegenüber dem Talbewohner- als wäre es fast widerwärtig geworden, mit Jair zu reisen.
Nun ja, in gewisser Hinsicht war es das wohl, nahm Jair an, als er die Sache überdachte. Schließlich hatte Spinkser zu Anfang nicht mitkommen wollen. Er hatte sich nur dazu aufgerafft, weil Jair ihn entsprechend beschämt hatte. Da war er, ein Gnom, unterwegs mit einem Zeitgenossen, der zuvor sein Gefangener gewesen war, und einem anderen, der ihm für keinen Deut traute, und das nur um dafür zu sorgen, daß sie unversehrt zu einem Volk gelangten, das mit dem seinen im Krieg stand. Und er hätte das nicht getan, wenn er nicht durch seine Parteinahme für Jair seine Loyalität in Zweifel gezogen hätte, so daß er nun kaum mehr als ein Ausgestoßener war.
Aber da war auch die Sache mit dem Sumpfhäusler. Spinkser war Jair in einem tollkühnen Akt zu Hilfe geeilt, was dem Talbewohner ein Rätsel war — ein Akt wie er ganz und gar nicht zum Charakter eines Burschen paßte, der so opportunistisch und egozentrisch war wie Spinkser — und man mußte bedenken, was daraus geworden war. Spinkser war es nicht gelungen, den Sumpfhäusler abzuwehren, vielmehr wurde er selbst zum Opfer und war auf Garet Jaxens Eingreifen zu seiner Rettung angewiesen. Das mußte an ihm nagen. Spinkser war Fährtensucher, und Fährtensucher waren ein stolzer Schlag. Fährtensucher zählten es zu ihren Aufgaben, die Leute, die sie anführten, zu beschützen und nicht umgekehrt.
Plötzlich stieben Funken aus dem kleinen Feuer und lenkten seine Aufmerksamkeit auf sich. Zwölf Meter weiter lag Garet Jax an einen alten Baumstamm gelehnt, rührte sich nun und schaute herüber. Jene eigenartigen Augen suchten die seinen, und Jair dachte unwillkürlich wieder über den Charakter des Waffenmeisters nach.
»Ich müßte Euch wohl nochmals danken«, begann er und zog die Knie an die Brust hoch, »daß Ihr mich vor dem Ding im Sumpf gerettet habt.«
Der andere Mann schaute zum Feuer zurück, Jair beobachtete ihn einen Moment und versuchte, zu einem Schluß zu kommen, ob er noch etwas sagen sollte.
»Darf ich Euch etwas fragen?« setzte er schließlich wieder an.
Der Waffenmeister zuckte gleichgültig mit den Schultern.
»Warum habt Ihr mich eigentlich gerettet — nicht nur vor dem Ungeheuer im Sumpf, sondern hinten in den Eichen, wo ich Gefangener der Gnomen war?« Die harten Augen fixierten ihn plötzlich wieder, und die Worte sprudelten aus ihm heraus, ehe er Zeit fand, sie besser zu erwägen. »Ich verstehe einfach nicht ganz, was Euch dazu veranlaßt hat. Schließlich kanntet Ihr mich nicht. Ihr hättet einfach Eurer Wege gehen können.«
Garet Jax zuckte wieder mit den Schultern. »Ich ging doch meiner Wege.«
»Wie meint Ihr das?«
»Mein Weg war zufällig der deine. So meine ich das.«
Jair zog leicht die Stirn kraus. »Aber Ihr wußtet doch gar nicht, wohin ich gebracht werden sollte.«