Sie tauchten wie Schatten in die Nacht.
13
Allanon, Brin und Rone Leah krochen durch den Wald. Verstohlen und schnell durchquerten sie ein Labyrinth von Bäumen, die wie die geschwärzten Pfähle einer Fallgrube himmelwärts ragten. Rings um sie her war die Nacht verstummt. Zwischen den vom herannahenden Herbst halb entlaubten Ästen hindurch wälzten sich tief und bedrohlich Stücke und Fetzen eines bewölkten Nachthimmels in Sicht. Die Fackelflammen hoch oben in den Türmen der Burg flackerten zornig mit blutrotem Schein.
Brin Ohmsford hatte Angst. Die Vorahnung hielt ihr Denken umklammert, und sie kämpfte ihr Flüstern mit lautloser Verzweiflung nieder. Ringsum tauchten blitzend Bäume, Baumstämme und Sträucher auf, als sie weitereilte. Entflieh! dachte sie. Entflieh diesem Ding, das dich da bedroht. Aber nein, nicht ehe wir fertig sind, nicht bevor... Ihr Atem kam in schnellen Stößen, und die Hitze ihrer Anstrengung wurde auf ihrer Haut rasch zu kaltem Schweiß. Sie fühlte sich leer und unglaublich einsam.
Dann standen sie an den großen Klippen, auf denen die Festung sich erhob. Allanons Hände zuckten über das Gestein vor ihm, er beugte den hohen Körper konzentriert herab. Er ging vielleicht ein halbdutzend Schritte nach rechts, und wieder packten seine Hände zu. Brin und Rone gingen mit ihm und sahen zu. Eine Sekunde später richtete er sich auf und zog die Hände zurück. Etwas im Gestein gab nach, und ein Teil der Wand schwang auf und legte ein finsteres Loch dahinter frei. Sogleich winkte Allanon sie hinein. Sie ertasteten sich den Weg nach vorn, und die Steinpforte schloß sich wieder hinter ihnen.
Einen Augenblick lang warteten sie im Dunkeln, ohne etwas sehen zu können, und lauschten auf die schwachen Geräusche, als der Druide dicht an ihnen vorüberging. Dann flackerte grelles Licht auf, und Flammen leckten an der pechbeschmierten Spitze einer Fackel hinauf. Allanon reichte Brin die Fackel, entzündete eine zweite für Rone und schließlich eine dritte für sich. Sie standen in einer kleinen, abgeschlossenen Kammer, von der aus sich eine einzige Treppe nach oben ins Gestein wand. Allanon warf einen raschen Blick hinauf und machte sich daran, die Stufen zu erklimmen.
Sie stiegen tief in den Berg, einen Schritt nach dem anderen, und aus Hunderten von Stufen wurden Tausende, je länger sich die Treppenflucht dahinzog. Tunnel kreuzten den Gang, dem sie folgten, und teilten ihren Weg, doch sie hielten sich weiter an die Treppe, und folgten der langen Windung hinauf in die Dunkelheit. Es war warm und trocken hier im Fels, irgendwo aus der Ferne dröhnte das Stampfen einer Heizungsanlage durch die Stille. Brin kämpfte die Panik nieder, die sie in sich aufsteigen fühlte. Der Berg vermittelte ein Gefühl, als wäre er ein lebendes Wesen. Es dauerte lange Minuten, bis die Treppe an einer großen, eisenbeschlagenen Tür endete, deren Angeln im Gestein des Berges verankert waren. Dort blieben sie stehen, und ihr Atem durchdrang heiser die Stille. Allanon beugte sich nahe zu der Tür, berührte kurz die Nägel der Eisenbeschläge, und sie schwang auf. Geräusche drangen auf sie ein — das Pumpen und Klopfen von Kolben und Hebeln —, die durch den kleinen Gang hallten wie das Brüllen eines gefangenen Riesen, der sich losriß. Hitze schlug ihnen trocken und beißend ins Gesicht, als sie alle kühle Luft absaugte. Allanon spähte einen Augenblick lang durch die offene Pforte und schlüpfte hindurch. Brin und Rone beschirmten ihre Gesichter und folgten ihm.
Sie befanden sich im Heizungskeller, dessen große, schwarze Grube tief zur Erde hin offenlag. Dort stampften die Heizungsmaschinen in stetem Rhythmus, um die natürlichen Erdfeuer zu schüren und ihre Hitze in die oberen Räume der Festung zu pumpen. Der Ofen war seit der Zeit der Dämonen-Lords nicht mehr in Betrieb gewesen und erst jetzt wieder von dem Feind, der oben wartete, angeworfen worden; das Gefühl fremden Eindringens war greifbar und bedrückend. Rasch führte Allanon sie über den schmalen Metallaufstieg rund um die Grube zu einer von einer Anzahl Türen, die von der Kammer abgingen. Eine Berührung des Metallbeschlags, und sie öffnete sich in die Finsternis. Sie streckten ihre Fackeln vor sich her und stolperten aus der gräßlichen Hitze, um die schmale Tür wieder hinter sich zuzudrücken.
Erneut dehnte sich ein Gang vor ihnen, und sie folgten ihm kurze Zeit zu einer Stelle, wo seitlich eine Treppenflucht abzweigte. Allanon ging darauf zu, und sie machten sich daran, auf ihr emporzusteigen. Die drei schlichen nun langsam und vorsichtig — denn man fühlte unbestreitbar, daß andere sich ganz in der Nähe aufhielten — hinauf durchs Dunkel, und lauschten...
Hinter ihnen, irgendwo unten, wurde krachend eine Tür zugeschlagen, und sie blieben wie versteinert auf der Treppe stehen. Es war nichts weiter zu vernehmen. Wachsam huschten sie weiter.
Am Ende der Treppe befand sich eine weitere Tür, an der sie stehenblieben und lauschten. Allanon faßte nach einem verborgenen Schloß, um die Pforte aufzuschieben, trat hindurch und ging weiter. Dahinter lag ein weiterer Gang mit einer weiteren Tür am Ende, dann noch ein Gang, eine Treppe, eine Tür und wieder ein Gang. Geheimgänge durchzogen die uralte Festung wie Honigwaben und führten hohl und schwarz durch die Mauern der Burg. Moder und Spinnengewebe erfüllten die Luft mit dem Geruch und Gefühl von Alter. Ratten huschten vor ihnen durch die Finsternis, als kleine Wachposten, die ihr Kommen weitermeldeten. Doch keiner hörte es im Schloß der Druiden.
Dann ertönten irgendwo aus den Sälen der Burg Stimmen bis zu der Stelle, wo die Eindringlinge sich verstohlen und versteckt niederkauerten. Die Stimmen waren tief und leise, ein gedämpftes Gemurmel, das anschwoll und verebbte, aber in jedem Falle viel zu nah. Brin war der Mund trocken geworden, und sie konnte nicht schlukken. Der Rauch von den Fackeln brannte ihr in den Augen, und sie spürte, wie die Masse des Gesteins rings umher sie niederdrückte. Sie fühlte sich wie in einer Falle. Und um sie herum, versteckt im unklaren Halblicht und Schatten, tanzte die Vorahnung.
Und endlich endete dieser neueste Tunnel. Plötzlich wich die Düsternis vor ihren Fackeln, und eine Steinmauer versperrte ihnen den Weg. Allanon zögerte nicht. Er trat sogleich an die Wand, lehnte sich einen Moment dicht an die Fläche, als lauschte er und drehte sich dann zu Brin und Rone Leah um. Er hob einen Finger an die Lippen und neigte ein wenig den Kopf. Brin atmete tief ein, um sich etwas zu beruhigen. Die Warnung des Druiden war eindeutig:
Sie würden nun gleich die Festung betreten.
Allanon wandte sich wieder zu der glatten Mauer um. Eine Berührung des Gesteins, schon schwenkte eine kleine Geheimtür lautlos zurück. Die drei traten hintereinander hindurch.
Sie standen in einem kleinen, fensterlosen Studierzimmer voller Staub und dem Geruch von Alter. Der Inhalt des Raumes lag wild verstreut durcheinander. Bücher waren aus den Regalen, die sich an den Wänden entlangzogen, geholt und auf den Boden geworfen worden, Einbände zerfetzt und Seiten herausgerissen. Gepolsterte Lehnstühle waren aufgeschlitzt, ein Lesetisch und ein hochlehniger Sessel umgekippt worden. Jede Bohle des Parkettbodens war aus ihrem Gefüge herausgebrochen.
Allanon betrachtete das Werk der Zerstörung im rauchigen Schein der Fackeln, und Zorn zeichnete sein dunkles Gesicht. Dann trat er wortlos an die gegenüberliegende Wand, griff in die leeren Regale und berührte etwas, das er dort fand. Lautlos schwenkte das Regal zur Seite und ließ dahinter ein verdunkeltes Gewölbe sichtbar werden. Der Druide gab ihnen Zeichen, draußen zu warten, trat durch den Eingang, schob seine Fackel in einen eisernen Halter und wandte sich nach rechts. Die Wand bestand aus lauter glatten und dicht gegen Luft und Staub abschließenden Granitblöcken. Der Druide begann, leicht mit dem Finger über das Gestein zu streichen.
Brin und Rone standen noch in dem Studierzimmer und beobachteten den Druiden einen Augenblick bei der Arbeit, drehten sich dann aber plötzlich zur Seite. Ein schmaler Lichtsaum umriß eine Tür in der Finsternis des Raumes, eine Tür, die von dem Arbeitszimmer in die Hallen der Festung führte. Von irgendwo jenseits davon erklangen Stimmen.