Aber sie waren am Leben! Brin fühlte, wie große Entschlossenheit sie durchströmte und den düsteren Ton des Druiden beiseite schob. Die Vorahnung war falsch gewesen und sie lebten — alle drei!
»So geht es zu Ende«, wiederholte Allanon leise.
Dann suchten seine Augen die des Mädchens aus dem Tal, und es war, als teilten sie ein unausgesprochenes Geheimnis, das keiner von beiden in seiner Gänze erkannte. Dann lenkte Allanon langsam sein Pferd zur Seite. Gefolgt von Brin und Rone ritt er ostwärts auf die Wälder des Anar zu.
14
Am späten Nachmittag erreichte Jair Ohmsford mit seinen Weggefährten die Zwergen-Gemeinde von Culhaven. Nach der Meinung des Talbewohners konnte es nur gut sein, daß dieser Tag zu Ende war. Bleierne Himmel und eisiger Wind waren ihnen ostwärts durch das Land vom Silberfluß gefolgt, und selbst die Herbstfarben der großen Ostland-Wälder hatten einen grauen, winterlichen Hauch an sich. Gänse zogen am bedrohlichen Herbsthimmel südwärts über das Land, und die Strömung des Flusses, dem sie folgten, war rauh und unfreundlich.
Der Silberfluß wies allmählich Anzeichen für die von seinem König vorhergesagte Vergiftung auf. Schwärzlicher Schaum säumte das Wasser, und die klare Silberfarbe war trübe geworden. Tote Fische, kleine Nagetiere und herabgestürzte Vögel trieben vorbei, und der Fluß erstickte schier vor Treibholz und Gesträuch. Sogar sein Geruch war unangenehm, seine frische Sauberkeit war zu ranzigem, faulem Gestank geworden, der ihnen mit jedem Umschlagen des Windes in die Nase fuhr. Jair erinnerte sich an die Erzählungen seines Vaters vom Silberfluß, Erzählungen, die seit Shea Ohmsfords Zeit bekannt waren, doch was er jetzt erblickte, ließ ihn übel werden.
Garet Jax und Spinkser trugen wenig dazu bei, seine Laune zu verbessern. Selbst ohne die beständige Erinnerung an das Übel, das den Fluß befallen hatte, und ohne die Kälte dieses Tages hätte Jair es schwierig gefunden, ein Lächeln auf den Lippen oder Fröhlichkeit in der Stimme zu wahren, mit dem Waffenmeister und dem Gnomen als Reisebegleiter. In sich zurückgezogen und schweigsam trabten sie mit der Begeisterung der Trauernden bei einer Totenwache neben ihm her. Sie hatten seit dem Aufbruch an diesem Morgen keine zehn Worte gewechselt, und nicht ein Lächeln war über eines der Gesichter gehuscht. Mit auf den Weg vor ihnen geheftetem Blick marschierten sie mit einer verbissenen Entschlossenheit, die an Fanatismus grenzte. Ein- oder zweimal hatte Jair versucht, ein. Gespräch in Gang zu bekommen, als Reaktion war jedesmal kaum mehr als ein verhaltenes Grunzen gekommen. Das Mittagessen war ein angespanntes und peinliches Ritual aus seiner Notwendigkeit heraus gewesen, und selbst der schweigsame Marsch ostwärts war dem noch vorzuziehen.
Insofern war ihre Ankunft in Culhaven dem Talbewohner mehr als willkommen, wenn schon aus keinem anderen Grund, so weil sie bedeutete, daß er bald die Möglichkeit hatte, sich mit jemandem halbwegs Normalen zu unterhalten — allerdings sah er Gründe, auch das zu bezweifeln. Die Zwerge hatten sie bereits ganz im Westen an der Grenze von Anar erspäht und sie schweigsam beobachtet und nicht die geringste Anstrengung unternommen, durch die sie sich hätten willkommen fühlen können. Auf dem ganzen Weg zur Stadt waren sie Patrouillen von Zwergen-Jägern begegnet — abgehärteten Männern in Lederwämsern und Waldmänteln, die bewaffnet und zielstrebig unterwegs waren. Keiner von ihnen hatte gegrüßt oder war auch nur für das kleinste Schwätzchen stehengeblieben. Alle waren ohne Nachfrage vorüber und ihres Weges gegangen. Nur ihre Augen kamen herübergewandert, um die Besucher zu beäugen — und diese Augen waren nicht freundlich gewesen.
Bis Jair und seine Weggefährten den Rand der Zwergensiedlung erreichten, wurden sie von jenen Zwergen, an denen sie vorüberkamen, ungeniert gemustert, und in ihren Mienen lag mehr als nur ein Funken Mißtrauen. Garet Jax, der immer noch vorwegging, schien die Blicke, die ihnen folgten, nicht zu beachten, aber Spinkser wurde immer unruhiger, und Jair fühlte sich fast ebenso unbehaglich wie der Gnom. Garet Jax führte sie die Landstraße hinab, die das Dorf im Zickzack durchquerte, und war eindeutig mit dem Ort vertraut und sich sicher, was er vorhatte. Säuberlich instandgehaltene Wohnhäuser und Läden säumten die Gehwege, auf denen sie entlangschritten, massiv konstruierte Gebäude mit ordentlichem Rasen und Heckenreihen und aufgelockert durch Reihen von Blumenbeeten und gepflegten Gärten. Die Familien und Ladenbesitzer schauten hoch, wenn sie vorüberkamen, und in ihren Händen ruhten Werkzeuge und Waren, als sie bei ihrer täglichen Arbeit innehielten. Aber selbst hier waren bewaffnete Männer zu sehen — Zwergen-Jäger mit hartem Blick und mit Waffen an den Gürteln. Das war vielleicht eine Gemeinde mit Familien und Wohnhäusern, dachte Jair bei sich, doch im Augenblick sah es mehr nach einem bewaffneten Feldlager aus.
Als sie schließlich zur Mitte der Siedlung gelangten, hielt sie eine Patrouille zu Fuß an. Garet Jax sprach rasch mit einem der Wachsoldaten, und der Zwerg verschwand im Laufschritt. Der Waffenmeister trat wieder zu Jair und Spinkser. Gemeinsam standen sie den restlichen Mitgliedern der Patrouille gegenüber und warteten in gedankenversunkenem Schweigen. Zwergenkinder kamen und stellten sich neugierig mit auf Spinkser gehefteten Blicken um sie auf. Der Gnom ignorierte sie eine Zeitlang, dann wurde er das Spielchen leid und stieß ein plötzliches Knurren aus, so daß die ganze Bande schnell in Deckung lief. Der Gnom schaute finster hinter ihnen drein, schaute gereizt zu Jair und zog sich demonstrativ in sich zurück.
Ein paar Minuten später tauchte der von Garet Jax beauftragte Wachsoldat wieder auf. In seiner Begleitung befand sich ein robust wirkender Zwerg mit großem, gelocktem schwarzem Bart, Schnurrbart und kahlem Schädel. Ohne seinen Schritt zu verlangsamen, trat er mit zur Begrüßung ausgestreckter Hand direkt auf den Waffenmeister zu.
»Hast dir ja wirklich Zeit gelassen unterwegs«, knurrte er, als der andere die schwielige Hand in die seine schloß. Scharfe braune Augen spähten unter buschigen Brauen hervor, und der Blick des Mannes war hart und leidenschaftlich. Sein kräftiger, untersetzter Körper war in locker sitzende Waldkleidung gehüllt, er trug Stiefel und Gürtel aus weichem Leder und zwei Messer an seinem Bund. Von einem Ohr baumelte ein großer goldener Ohrring.
»Elb Foraker«, stellte Garet Jax den Zwergen Jair und Spinkser vor.
Foraker musterte sie einen Augenblick lang schweigend und wandte sich dann wieder an den Waffenmeister. »Du hast ja merkwürdige Gesellschaft, Garet.«
»Wir haben merkwürdige Zeiten.« Der andere zuckte mit den Schultern. »Wo können wir uns denn einmal setzen und etwas zu essen bekommen?«
Foraker nickte. »Hier entlang.«
Er führte sie an der Patrouille vorüber an die Stelle, wo die Straße rechts abzweigte, und von dort in ein Gebäude, in dem sich ein großer Speisesaal mit Bänken und Tischen befand. Ein paar davon waren von Zwergen-Jägern besetzt, die ihr Abendessen zu sich nahmen. Einige schauten hoch und nickten Foraker zu, doch diesmal zeigte niemand besonderes Interesse für die Begleitung des Zwerges. Offensichtlich machte es einen Unterschied, in wessen Gesellschaft man sich befand, dachte Jair. Foraker suchte für sie einen Tisch etwas hinten an der Wand auf und gab Zeichen, daß etwas zu essen gebracht wurde.
»Was soll ich mit den Zweien anfangen?« fragte der Zwerg, als sie sich gesetzt hatten.
Garet Jax wandte sich zu seinen Begleitern um. »Der Bursche ist ganz schön direkt, was? Er war vor zehn Jahren dabei, als ich Zwergen-Jäger für ein Grenzscharmützel am Wolfsktaag-Gebirge ausbildete. Und vor ein paar Jahren waren wir auch in Callahorn zusammen. Deshalb bin ich jetzt hier. Er bat mich zu kommen und gibt sich mit einem Nein als Antwort nicht zufrieden.«
Er schaute wieder Foraker an. »Der Talbewohner ist Jair Ohmsford. Er sucht nach seiner Schwester und einem Druiden.«
Foraker lehnte sich mit krauser Stirn zurück. »Einem Druiden? Was für einem Druiden? Es gibt keine Druiden mehr. Es hat keine Druiden mehr gegeben seit...«