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„Ich habe da eine Idee“, meldete Edain Elessedil sich zu Wort. Aller Augen wanderten zu ihm. „Vielleicht klappt es nicht, aber es wäre zumindest einen Versuch wert.“ Er beugte sich nach vorn.

„Wenn ich mich nahe genug an die Festung heranschleiche, könnte ich eine Nachricht an einen Pfeil binden und hineinschießen. Auf diese Weise wäre es möglich, die Verteidiger über die Situation am Keil zu informieren.“

Garet Jax wandte sich an Foraker. „Was hältst du davon?“

Der Zwerg zog die Stirn kraus. „Das wird gefährlich werden. Ihr werdet Euch weit näher heranschleichen müssen, als es Euch recht sein wird. Viel näher.“

„Ich werde es versuchen“, verkündete Helt.

„Es war mein Einfall“, widersprach Edain Elessedil hartnäckig. „Also bin ich dran.“

Garet Jax hob die Hände. „Wenn einer geht, gehen wir alle. Wenn wir in diesen Bergen auseinandergerissen werden, finden wir einander nie wieder.“ Er schaute zu Jair. „Einverstanden?“

Jair nickte sofort. „Einverstanden.“

„Und wenn es uns gelingt, der Garnison die Botschaft zukommen zu lassen?“

Der andere nickte wieder. „Ziehen wir weiter nach Norden.“

Garet Jax warf einen abschließenden Blick auf die Schlacht zwischen der Gnomen- und der Zwergen-Armee und winkte dann den anderen, ihm hinter die Felsen zu folgen. „Wir warten hier, bis es Nacht wird“, rief er über seine Schulter zurück.

Jair drehte sich um und sah Spinkser an seiner Seite. „Auf den Gedanken, mich nach meiner Zustimmung zu fragen, ist er erst gar nicht gekommen“, murmelte der Gnom und schob sich vorbei.

Die kleine Truppe huschte hinab in eine Ansammlung Findlinge und tauchte in den Schatten dieses Verstecks, um den Einbruch der Nacht abzuwarten. Die Sechs hockten auf den Steinen, nahmen eine kalte Mahlzeit zu sich, hüllten sich in ihre Mäntel und lehnten sich wortlos zurück. Nach einer Weile verließen Foraker und Garet Jax die Deckung, welche die Steine boten, und verschwanden weiter unten am Hang, um sich den Weg nach Osten genauer anzusehen. Edain Elessedil übernahm die Wache, und Helt streckte sich behaglich auf dem steinigen Boden aus und war innerhalb von wenigen Augenblicken auch schon eingeschlafen. Jair blieb ein Weilchen für sich alleine, dann stand er auf und ging hinüber zu der Stelle, wo Spinkser saß und in die leere Dämmerung starrte.

„Ich weiß zu schätzen, was du dort hinten am Keil für mich getan hast“, sagte er ruhig.

Spinkser drehte sich um. „Vergiß es.“

„Kann ich nicht. Das ist jetzt das dritte Mal, daß du mir das Leben gerettet hast.“

Das Lachen des Gnomen klang spröde. „So oft schon?“

„So oft.“

„Tja, Junge, vielleicht bin ich das nächste Mal nicht mehr zur Stelle. Was wirst du dann machen?“

Jair schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht.“

Es trat Stille ein. Spinkser beachtete den Talbewohner nicht. Jair wollte sich schon wieder abwenden, aber dann überkam ihn seine Dickschädeligkeit und er zwang sich zu bleiben. Bewußt setzte er sich direkt neben den Gnomen.

„Er hätte dich fragen sollen“, meinte er ruhig.

„Wer? Mich was fragen sollen?“

„Garet Jax — er hätte dich fragen sollen, ob du bereit bist, mit uns zur Festung hinunterzugehen.“

Jetzt drehte Spinkser sich um. „Er hat mich bisher nie um meine Meinung gebeten, oder? Warum sollte er dann jetzt damit anfangen?“

„Wenn du vielleicht... ?“

„Wenn ich vielleicht Flügel bekäme, könnte ich hier wegfliegen!“ Das Gesicht des Gnomen war von Zorn gerötet. „Wie dem auch sei, was kümmert es dich?“

„Es ist mir wichtig.“

„Was? Daß ich hier bin? Ist dir das wichtig? Dann sag mir mal, Junge — was habe ich hier zu schaffen?“

Jair schaute unbehaglich fort, aber Spinkser packte ihn am Arm und riß ihn mit einem Ruck zu sich herum.

„Sieh mich an! Was habe ich hier zu schaffen? Was habe ich mit dem allem zu tun? Nicht das geringste! Ich bin einzig und allein hier, weil ich so töricht war, dich bis nach Culhaven bringen zu wollen — das ist der einzige Grund! Hilf uns, an dem schwarzen Wandler vorbeizuschleichen, batest du mich! Hilf uns, ins Ostland zu gelangen! Du kannst es, du bist Fährtensucher! Ha!“

Er reckte das derbe, gelbe Gesicht dem Jungen entgegen. „Und dieser alberne Traum! Denn mehr war es nicht, Junge — nichts als ein Traum. Es gibt keinen König vom Silberfluß, und dieser ganze Marsch ostwärts ist reine Zeitvergeudung! Aber ich — bin trotzdem dabei!“ Er schüttelte verbittert den Kopf. „Und das alles deinetwegen!“

Jair riß sich los, als er nun selbst in Wut geriet. „Vielleicht stimmt das. Vielleicht ist es meine Schuld, daß du hier bist. Aber der Traum war Wirklichkeit, Spinkser. Und du täuschst dich, wenn du behauptest, du hättest mit dem allem nichts zu tun. Du nennst mich beständig ›Junge‹, dabei bist du derjenige, der sich hier nicht wie ein Erwachsener benimmt.“

Spinkser starrte ihn an. „Wie soll ich denn dann zu dir sagen, Bübchen?“

„Mir ist alles recht.“ Jair lief rot an. „Aber du solltest allmählich auch mal darüber nachdenken, was du bist.“

„Was soll das heißen?“

„Es soll heißen, daß du nicht weiter herumrennen und dir einreden kannst, es ginge dich nichts an, was anderen Leuten widerfährt — es hat nämlich sehr wohl etwas mit dir zu tun, Spinkser.“

Sie saßen sich Auge in Auge wortlos gegenüber. Inzwischen war die Dunkelheit tiefschwarz und windstill hereingebrochen. Es war eigentümlich ruhig, nachdem das Dröhnen der Gnomentrommeln und der Waffenlärm der Schlacht um Capaal verstummt waren.

„Hast nicht gerade eine hohe Meinung von mir, wie?“ bemerkte Spinkser schließlich.

Jair seufzte müde. „Nein, genau das Gegenteil ist der Fall. Ich halte eine ganze Menge von dir.“

Der andere betrachtete ihn einen Augenblick lang eingehend und blickte dann zu Boden. „Ich mag dich auch. Ich habe dir ja schon einmal gesagt — du hast Mumm. Du erinnerst mich an mich in meinen besseren Zeiten.“ Er lachte leise ein hohles Kichern und schaute dann wieder hoch. „Aber hör mir jetzt zu, denn ich werde es nicht wiederholen. Ich gehöre nicht zu euch. Das ist nicht mein Kampf. Und ob dir das gefällt oder nicht, werde ich mich bei der erstbesten Gelegenheit aus dem Staub machen.“

Er wartete einen Moment, wie um sich zu versichern, daß seine Worte die gewünschte Wirkung erzielten, dann wandte er sich ab. „Jetzt schieb ab und laß mich in Ruhe.“

Jair zögerte und versuchte, zu einem Schluß zu kommen, ob er das Gespräch fortsetzen sollte, stand dann aber widerwillig auf und ging davon. Er kam dicht an dem schlafenden Helt vorbei, da hörte er den Grenzbewohner murmeln: „Ich sagte dir doch, daß er dich mag.“

Jair Ohmsford schaute überrascht hinab, lächelte dann und ging weiter. „Ich weiß“, flüsterte er zurück.

Es ging auf Mitternacht zu, als Garet Jax die Gruppe aus dem Schutz der Findlinge wieder an den Hang führte. Unten umgaben Hunderte von Wachfeuern der Gnomen die Festung Capaal und zogen sich zu beiden Seiten der belagerten Schleusen und Dämme an den Felswänden empor. Mit Elb Foraker vorweg machten die Sechs sich an den Abstieg. Sie zogen den Hang hinab und bogen dann auf einen schmalen Pfad, der sich in einer Reihe von Engpässen und Felsplatten verzweigte. Vorsichtig folgten sie ihrem Weg als lautlose Schatten, die durch die Nacht huschten.

Sie brauchten über eine Stunde, um an den äußeren Kreis der Wachfeuer auf der hiesigen Seite des Lagers zu gelangen. Hier hielten sich die Gnomen in geringerer Zahl auf; die meisten lagerten nahe am Rand der Zwergenwälle. Auf den Wegen, die darauf zuführten, brannten die Feuer nur vereinzelt und verstreut. Hinter den Belagerungslinien an den Südhängen ragte eine Gruppe von Berggipfeln himmelwärts, die unten miteinander verwachsen waren wie abgebrochene Finger einer aus der Erde herausgreifenden Hand. Die Sechs wußten, daß sich dahinter mehrere niedrige Hügel dehnten, die das Südufer des Cillidellan flankierten, und hinter denen wiederum erstreckte sich ostwärts der Wald, in welchem sie Schutz finden würden. Wenn sie erst dort wären, könnten sie in die Nacht eintauchen und ohne die geringste Gefahr, gesehen zu werden, nordwärts weiterziehen.