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Einen Augenblick später entglitt ihm alles.

Er träumte einen langen, endlosen Traum zusammenhangloser Gefühle und Empfindungen von Orten und Zeiten, die ihm gleichermaßen vertraut wie neu waren. Wellen aus Geräusch und Bewegung trugen ihn durch alptraumhafte Landschaften und vertraute Schlupfwinkel, durch die oft begangenen Wege des Tals und durch Fluten kalten, schwarzen Wassers, wo das Leben in einem wirren Durcheinander von Gesichtern und Formen, die nicht aufeinander folgten, sondern losgelöst und vereinzelt erschienen, vorüberstrich. Da war Brin, kam und ging in Momentaufnahmen, eine verzerrte Gestalt, die Wirkliches und Falsches vereinigte und sein Verständnis verlangte. Worte von mißgestalteten, leblosen Dingen drangen zu ihm hin, Worte, die jetzt ihre Stimme auszusprechen schien, und sie riefen ihn, riefen...

Dann bekam Garet Jax ihn zu fassen, hielt ihn fest im Arm, und es hörte sich wie ein Flüstern des Lebens an einem Ort der Finsternis an. Jair schwebte auf dem Wasser, das ihn schaukelte, und sein Gesicht war dem wolkenbedeckten Nachthimmel zugewandt. Er japste, versuchte zu sprechen, war aber nicht dazu in der Lage. Er war wieder wach, zurückgekehrt von jenem Ort, an den er entglitten war, und sich doch noch nicht voll bewußt, was ihm geschehen war und wo er sich befand. Er trieb in die Dunkelheit hinein und heraus, rettete sich jedesmal zurück, wenn er zu weit abzudriften drohte, damit er sich von neuem an Geräusch, Farbe und Gefühl klammern konnte, die Leben bedeuteten.

Dann packten ihn Hände, zerrten ihn aus dem Wasser und der Finsternis und legten ihn wieder auf festen Boden. Rauhe Stimmen murmelten Unverständliches, und die einzelnen Worte jagten durch sein Bewußtsein wie vom Wind herumgepeitschte Blätter. Seine Lider flatterten, und er sah Garet Jax über sich gebeugt, dessen mageres, braunes Gesicht feucht und von der Kälte gezeichnet war und dem das Haar am Schädel klebte.

„Talbewohner, kannst du mich hören? Es ist alles in Ordnung. Du bist jetzt in Sicherheit.“

Andere Gesichter schoben sich in sein Blickfeld — kantige Zwergengesichter, die resolut und ernst das seine studierten. Er schluckte, hustete und murmelte etwas Zusammenhangloses.

„Versuch nicht zu sprechen“, meinte einer barsch. „Ruh dich nur aus.“

Er nickte. Hände hüllten ihn in Decken, hoben ihn in die Höhe und trugen ihn fort.

„Heute Nacht sind ja einige Streuner unterwegs.“ Eine andere Stimme kicherte.

Jair versuchte, nach hinten zu schauen, wo die Stimme hergekommen war, aber augenscheinlich konnte er die entsprechende Richtung nicht ausmachen. Er ließ sich in die warmen Wolldecken sinken und erleichtert von den Händen, die ihn trugen, angenehm schaukeln.

Einen Augenblick später war er eingeschlafen.

19

Am Mittag des folgenden Tages wachte Jair wieder auf. Vielleicht wäre er selbst dann noch nicht zu sich gekommen, wären da nicht Hände gewesen, die ihn nicht allzu sanft aus dem Schlummer schüttelten, und eine rauhe Stimme, welche an seinem Ohr flüsterte: „Wach auf, Junge. Du hast lange genug geschlafen! Komm schon, wach auf!“

Widerstrebend bewegte er sich in den Decken, in die er gehüllt lag, rollte sich auf den Rücken und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Grauer Sonnenschein sickerte durch ein schmales Fenster über seinem Kopf, so daß er in die Helligkeit blinzeln mußte.

„Nun mach schon, der Tag ist bald vorbei! Und dank dir habe ich ihn ganz hier eingesperrt zugebracht!“

Jairs Augen suchten den Sprecher und fanden eine stämmige, wohlvertraute Gestalt neben seinem Bett stehen. „Spinkser?“ flüsterte er ungläubig.

„Na, wer denn sonst“, gab der andere knapp zu.

Jair zwinkerte. „Spinkser?“

Schlagartig erinnerte er sich mit einer Flut von Bildern an die Ereignisse der vorangegangenen Nacht: Die Flucht vor den Gnomen in den Bergen um Capaal, wie die kleine Gruppe auseinandergerissen wurde, der lange Fall mit Garet Jax in den Cillidellan und ihre Bergung aus dem Wasser durch die Zwerge. Du bist jetzt in Sicherheit, hatte der Waffenmeister ihm zugeflüstert. Er blinzelte noch einmal. Aber Spinkser und die anderen...

„Spinkser!“ rief er, als er endlich voll zu sich kam. Hastig setzte er sich auf. „Spinkser, du lebst!“

„Natürlich lebe ich. Sehe ich vielleicht wie ein Geist aus?“

„Aber wie hast du...?“ Jair ließ die Frage unvollendet im Raum stehen und packte ängstlich nach dem Arm des Gnomen. „Was ist mit den anderen? Was ist aus ihnen geworden? Sind sie wohlauf?“

„Immer mit der Ruhe, ja?“ Der Gnom machte gereizt seinen Arm los. „Sie sind alle wohlauf und hier, also mach dir keine Sorgen mehr. Der Elf hat einen Pfeil in die Schulter abbekommen, aber er wird es überleben. Der einzige, der im Augenblick in Gefahr ist, bin ich. Und zwar weil ich mit dir hier eingeschlossen bin und mich zu Tode langweile. Wirst du vielleicht endlich aus diesem Bett steigen, damit wir hinaus können?“

Jair hörte gar nicht alles, was der Gnom ihm mitgeteilt hatte. Alle sind wohlauf, wiederholte er immer wieder. Alle haben es geschafft. Wir haben keinen einzigen verloren, obgleich es sehr wahrscheinlich erschien. Er atmete vor Erleichterung tief auf. Plötzlich kam ihm wieder in den Sinn, was der König vom Silberfluß prophezeit hatte. Einen Hauch Zauberkraft für alle, die dich begleiten, hatte der alte Mann gesagt. Körperkraft, die den anderen verliehen wurde. Vielleicht hatte dieser Hauch Zauberkraft, diese Stärke dazu geführt, daß alle die Nacht lebend überstanden hatten.

„Nun steh doch schon auf, los, aufstehen!“ Spinkser hüpfte vor Ungeduld auf und ab. „Was soll das, nur so herumzusitzen?“

Jair schwenkte die Beine aus dem Bett und schaute sich in dem Raum um, wo er sich befand. Es war eine schmale Steinkammer, die spärlich mit Bett, Tisch und Stühlen möbliert war, und die Wände waren kahl bis auf einen breiten Wappenwandbehang, der von Haltern an der schrägen Decke hing. Ein zweites Fenster war am anderen Ende der Wand, an der Jairs Bett stand, zu sehen, und eine einzelne Holztür befand sich geschlossen ihm gegenüber. In einer Ecke barg ein kleiner Kamin mit Eisengitter einen Stapel brennender Holzscheite.

Er schaute Spinkser an. „Wo sind wir?“

Spinkser warf ihm einen Blick zu, als wäre er ein völliger Idiot. „Na, was glaubst du denn? Wir sind in der Zwergenfestung!“

Wo sonst? dachte Jair wehmütig. Langsam stand er auf und prüfte noch, wie er bei Kräften war, als er sich streckte und neugierig aus dem Fenster hinter sich schaute. Durch den schmalen, vergitterten Schlitz sah er, wie die trübgraue Fläche des Cillidellan sich in einen dick nebel- und wolkenverhangenen Tag dehnte. Weit entfernt zwischen den dahinziehenden Schwaden konnte er das Flackern von Wachfeuern am Seeufer erkennen.

Gnomen-Wachfeuer.

Dann fiel ihm auf, wie still alles war. Er befand sich in der Festung Capaal, der Zwergenzitadelle, die über die Schleusen und Dämme wachte, welche den Strom des Silberflusses nach Westen regulierten, jener Burg, die einen Tag zuvor unter dem schweren Ansturm der Gnomen-Heere gestanden hatte. Wo waren diese Heere nun? Weshalb wurde Capaal nicht mehr angegriffen?

„Spinkser, was ist aus der Belageru ng geworden?“ fragte er ruhig. „Warum ist alles so still?“

„Woher soll ich das wissen?“ keifte der andere. „Mir erzählt doch keiner etwas!“

„Was geht denn da draußen vor sich? Was hast du beobachtet?“

Spinkser setzte sich mit einem Ruck auf. „Du hast nicht ein Wort von dem gehört, was ich gesagt habe, wie? Was ist los — taub geworden oder was? Ich halte mich hier in diesem Raum mit dir auf, seit sie euch gestern abend aus dem See gefischt haben! Eingesperrt wie ein gewöhnlicher Dieb! Habe dem verdammten Grenzbewohner da draußen das Leben gerettet, und wie belohnt man meine Mühe? Ich werde mit dir eingesperrt!“

„Nun, ich...“

„Ein Gnom bleibt ein Gnom, denken die! Trau bloß keinem von uns! Also sitze ich hier, spiele die Glucke für dich, während du hier in aller Gemütsruhe schlummerst. Den ganzen Tag habe ich darauf gewartet, daß du dich endlich entschließt aufzuwachen. Und wahrscheinlich würdest du immer noch schlafen, wenn ich nicht endgültig die Geduld verloren hätte!“