„Die Gnomen würden diese Anlage gerne in ihren Besitz bringen“, grunzte Foraker, wobei sein Arm in einer ausholenden Geste über den Komplex hinwegstrich. „Sie kontrolliert fast den ganzen Wasservorrat für die Länder westlich vom Regenbogensee. Ohne die Dämme würden zur Regenzeit Überschwemmungen auftreten, wie es vor der Errichtung der Schleusen der Fall war.“ Er schüttelte den Kopf. „In einem schlimmen Frühjahr könnte sogar Culhaven fortgespült werden.“
Jair schaute sich langsam um und war beeindruckt von der Größe der gesamten Anlage und voller Ehrfurcht angesichts der Anstrengungen, unter denen sie errichtet worden sein mußte. Foraker hatte ihm bereits anläßlich einer Besichtigung das Funktionieren der Schleusen und Dämme gezeigt und die Maschinen und die Aufgaben derer, die sie warteten, erklärt. Jair war dankbar für diese Führung.
Spinkser war damit beschäftigt, Zwergenkarten von den Gebieten nördlich vom Rabenhorn zu überarbeiten — Karten, wie der Gnom schnell auf den ersten Blick festgestellt hatte, die völlig ungenau waren. Bestrebt, die Notwendigkeit einer Rückkehr in den Lagerkeller, wo der Mwellret eingesperrt war, zu umgehen und deshalb seine eigene Erfahrung zur Verfügung zu stellen, hatte Spinkser sich einverstanden erklärt, die Karten mit Ergänzungen zu versehen, damit die kleine Gruppe in bezug auf die Gebiete, die sie bei ihrer bevorstehenden Reise durchwandern müßte, angemessen beraten wäre. Edain Elessedil hatte sich entschuldigt und war alleine unterwegs. Als Foraker dann Jair angeboten hatte, ihm etwas von den Schleusen und Dämmen zu zeigen, hatte der Talbewohner diese Einladung bereitwillig angenommen. Jair vermutete, daß diese Führung auch dazu gedacht war, ihn davon abzulenken, daß Garet Jax immer noch nicht zurückgekommen war. Aber das war schon in Ordnung so. Er wollte lieber nicht über den abwesenden Waffenmeister nachdenken.
„Die Klippen verhindern, daß die Gnomen zu den unteren Dämmen vordringen können“, sagte Foraker, und sein Blick war wieder auf die Wachfeuer in der Ferne gerichtet. „Die Festung kontrolliert alle Zugänge. Unsere Vorfahren wußten, was sie taten, als sie Capaal erbauten. Solange die Burg steht, sind Schleusen und Dämme sicher. Und solange Schleusen und Dämme sicher sind, ist es auch der Silberfluß.“
„Abgesehen davon, daß er vergif tet wurde“, bemerkte Jair.
„Ja, abgesehen davon.“ Der Zwerg nickte. „Doch es wäre schlimmer, wenn der ganze Cillidellan sich in die Schlucht ergösse. Dann würde die Verseuchung schneller voranschreiten — bis weit in den Westen.“
„Wissen die anderen Länder das nicht?“ fragte Jair ruhig.
„Doch.“
„Man sollte meinen, daß sie dann hier sein müßten, euch beizustehen.“
Foraker kicherte humorlos. „Das sollte man meinen. Aber nicht jeder ist gewillt, sich der Wahrheit zu stellen, verstehst du? Manche möchten sich vor ihr verstecken.“
„Haben irgendwelche Völker euch Hilfe zugesagt?“
Der Zwerg zuckte mit den Schultern. „Ein paar. Die Westland-Elfen schicken ein Heer unter Andor Elessedil. Doch es steht noch zwei Wochen entfernt. Callahorn verspricht Unterstützung; Helt und eine Handvoll anderer kämpfen bereits an unserer Seite. Von den Trollen haben wir noch nichts gehört — aber die Nordgebiete sind weit und die Stämme dort verstreut. Vielleicht helfen sie uns noch an den Nordgrenzen.“
Er verstummte. Jair wartete einen Augenblick, ehe er fragte: „Und das Südland?“
„Das Südland?“ Foraker schüttelte langsam den Kopf. „Das Südland hat die Konföderation und seinen Koalitionsrat. Ein Haufen Dummköpfe. Kleinliche interne Streitigkeiten und Machtkämpfe binden ihre ganzen Energien, Und das neue Südland kann die Völker anderer Länder nicht brauchen. Die menschliche Rasse kehrt auf ihren Entwicklungsstand zur Zeit des Ersten Krieges zurück. Gäbe es jetzt einen Dämonen-Lord — ich fürchte, die Föderation würde sein willfähriger Anhänger.“
Jair zuckte innerlich zusammen. Im Ersten Krieg der Rassen hatte der Dämonen-Lord die menschliche Rasse seinem Willen unterworfen und sie überredet, die anderen Rassen anzugreifen. Die Menschheit war in jenem Krieg vernichtend geschlagen worden und hatte sich noch immer nicht von der Demütigung und den bitteren Verlusten erholt. Mit ihrer isolationistischen Politik und Praxis hatte die Föderation sich den größten Teil des Südlandes und der Menschheit Untertan gemacht und sich die Rolle ihres Sprachrohrs angemaßt.
„Callahorn steht euch immer noch bei“, erklärte Jair schnell. „Die Grenzbewohner sind ein anderer Menschenschlag.“
„Nur die Grenzbewohner werden vielleicht nicht genügen.“ Foraker schnaubte. „Nicht einmal die ganze Legion, du hast draußen die Gesamtheit der Stämme gesehen. Vereint stellen sie eine Macht dar, der wir nichts entgegenzusetzen haben. Und sie verfügen über die Hilfe dieser schwarzen Wesen, unter deren Befehl sie stehen...“ Er schüttelte finster den Kopf.
Jair zog die Stirn kraus. „Aber wir haben einen eigenen Verbündeten, der den Mordgeistern widerstehen kann. Wir haben Allanon.“
„Ja, Allanon“, murmelte Foraker und nickte dann wieder mit dem Kopf.
„Und Brin“, fügte Jair hinzu. „Wenn sie erst einmal den Ildatch gefunden haben...“
Er verstummte, als die Mahnung des Königs vom Silberfluß ihm wie ein bedrohliches Flüstern in den Sinn kam. Blätter im Wind, hatte er gesagt. Deine Schwester und der Druide. Sie werden beide verloren sein.
Er verdrängte den Gedanken. Es wird nicht soweit kommen, gelobte er. Ich werde sie vorher finden. Ich werde sie finden. Ich werde den Silberstaub in den Himmelsbrunnen schütten, um die Wasser zu reinigen, den Sehkristall hinterherwerfen und dann... Er machte eine unsichere Pause. Was dann? Er wußte es nicht. Irgend etwas. Er würde etwas unternehmen, das bewirkte, daß die Prophezeiung des alten Mannes nicht Wirklichkeit würde.
Aber da war zuerst die Reise nach Norden, rief er sich düster ins Gedächtnis. Und vorher mußte Garet Jax zurückkommen...
Foraker ging wieder an den Zinnen entlang, hielt das bärtige Gesicht auf den Boden gerichtet und hatte die Hände in die Taschen seines Reisemantels gestopft, den er um seinen kräftigen Körper trug. Jair holte ihn ein, als er eine Reihe breiter Steinstufen auf eine tieferliegende Rampe hinabstieg.
„Könnt Ihr mir etwas von Garet Jax erzählen?“ bat der Talbewohner plötzlich.
Der Zwerg hielt seinen Kopf gesenkt. „Was willst du denn wissen?“
Jair wiegte den Kopf hin und her. „Ich weiß nicht. Irgend etwas.“
„Irgend etwas?“ grunzte der andere. „Ein bißchen vage, findest du nicht? In welcher Art soll dieses Etwas denn sein?“
Jair dachte einen Augenblick darüber nach. „Etwas, das kein anderer weiß. Etwas über ihn persönlich.“
Foraker trat an eine Zinne mit Blick über die dunkle Fläche des Cillidellan und stützte die Ellbogen auf das Gestein, um in die Nacht hinauszustarren. Jair blieb still neben ihm stehen und wartete.
„Du möchtest ihn verstehen, nicht wahr?“ fragte Foraker schließlich.
Der Talbewohner nickte langsam. „Zu mindest ein bißchen.“
Der Zwerg schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht recht, ob das möglich ist, Ohmsford. Es ist, als wollte man einen... einen Falken verstehen. Du siehst ihn, siehst, was er darstellt, was er macht. Du bewunderst ihn, stellst dir Fragen über sein Wesen. Aber ihn jemals verstehen wirst du nicht können — nicht wirklich. Man muß er selbst sein, um ihn zu begreifen.“
„Ihr scheint ihn zu verstehen“, versuchte Jair ihm weiterzuhelfen.
Forakers grimmiges Antlitz wandte sich ihm ruckartig zu. „Glaubst du das wirklich, Ohmsford? Daß ich ihn verstehe?“ Er schüttelte noch einmal den Kopf.
„Nicht besser, als ich den Falken verstehe. Vielleicht sogar weniger. Ich kenne ihn, weil ich eine Zeitlang mit ihm gelebt, mit ihm gekämpft, mit ihm Männer ausgebildet habe. In dieser Hinsicht kenne ich ihn. Ich weiß auch, was er ist. Aber das ist nicht einmal ein Körnchen der Wahrheit, wenn es darum geht, ihn zu begreifen.“