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So verbrachten sie diese Nacht auf der Rabb-Ebene und brachen bei Morgendämmerung zum Weiterritt auf. Der Tag begrüßte sie grau und regnerisch, die Sonne war nur als schwacher, verwaschener Schimmer hinter den Unwetterwolken zu sehen, die den Herbsthimmel bedeckten. Sie ritten über die Ebene ostwärts, bis sie an die Ufer des Rabb-Flusses gelangten, um sich dann nach Süden zu wenden. Wo der Fluß aus seinem Hauptbett westwärts abzweigte, überquerten sie ihn an einer Furt in der Nähe des Waldrandes und behielten ihren Kurs nach Süden bei, bis das Tageslicht zu trübem, verwaschenem Dämmerlicht verblaßte.

Sie brachten die zweite Nacht schutzlos auf der Rabb-Ebene zu, eingehüllt in Mäntel und Kapuzen, während der Regen als unablässiger Niesei fiel und sie bis auf die Haut durchnäßte, daß sie nicht schlafen konnten. Die Kühle der Jahreszeit machte sich um sie her breit. Während weder Kälte noch Schlaflosigkeit irgendeine sichtbare Wirkung auf den Druiden zeigten, zehrten sie mit eigentümlicher Beharrlichkeit an den Lebenskräften des Mädchens und des Hochländers. Besonders von Brin forderten sie allmählich ihren Tribut.

Doch bei Anbrach des folgenden Tages war sie bereit, die Reise fortzusetzen, war ihre Entschlossenheit doch eisenhart und bestärkt durch den inneren Kampf, den sie während der öden Nachtstunden ausgefochten hatte, um nicht den Verstand zu verlieren. Die Regenfälle, die ihnen seit dem Verlassen der Drachenzähne folgten, hatten ausgesetzt und sich in weichen, fedrigen Nebel verwandelt. Der Himmel lichtete sich zu weißen Wolkenfetzen, als der Sonnenschein über den Baumkronen hervorbrach. Das Erscheinen der Sonne rief in dem Talmädchen eine körperliche und seelische Kraft zurück, welche Regen und Dunkelheit fast ausgelöscht hätten, und sie kämpfte tapfer gegen die Erschöpfung an, die sie durchflutete. Sobald sie rittlings auf ihrem Pferd saß, wandte sie sich dankbar der Wärme des noch diesigen Sonnenscheins zu und beobachtete, wie er sich immer weiter im Osten ausbreitete.

Doch sie mußte feststellen, daß die Erschöpfung sich nicht so leicht abstreifen ließ. Obgleich sich der Tag im Laufe ihrer Reise weiter aufhellte, hielt die Müdigkeit tief in ihrem Innern an und bedrängte sie mit Zweifeln und Ängsten, die nicht verfliegen wollten. Gesichtslose Dämonen tanzten in ihren Schatten — schössen aus ihrer Phantasie in den Wald, an dem sie entlangritten, und verlachten und foppten sie. Blicke verfolgten sie. Wie schon in den Drachenzähnen herrschte auch hier das Gefühl, beobachtet zu werden, manchmal von weit her, aus Augen, für welche Entfernungen keine Rolle spielten, manchmal von solchen, die ganz nahe schienen. Und wieder war diese heimtückische Vorahnung. Sie hatte sie das erste Mal in den Felsen und Schatten der Drachenzähne befallen, sie verfolgt, rückhaltlos verhöhnt und gewarnt, daß sie und jene, die mit ihr reisten, ein Spiel mit dem Tod spielten, das sie nicht gewinnen könnten. Sie hatte nach Paranor geglaubt, davon befreit zu sein, weil sie lebend und unversehrt aus der Druidenfestung entkommen waren. Doch nun meldete es sich wieder, auferstanden aus dem Grau und Naß der beiden vergangenen Tage, ein vertrautes und quälendes Gespenst aus ihrem eigenen Innern. Es war böse, und obgleich sie es entschieden und leidenschaftlich aus ihren Gedanken verbannen wollte, kehrte es stets wieder.

Die Stunden verstrichen sinnlos im Lauf der Reise dieses dritten Morgens, und mit ihnen verflog allmählich Brin Ohmsfords Entschlossenheit. Dieses Entfliehen manifestierte sich zuerst als unerklärliches Gefühl von Verlassenheit. Unter dem Druck dieser Vorahnung — einer Vorahnung, welche ihre Begleiter nicht einmal wahrnahmen — begann das Talmädchen, sich in sich selbst zurückzuziehen. Das geschah anfänglich zum Selbstschutz, als Rückzug vor dem Ding, das sie mit seinen boshaften Warnungen und beharrlichen Foppereien zugrunde richten wollte. Mauern richteten sich auf, Fenster und Türen wurden zugeschlagen, und sie glaubte im Schutz ihres Denkens das Wesen aussperren zu können.

Doch, damit sperrte sie gleichzeitig Allanon und Rone aus, und irgendwie fand sie keine Möglichkeit, sie nachträglich wieder hereinzuholen. Sie war alleine, Gefangene ihrer Psy che, und lag in Ketten, die sie selbst geschmiedet hatte. Eine subtile Veränderung ging allmählich in ihr vor. Langsam und unwiderruflich glaubte sie nur noch sich selbst. Allanon war ihr niemals sehr nahe gekommen, war selbst unter den günstigsten Bedingungen eine distanzierte, abweisende Person geblieben, ein Fremder, für den sie Mitleid und eine eigentümliche Art von Seelenverwandtschaft empfinden konnte — nichtsdestoweniger ein Fremder: unzugänglich und bedrohlich. Bei Rone Leah hatte es sich freilich anders verhalten; aber der Hochländer hatte sich verändert. Er hatte sich von ihrem Freund und Begleiter zu einem Beschützer gewandelt, der ebenso übermächtig und unnahbar wirkte wie der Druide. Das Schwert von Leah hatte diese Veränderung bewirkt und Rone Leah eine Macht verliehen, die ihn in seiner Vorstellung allem gewachsen machte, was sich ihm entgegenstellte. Die Magie aus den dunklen Wassern des Hadeshorn und der schwarzen Zauberei von Allanon hatte ihn korrumpiert. Das Gefühl der Vertrautheit, das sie verbunden hatte, war dahin. Nun war Rone nur noch dem Druiden verbunden, nur ihm galt seine Seelenverwandtschaft.

Doch das Verschwinden von Brins Entschiedenheit überstieg bald jenes Gefühl von Einsamkeit. Es entwickelte sich zu dem Eindruck, ihr Auftrag hätte seinen Sinn verloren. Er war nicht ganz dahin, das wußte sie, doch er hatte sich verflüchtigt. Einst war ihr ihr Ziel deutlich und sicher vor Augen gestanden: Sie mußte ins Ostland reisen, durch den Anar und das Rabenhorn bis an den Rand jener Grube, die sie Maelmord nannten, und geradewegs in den aufgerissenen Rachen jenes Abgrundes steigen, um das Buch der schwarzen Magie, den Ildatch zu vernichten. Das war ihre Aufgabe gewesen. Doch im Lauf der Zeit, in Finsternis und Kälte und mit den Strapazen ihrer Reisen schien ihr die Dringlichkeit dieses Ziels immer mehr entglitten zu sein, bis es jetzt fern und wenig überzeugend wirkte. Allanon und Rone waren stark und zuverlässig - zwei eherne Waffen gegen die Schatten, die sie aufhalten würden. Wozu brauchten sie sie? Konnten sie diese Mission trotz aller Worte des Druiden nicht ebenso alleine durchführen? Irgendwie war sie sich dessen sicher, daß sie dazu in der Lage wären, daß sie selbst kein wichtiges Mitglied dieser Gruppe war, sondern fast eine Last, etwas Nutzloses, dessen Bedeutung falsch eingeschätzt wurde. Sie versuchte sich einzureden, daß dem nicht so sei. Aber irgendwie stimmte es doch; ihre Anwesenheit hier war ein Fehler. Sie fühlte es, und mit diesem Gefühl wuchs ihre Einsamkeit.

Der Mittag kam und ging, der Nachmittag zog sich in die Länge. Der Nebel vom frühen Morgen hatte sich inzwischen aufgelöst, und der Tag war strahlend sonnig geworden. Auf der kahlen Ebene tauchten wieder Farbfleckchen auf. Die aufgerissene, verwüstete Erde verwandelte sich allmählich wieder in Grasland. Brins Gefühl von Einsamkeit schien eine Zeitlang weniger bedrückend.

Gegen Abend hatten die Reiter Storlock, die Siedlung der Gnomenheiler, erreicht. Das alte, berühmte Dorf war kaum mehr als eine Ansammlung bescheidener Stein- und Holzbauten, von Wäldern umsäumt. Hier hatte Wil Ohmsford für den Beruf, den er stets hatte ausüben wollen, studiert und sich praktisch darauf vorbereitet. Hier hatte Allanon ihn aufgesucht, damit er den Druiden auf seiner Reise nach Süden begleitete, um die Erwählte Amberle zu suchen, um den Ellcrys-Baum und das Elfenvolk zu erhalten — eine Reise, die mit der Übertragung des Elfenzaubers auf Brins Vater und damit ihrer ererbten Macht des Wünschliedes geendet hatte. Das lag nun über zwanzig Jahre zurück, dachte Brin niedergeschlagen, ja fast voll Bitterkeit. Damit hatte der ganze Wahnsinn begonnen — mit Allanons Erscheinen. So hatte es für die Ohmsfords immer begonnen.