„Und wurden Mordgeister“, beendete Rone Leah den Satz.
„Wurden zu Sklaven der schwarzen Magie wie einstmals der Dämonen-Lord und die Schädelträger. Sie glaubten, die Herren zu werden und wurden doch nur Sklaven.“
Aber welches ist das Geheimnis, das du hütest? flüsterte Brin in ihrem Innern, weil sie es immer noch ausgesprochen hören wollte. Sprich jetzt davon!
„Demnach kann Brimen nicht aus seiner Verbannung im Hadeshorn erlöst werden, ehe der Ildatch nicht zerstört ist — und die schwarze Magie mit ihm?“ Rone war zu sehr im Erzählfaden der Geschichte verstrickt, um zu begreifen, was Brin sah.
„Er hat sich dieser Vernichtung verschworen, Prinz von Leah“, flüsterte Allanon.
Und du. Und du. Brins Gedanken rasten.
„Daß alle schwarze Magie aus dem Land verschwindet?“ Rone schüttelte verwundert den Kopf. „Das erscheint mir unmöglich. Nach so vielen Jahren ihrer Existenz, nachdem um ihretwillen Kriege ausgetragen und Menschenleben geopfert wurden.“
Der Druide wandte den Blick ab. „Dieses Zeitalter neigt sich seinem Ende entgegen, Hochländer. Dieses Zeitalter muß abgeschlossen werden.“
Daraufhin trat eine lange Stille ein, erzwungenes Schweigen, das die Finsternis um die Flamme der Öllampe erfüllte und sich eng an die drei herandrängte, die hier niedergekauert saßen. Sie ließen sich davon einhüllen, hingen ihren eigenen Gedanken nach, und ihre Blicke huschten über die Gesichter der anderen hinweg, um zu verbergen, was in ihrem Innern vorging. Fremde, die sich um einer gemeinsamen Sache willen, aber ohne jegliches Verständnis zusammengefunden haben, dachte Brin. Wir kämpfen für das Wohl der Gemeinschaft, aber unsere Verbindung ist eigentümlich schwach...
„Können wir das denn überhaupt schaffen, Allanon?“ fragte Rone Leah plötzlich. Sein windgebräuntes Gesicht war dem Druiden zugewandt. „Sind wir stark genug, dieses Buch und seine schwarze Magie zu vernichten?“
Einen Augenblick lang antwortete der Druide nicht. In seinen Augen blitzte flüchtig verborgenes Wissen auf. Dann erklärte er ruhig: „Brin Ohmsford besitzt die Kraft. Sie ist unsere Hoffnung.“
Brin schaute ihn an und schüttelte langsam den Kopf. Ironie verzerrte ihr Lächeln. „Hoffnung und Hoffnungslosigkeit. Retterin und Zerstörerin. Erinnert Ihr Euch an die Worte, Allanon? So sprach Euer Vater über mich.“
Allanon entgegnete nichts darauf. Er blieb einfach sitzen und erwiderte aus dunklen Augen ihren Blick.
„Was hat er Euch noch gesagt, Allanon?“ fragte sie ihn ruhig. „Was noch?“
Es trat eine lange Pause ein. „Daß ich ihn in dieser Welt nicht wiedersehen werde.“
Das Schweigen zog sich in die Länge. Nun war sie nahe an das Geheimnis herangekommen, das der Druide verbarg, begriff sie. Rone Leah rückte sich unbehaglich auf seinem Stuhl zurecht, und seine Augen suchten die des Mädchens aus dem Tal. Unsicherheit stand darin, sah Brin. Rone wollte gar nicht mehr erfahren. Sie wandte den Blick ab. Sie war die Hoffnung, und sie mußte es erfahren.
„Gab es noch etwas?“ drängte sie weiter.
Langsam richtete Allanon sich mit eng um sich geschlungenen Gewändern auf, und auf seinem ausgezehrten, erschöpften Gesicht erschien ein kleines Lächeln. „Die Ohmsfords sind besessen davon, die gesamte Wahrheit zu erfahren“, entgegnete er. „Nicht einer von euch hat sich jemals mit weniger zufriedengegeben.“
„Was sagte Brimen?“ fragte sie hartnäckig.
Das Lächeln erstarb. „Er sagte, Brin Ohmsford, daß ich nicht wiederkehren werde, wenn ich diesmal den Vier Ländern den Rücken kehre.“
Das Mädchen aus dem Tal und der Hochländer starrten ihn erschreckt und ungläubig an. So sicher wie der Zyklus der Jahreszeiten war die Rückkehr Allanons in die Vier Länder, wenn den Völkern eine Gefahr durch die schwarze Magie drohte. Seit Menschengedenken war es stets so gewesen.
„Ich glaube Euch nicht, Druide!“ widersprach Rone hitzig und mit einer Spur Empörung in der Stimme, als ihm nichts anderes einfiel, das er hätte sagen können.
Allanon schüttelte langsam den Kopf. „Das Zeitalter geht seinem Ende entgegen, Prinz von Leah, und ich zwangsläufig mit ihm.“
Brin schluckte, als sich ihre Kehle schnürte. „Wann... wann werdet Ihr...?“
„Wenn ich muß, Brin“, schloß der Druide freundlich. „Wenn meine Zeit gekommen ist.“
Dann erhob er sich als große, gebeugte Gestalt, schwarz wie die Nacht und unerschütterlich wie deren Einbruch. Die großen, knorrigen Hände streckten sich über den Tisch. Ohne genau zu begreifen, warum, reichten das Mädchen aus dem Tal und der Hochländer ihm die ihren und schlössen sich einen Augenblick lang alle drei zusammen.
Der Druide nickte knapp und irgendwie abschließend. „Morgen reiten wir ostwärts in den Anar — ostwärts bis ans Ziel unserer Reise. Geht nun schlafen. Friede sei mit euch.“
Die kräftigen Hände ließen die ihren los und sanken herab. „Geht“, wiederholte er leise.
Brin und Rone warfen einander einen schnellen, unsicheren Blick zu, standen auf und verließen den Raum. Auf dem ganzen Weg, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, spürten sie, wie seine dunklen Augen ihnen folgten.
Sie gingen schweigsam den dahinterliegenden Gang hinab. Durch die Dunkelheit der leeren Halle hörten sie entfernt und bruchstückhaft Stimmen, die körperlos von einem nicht auszumachenden Raum zu ihnen drangen. In der Luft hing schwer der Geruch von Kräutern und Medikamenten, und sie ließen sich von ihren Gedanken ablenken und atmeten die Düfte ein. Als sie bei den Türen zu ihren Zimmern angelangt waren, blieben sie dicht beieinander stehen, ohne sich zu berühren oder anzusehen, und teilten nur wortlos das Entsetzen über das, was sie gerade erfahren hatten.
Es kann nicht wahr sein, dachte Brin fassungslos. Es kann einfach nicht wahr sein.
Darauf drehte Rone sich zu ihr um und ergriff ihre Hände. Zum erstenmal seit ihrem Aufbruch vom Hadeshorn und dem Schiefer-Tal fühlte sie sich ihm wieder nah.
„Was er uns erzählt hat, Brin... darüber, daß er nicht wiederkommt...“ Der Hochländer schüttelte den Kopf. „Das war wohl der Grund, um dessentwillen wir nach Paranor ritten und er die Burg versenkte. Er wußte, er würde nicht wiederkehren...“
„Rone“, mahnte sie schnell und legte einen Finger auf seine Lippen.
„Ich weiß. Ich kann es nur einfach nicht recht glauben.“
„Nein.“
Einen langen Augenblick lang starrten sie einander an. „Ich habe Angst, Brin“, sagte er schließlich, und seine Stimme war nur noch ein Flüstern.
Sie nickte wortlos, schlang dann die Arme um ihn und drückte ihn fest an sich. Dann trat sie wieder zurück, küßte ihn leicht auf den Mund und verschwand in ihrem Zimmer.
Langsam und müde drehte Allanon der geschlossenen Tür den Rücken zu und setzte sich wieder an den kleinen Tisch. Seine Augen wanderten über die Flamme der Öllampe, und seine Gedanken schweiften ab, während er den Blick starr in die Dunkelheit dahinter gerichtet hielt. Früher einmal hätte er nicht das Bedürfnis empfunden, seine ureigensten Geheimnisse vor jemandem auszubreiten. Er hätte es sogar verabscheut. Er war schließlich der Wahrer des Glaubens; er war der letzte der Druiden, und die Macht, die diese einmal innegehabt hatten, war nun die seine. Er brauchte andere nicht in sein Vertrauen zu ziehen.
So war es bei Shea Ohmsford gewesen. Shea war viel von der Wahrheit vorenthalten geblieben, der kleine Talbewohner hatte sie aus eigener Kraft herausgefunden. Und genauso war es bei Brins Vater gewesen, als der Druide ihn auf die Suche nach dem Blutfeuer mitgenommen hatte. Doch Allanons entschiedene Wahrung des Geheimnisses, seine freiwillige und eherne Ablehnung, irgend jemandem, so nahe er ihm auch stand, alles zu sagen, was er wußte, hatte in den letzten Jahren irgendwie nachgelassen. Vielleicht lag es daran, daß er schließlich alt wurde, oder vielleicht lastete die Zeit, die verstrich, so schwer auf ihm. Vielleicht war es nur das Bedürfnis, seine Bürde mit einem anderen lebenden Menschen zu teilen.