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Die kalte Stimme mit ihrem Zischen hing in der Luft des kleinen Raumes, als die gelben Augen sich tief in die des Talbewohners bohrten. Dann wirbelte Stythys herum und schritt durch die Zellentür hinaus. Der Gefängniswärter machte ebenfalls kehrt, seine verkrüppelten Hände packten die eisenbeschlagene Tür am Bolzen des Riegels und zogen sie fest hinter sich zu.

Jair saß alleine und zusammengekauert in der Dunkelheit und lauschte, bis ihre Schritte verhallt waren.

Die Minuten dehnten sich zu Stunden, während er reglos in seiner Zelle saß, in die Stille lauschte und darüber nachdachte, wie hoffnungslos sich seine Lage entwickelt hatte. Gerüche beleidigten seine Nase, während er dasaß, ranzige, herbe Gerüche, die sich in das Gefühl von Verzweiflung mischten, das ihn schonungslos durchströmte. Er fürchtete sich jetzt, fürchtete sich so sehr, daß er kaum vernünftig überlegen konnte. Der Gedanke war ihm in der ganzen Zeit, die verstrichen war, seit er sein Zuhause in Shady Vale verlassen hatte und vor den Gnomen, die ihm auf den Fersen waren, geflohen war, nie in den Sinn gekommen, doch nun kam er ihm zum erstenmal klar zum Bewußtsein. Du wirst es nicht schaffen, flüsterte dieser Gedanke.

Er hätte gerne geweint, wenn er gekonnt hätte, aber irgendwie wollten die Tränen nicht kommen. Vielleicht war er selbst dazu zu verängstigt. Denk darüber nach, wie du aus diesem Loch entkommen kannst, befahl er sich. Es gibt aus allem einen Ausweg.

Er atmete tief ein, um sich etwas zu fassen. Was würde Garet Jax in einer solchen Lage unternehmen? Oder auch Spinkser? Spinkser fand immer einen Ausweg; Spinkser war ein Überlebenskünstler. Selbst Rone Leah würde sich irgend etwas einfallen lassen.

Seine Gedanken schweiften eine Weile umher, wanderten durch Erinnerungen an Gewesenes, schlugen zwecklose Abstecher zu Träumen darüber ein, was sein könnte. Doch das war alles Phantasie, falsche Wiedergabe von Wahrheiten, verzerrt durch seine Verzweiflung darüber, was aus ihm werden sollte.

Dann schließlich überwand er sich, aufzustehen und einen Rundgang durch sein Verlies zu machen, erkundete, was bereits offenkundig war, faßte den feuchten, kalten Stein an und spähte in den grauen Lichtstrahl, der vom Himmel draußen durch das schmale Luftloch sickerte. Er wanderte in der ganzen Zelle herum, betrachtete alles ohne bestimmten Zweck, wartete, daß seine Gefühle zur Ruhe kamen und er wieder eines klaren Gedankens fähig war.

Plötzlich beschloß er, den Sehkristall zu benutzen. Wenn er sich irgendeine klare Vorstellung davon machen wollte, wieviel Zeit ihm blieb, mußte er in Erfahrung bringen, was aus Brin geworden war.

Eilends zog er die Kristallkugel an ihrer Silberkette aus ihrem Versteck unter seinem Hemd. Er starrte auf den Kristall hinab und umschloß ihn liebevoll mit beiden Händen. Er konnte die Stimme des alten Königs hören, wie sie ihn flüsternd mahnte, dies wäre das Mittel, durch welches er Brins Weg verfolgen könnte. Er brauchte nicht mehr zu tun, als die Kugel anzusingen...

Leise hob er an. Zuerst versagte seine Stimme, und er schien an den Gefühlen, die ihn rückhaltlos durchströmten, zu ersticken. Doch er stählte sich gegenüber seiner eigenen Unsicherheit, und der Klang des Wünschliedes erfüllte den kleinen Raum. Fast auf der Stelle erhellte sich der Sehkristall, daß grelles Licht in die Düsternis ringsum strömte und die Schatten vor sich hertrieb.

Er erkannte sogleich, daß der Lichtschein von einem kleinen Feuer stammte. Dann stand Brins Gesicht vor ihm. Sie schaute offensichtlich in die Flammen eines kleinen Lagerfeuers. Sie stützte das schöne Gesicht in beide Hände. Dann sah sie hoch, so als suchte sie etwas. Anstrengung und Qual zeichneten ihre Miene, und sie wirkte fast ausgezehrt. Dann senkte sie den Blick wieder ins Feuer und seufzte. Sie zitterte ein wenig, als unterdrückte sie ein Schluchzen. Alles, was Jair von ihr erkennen konnte, schien von Verzweiflung beherrscht. Was immer ihr widerfahren sein mochte, augenscheinlich war es nichts Erfreuliches...

Jairs Stimme brach, als die Sorge um Brin ihn überwältigte, und das Bild des bekümmerten Antlitzes seiner Schwester begann zu verschwimmen und verschwand. Der Talbewohner hielt den Blick fassungslos auf den Kristall in seinen Händen gerichtet.

Wo, so fragte er sich, steckte Allanon? Er war im Kristall nirgendwo zu sehen gewesen.

Blätter im Wind, flüsterte die Stimme des Königs vom Silberfluß in seinem Innern. Sie wird untergehen.

Dann schloß er die Hände fest um die Kristallkugel und starrte mit leerem Blick ins Dunkel.

27

Die Nacht senkte sich schon allmählich über die Wälder des Anar, als Brin Ohmsford die Lichter erblickte. Sie funkelten ihr wie Glühwürmchen durch das Gitterwerk der Bäume und die Schatten, die sich in die Dunkelheit dehnten, entgegen: klein, zaghaft und in weiter Ferne.

Sie ging langsamer und schlang schnell die Arme um Rone Leah, damit er nicht fiel, als er wankend neben ihr zum Halten kam. Ihr ganzer Körper schmerzte vor Erschöpfung, doch sie zwang sich, den Hochländer auf den Beinen zu halten, als er gegen sie taumelte und den Kopf auf ihre Schulter sinken ließ; sein Gesicht war heiß und von Fieber gerötet.

„... finden den Weg nicht... verirrt, finden ihn nicht...“ murmelte er zusammenhanglos, und die Finger seiner Hand packten sie so fest am Arm, daß es wehtat.

Sie flüsterte ihm zu, damit er ihre Stimme hörte und wußte, daß sie noch da war. Langsam lösten die Finger ihre Umklammerung, und die fiebrige Stimme verstummte.

Brin starrte geradeaus in die Lichter. Sie tanzten als kleine Fetzchen Helligkeit durch die Äste des Waldes, an denen noch dicht das Herbstlaub hing. Feuer? Sie flüsterte das Wort in dringlichem Ton, und es drängte die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit zurück, die sich in immer engeren Schichten um sie geschlossen hatten, seit sie den Marsch am Mangold-Strom angetreten hatten. Wie lange das nun alles zurückzuliegen schien — Allanon dahin, Rone so schwer verwundet und sie ganz alleine. Sie verbannte die Erinnerung aus ihrem Denken. Sie war den ganzen Nachmittag bis in den Abend hinein dem Fluß in östlicher Richtung gefolgt und hatte gehofft, ja gebetet, sie möge auf ein anderes menschliches Wesen stoßen, das ihr helfen würde. Sie wußte nicht, wie lange oder wie weit sie gelaufen war; sie hatte das Gefühl für Zeit und Entfernung verloren. Sie wußte nur, daß sie es irgendwie geschafft hatte, weiterzugehen.

Sie richtete sich auf und zog Rone in die Höhe. Vor ihnen flackerten die Lichter wie zum Willkommensgruß. Bitte! flehte sie insgeheim. Bitte, laß es die Hilfe sein, die ich brauche.

Sie stapfte weiter, hielt Rones Arm um ihre Schulter geschlungen, und sein Körper sackte gegen den ihren, als er neben ihr herstolperte. Äste und Sträucher streiften ihr Gesicht und ihren Körper, und sie duckte zum Schutz dagegen den Kopf. Mit eiserner Hartnäckigkeit setzte sie einen Fuß vor den anderen und ging weiter. Ihre Kraft war fast aufgezehrt. Falls sie dort keine Hilfe fände...

Dann plötzlich teilten sich das Gewirr der Bäume und der Schatten vor ihr, und die Lichtquelle war klar zu erkennen. Ein Gebäude zeichnete sich ab, das finster und unbeleuchtet dalag bis auf die beiden Streifen gelben Lichts, die aus zwei Stellen des gedrungenen Bauwerks drangen. Von irgendwo drinnen erklangen leise, undeutliche Stimmen.

Sie drückte Rone dicht an sich und ging entschlossen weiter. Als sie näherkam, erkannte sie das Gebäude besser. Es war eine niedrige, gedrungene Holzkonstruktion auf Steinfundament mit einem Giebeldach. Eine überdeckte Veranda spannte sich vor dem einzigen Stockwerk mit der Mansarde darüber, und ein Stück weiter hinten befand sich ein Stall. Zwei Pferde und ein Maultier waren an einen Pfosten gebunden und hielten die Köpfe gesenkt, um im dürren Gras zu weiden. An der Vorderfront des Gebäudes zog sich eine Reihe vergitterter, mit Läden verschlossener Fenster entlang. Durch Schlitze der Fensterläden war das Licht von Öllampen gesickert, welches das Talmädchen gesehen hatte.