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„Noch ein kleines Stück, Rone“, flüsterte sie, wohlwissend, daß er es nicht verstand, aber vermutlich auf den Klang ihrer Stimme reagierte.

Als sie zehn Meter von der Veranda entfernt war, sah sie ein Schild, das von der Rinne des abgeschrägten Daches baumelte: Rooker-Handelsstation.

Das Schild schaukelte sachte im Abendwind; es war verwittert und rissig, und die Farbe so sehr ins Holz eingezogen, daß die Buchstaben kaum mehr zu lesen waren. Brin schaute hoch und wandte den Blick wieder fort. Wichtig war nur, daß sich da drinnen Menschen aufhielten.

Sie erklommen die Veranda, wankten und stolperten über die verwitterten Bohlen und sackten gegen den Türpfosten. Brin faßte nach dem Türgriff, und plötzlich verstummten die Gespräche drinnen. Dann schloß sich die Hand des Mädchens um den Metallriegel, und die schwere Pforte schwenkte auf.

Ein Dutzend derbe Gesichter fuhr herum, um sie mit einer Mischung aus Überraschung und Mißtrauen in den Augen zu mustern. Fallensteller, erkannte Brin durch einen Schleier aus Rauch und Erschöpfung — stoppelbärtig und ungekämmt, mit Kleidung aus verschlissenem Leder und Tierhäuten. Mit finsteren Mienen hockten sie in Grüppchen um einen Schanktisch aus Holzbrettern, die man auf umgedrehte Bierfässer gelegt hatte. Tierfelle und Vorräte lagen hinter der Theke gestapelt, und davor stand eine Reihe kleiner Tische mit Schemeln. Öllampen hingen von niedrigen Deckenbalken und warfen ihr grelles Licht den Nachtschatten entgegen.

Brin hielt die Arme um Rone geschlungen, blieb wortlos in der offenen Tür stehen und wartete.

„Geister“, murmelte plötzlich einer am anderen Ende des Tresens, und das Scharren von Füßen war zu vernehmen.

Ein großgewachsener, hagerer Mann in Hemdsärmeln und Schürze kam hinter der Theke hervor und schüttelte langsam den Kopf. „Geister von Toten müßten nicht erst die Tür aufmachen, oder? Sie würden einfach hindurchgehen!“

Er trat bis zur Mitte des Raumes und blieb dort stehen. „Was ist euch zugestoßen, Mädchen?“

Brin wurde, so benebelt sie von Müdigkeit und Schmerzen war, plötzlich klar, welchen Eindruck sie auf diese Männer machen mußten. Sie hätten tatsächlich von den Toten Auferstandene sein können — zwei ausgemergelte, abgerissene Gestalten mit nassen, schlammigen Kleidern und vor Erschöpfung blassen Gesichtern, die wie zwei strohgestopfte Vogelscheuchen aneinanderhingen. Um Rones Kopf war ein blutiger Stoffetzen gebunden, doch die offene Wunde dahinter war zu erkennen. Auf seinem Rücken hing leer die Scheide, in der zuvor das große Breitschwert gesteckt hatte. Ihr eigenes Gesicht war schmutzig und ausgezehrt, die dunklen Augen wirkten gequält. Wie geisterhafte Erscheinungen standen sie im erleuchteten Rahmen der geöffneten Tür und schwankten unbeholfen vor dem nächtlichen Hintergrund.

Brin versuchte zu sprechen, brachte jedoch kein Wort heraus.

„Da, helft doch mal“, rief der große Mann den anderen an der Theke zu und trat sogleich nach vorn, um Rone zu stützen. „Nun kommt schon, packt mit an!“

Ein muskulöser Holzfäller erhob sich rasch von seinem Sitz, und die beiden schoben das Talmädchen und den Hochländer zum nächsten Tisch und ließen sie auf niedrige Schemel sinken. Rone sackte mit einem Stöhnen vornüber und ließ den Kopf auf die Arme sinken.

„Was ist euch denn zugestoßen?“ wollte der große Mann noch einmal wissen und half, den Hochländer festzuhalten, damit er nicht vom Stuhl kippte. „Der glüht ja vor Fieber.“

Brin schluckte schwer. „Wir verloren unsere Pferde bei einem Sturz auf dem Weg aus den Bergen“, log sie. „Er war vorher schon krank, aber nun ist es schlimmer geworden. Wir sind am Flußufer entlanggegangen, bis wir an dieses Haus kamen.“

„Das Haus gehört mir“, klärte sie der hochgewachsene Mann auf. „Ich betreibe hier die Handelsstation. Jeft, zapf zwei Bier für die beiden.“

Der Holzfäller schlüpfte hinter die Theke an ein Bierfaß und drehte den Zapfhahn über zwei hohen Gläsern auf.

„Wie war’s mit einem Freibier für uns übrige, Stebb?“ rief einer der finster wirkenden Männer am anderen Ende des Tresens.

Der Händler schoß dem Mann einen giftigen Blick zu, strich eine Strähne spärlichen Haars über eine weitgehend kahle Schädelplatte und wandte sich wieder an Brin. „Ihr solltet euch nicht in diesen Bergen herumtreiben, Mädchen. Dort oben gibt es Schlimmeres als Fieber.“

Brin nickte wortlos und kämpfte gegen die Trockenheit ihrer Kehle an. Einen Augenblick später kam der Holzfäller mit den Biergläsern zurück. Er reichte eines dem Mädchen und stützte Rone dann lange genug in die Höhe, damit der ebenfalls trinken konnte. Der Hochländer packte das Glas und wollte die starke Flüssigkeit auf einen Zug hinunterstürzen, wobei er sich heftig verschluckte. Der Holzfäller nahm ihm das Glas mit entschlossenem Griff aus der Hand.

„Laß ihn trinken!“ rief der Wortführer vom Ende der Bar wieder herüber.

Ein anderer lachte. „Ach was, das ist reine Verschwendung. Jeder Dummkopf sieht doch, daß der stirbt!“

Brin schaute wütend hoch. Der Mann, der das gesagt hatte, sah ihren Blick, kam auf sie zugeschlendert, und ein unverschämtes Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. Die anderen der Gruppe kamen langsam hinter ihm her, zwinkerten einander vielsagend zu und kicherten.

„Irgendwelche Schwierigkeiten, Mädchen?“ spottete der Wortführer. „Hast du Angst, du...?“

Sogleich war Brin auf den Beinen und wußte kaum, was sie tat, als sie ihr langes Messer aus der Scheide zog und ihm vor die Nase hielt.

„Aber, aber“, mischte der Holzfäller Jeft sich ein, trat rasch neben sie und schob sie sanft zurück. „Das ist doch wohl nicht nötig, oder?“

Er drehte sich zu dem Sprecher um und stand nun direkt vor ihm. Der Holzfäller war ein kräftiger Kerl und überragte die Männer, die vom Ende des Tresens hinzugekommen waren. Die Mitglieder der Gruppe warfen einander unsichere Blicke zu.

„Klar, Jeft, wollte ja nichts Böses“, murmelte der Angreifer. Er schaute zu Rone hinunter. „Habe mich nur über die Scheide gewundert. Das Wappen sieht wie irgendein königliches Siegel aus.“ Seine dunklen Augen richteten sich auf Brin. „Woher kommt ihr, Mädchen?“

Er wartete einen Augenblick, aber Brin wollte nicht antworten.

„Na, egal.“ Er zuckte mit den Schultern. Seine Freunde trotteten hinter ihm her, als er wieder zum anderen Ende der Bar zurückschlurfte. Sie scharten sich dicht zusammen, ihre Gläser zu leeren, kehrten den anderen den Rücken zu und unterhielten sich leise.

Der Waldbewohner beobachtete sie einen Augenblick und hockte sich dann neben Brin.

„Ein nichtsnutziger Haufen“, murmelte er. „Lagern draußen westlich vom Bogenrat und geben sich als Fallensteller aus. Leben aber von ihrer Hinterlist und dem Unglück der anderen.“

„Sitzen schon seit heute früh hier herum, trinken und vertrödeln ihre Zeit.“ Der Händler schüttelte den Kopf. „Aber Geld für Bier haben sie immer.“ Er schaute das Talmädchen an. „Fühlst du dich jetzt etwas besser?“

Brin lächelte ihm zu. „Viel besser, danke.“ Sie blickte auf den Dolch in ihren Händen hinab. „Ich weiß nicht, was da über mich gekommen ist. Ich weiß nicht, was...“

„Ach, vergiß es.“

Der große Waldbewohner tätschelte ihre Hand.

„Du bist am Ende deiner Kräfte.“

Neben ihm stöhnte Rone Leah leise, hob kurz den Kopf und starrte ins Leere. Dann sackte er wieder zusammen.

„Ich muß etwas für ihn unternehmen“, erklärte Brin besorgt. „Ich muß ein Mittel finden, sein Fieber herunterzudrücken. Habt Ihr vielleicht etwas, das helfen könnte?“

Der Händler warf dem Waldbewohner einen bekümmerten Blick zu und schüttelte dann den Kopf. „So schlimmes Fieber habe ich selten erlebt, Mädchen. Ich habe ein Stärkungsmittel, das vielleicht hilft. Du kannst es dem Jungen verabreichen und warten, ob es das Fieber austreibt.“ Wieder schüttelte er den Kopf. „Aber Schlaf ist vermutlich das beste.“

Brin nickte benommen. Es fiel ihr schwer, einen klaren Gedanken zu fassen, und die Erschöpfung übermannte sie immer mehr, als sie so auf ihrem Schemel saß und den Dolch anstarrte. Langsam schob sie ihn in die Scheide zurück. Was hatte sie eigentlich vorgehabt? Niemals in ihrem ganzen Leben hatte sie jemandem oder etwas ein Leid zugefügt. Sicher, der Mann vom westlichen Bogengrat war unverschämt gewesen — aber hatte er eine echte Bedrohung dargestellt? Das Bier brannte warm in ihrem Magen, und eine Hitzewelle flutete durch ihren Körper. Sie war müde und eigentümlich unruhig.