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„Das Essen ist bald fertig“, verkündete Kimber Boh, als sie eingetreten waren, und warf einen vorwurfsvollen Blick in Coglines Richtung. „Wenn ihr euch schon mal setzen wollt, werde ich es auftragen.“

Cogline brummelte vor sich hin und schlüpfte auf die Bank auf der anderen Seite des Tisches, während Brin und Rone ihm gegenüber Platz nahmen. Wisper trottete an ihnen vorbei zu einem Flickenteppich vor einem breiten Steinkamin, wo ein kleiner Holzstapel fröhlich flackerte. Mit einem Gähnen ringelte sich der Kater vor dem Feuer zusammen und schlief ein.

Die Mahlzeit, die Kimber Boh zubereitet hatte, bestand aus Wildgeflügel, Gartengemüsen, frisch gebackenem Brot und Geißenmilch, und sie verzehrten sie hungrig. Während sie aßen, stellte das Mädchen ihnen Fragen über Südland und seine Menschen und war begierig, etwas von der Welt außerhalb ihres heimatlichen Tales zu hören. Sie hatte den Dunkelstreif noch nie verlassen, erklärte sie, aber irgendwann demnächst würde sie eine Reise unternehmen. Cogline warf ihr einen finsteren, mißbilligenden Blick zu, sagte aber nichts und hielt den Kopf starrsinnig auf seinen Teller gesenkt. Als die Mahlzeit beendet war, erhob er sich mit einem plötzlichen Grunzen und verkündete, daß er hinausgehe, um eine Pfeife zu rauchen. Er stapfte aus der Tür, ohne einen von ihnen eines Blickes zu würdigen, und verschwand.

„Ihr dürft es ihm wirklich nicht übelnehmen“, entschuldigte sich Kimber Boh und stand auf, um den Tisch abzuräumen. „Er ist lieb und nett, aber er hat so lange alleine gelebt, daß er sich in der Gesellschaft anderer Leute nur schwer wohlfühlt.“

Mit einem Lächeln deckte sie den Tisch ab und kehrte mit einer Karaffe burgunderroten Weins zurück. Sie schenkte ein wenig davon in frische Gläser und nahm wieder ihnen gegenüber Platz. Als sie von dem- Wein nippten und gemütlich schwatzten, fragte Brin sich unwillkürlich immer wieder wie im ersten Augenblick, da sie das Mädchen gesehen hatte, wie es ihr und dem alten Mann gelungen war, alleine in dieser Wildnis zu überleben. Natürlich hatten sie den Kater, aber trotzdem...

„Großvater geht jeden Abend vor dem Essen spazieren“, berichtete Kimber Boh und warf den beiden ihr gegenüber einen beruhigenden Blick zu. „Er streift viel im Tal herum, wenn der Spätherbst kommt. Dann haben wir die ganze Arbeit des Jahres abgeschlossen, und wenn erst einmal Winter ist, geht er nicht mehr soviel hinaus. Bei kaltem Wetter tun ihm manchmal die Knochen weh, da bleibt er lieber am warmen Kamin. Doch jetzt, wo die Abende noch warm sind, geht er gerne an die frische Luft.“

„Kimber, wo sind deine Eltern?“ Brin konnte sich die Frage nicht verkneifen. „Warum lebt ihr ganz alleine hier?“

„Meine Eltern sind umgekommen“, erklärte das Mädchen gelassen. „Ich war noch ein Kind, als Cogline mich versteckt zwischen Bettzeug fand, wo der Treck an jenem vorangegangenen Abend am Nordrand des Tales gelagert hatte. Er nahm mich mit zu sich nach Hause und zog mich als seine Enkelin auf.“ Sie beugte sich vor. „Wißt ihr, er hat niemals eine eigene Familie gehabt. Ich bin alles, was ihm bleibt.“

„Wie hast du deine Eltern verloren?“ wollte Rone wissen, als er sah, daß es dem Mädchen nichts ausmachte, darüber zu sprechen.

„Bei einem Gnomenüberfall. Mehrere Familien waren mit dem Treck unterwegs; sie wurden alle umgebracht bis auf mich. Mich haben sie übersehen, sagt Cogline.“ Sie lächelte. „Aber das ist nun schon lange her.“

Rone nippte an seinem Wein. „Das muß doch aber ziemlich gefährlich hier für dich sein, oder?“

Sie schaute verwundert drein. „Gefährlich?“

„Gewiß. Rings umher nur Wildnis, wilde Tiere, Räuber, was auch immer. Hast du nicht manchmal ein bißchen Angst, alleine hier draußen zu leben?“

Sie legte den Kopf zur Seite. „Meint ihr, ich müßte Angst haben?“

Der Hochländer sah zu Brin. „Nun... ich weiß nicht recht.“

Sie stand auf. „Schaut mal.“

Fast schneller, als er mit Blicken folgen konnte, hatte das Mädchen ein langes Messer in der Hand, ließ es an seinem Kopf vorbeipfeifen und durch den ganzen Raum sausen. Es bohrte sich mit einem Schlag in einen winzigen schwarzen Kreis, der auf einen Holzstamm auf der gegenüberliegenden Wand aufgemalt war.

Kimber Boh grinste. „Damit übe ich ständig. Ich habe das Messerwerfen erlernt, als ich ungefähr zehn war. Cogline hat es mir beigebracht. Und ich bin fast mit jeder Waffe, die ihr mir nennen könntet, genauso gut. Ich kann schneller laufen als irgendein Lebewesen im Dunkelstreif - außer Wisper. Und ich kann Tag und Nacht durchmarschieren, ohne zu schlafen.“

Sie setzte sich wieder. „Natürlich würde Wisper mich auch vor jeder Bedrohung schützen, so daß ich mich nicht groß sorgen muß.“ Sie lächelte. „Abgesehen davon kommt niemals etwas wirklich Gefährliches zum Kamin. Cogline hat sein ganzes Leben hier verbracht; das Tal gehört ihm. Alle wissen es und lassen ihn in Ruhe. Selbst die Spinnengnomen halten sich fern.“

Sie machte eine Pause. „Wißt ihr Bescheid über die Spinnengnomen?“

Sie schüttelten die Köpfe. Das Mädchen beugte sich nach vorn. „Sie kriechen über Boden und an Bäumen hoch und sind ganz behaart und verwachsen wie Spinnen. Vor etwas über drei Jahren versuchten sie ins Tal einzudringen. Es kamen ein paar Dutzend von ihnen, alle mit Asche schwarz beschmiert und voll Jagdfieber. Sie sind nicht wie die anderen Gnomen, wißt ihr, denn sie verkriechen sich und stellen Fallen wie Spinnen. Jedenfalls kamen sie herunter zum Kamin. Ich glaube, sie wollten das Tal für sich. Großvater begriff es sofort, wie er immer auf der Stelle weiß, wenn etwas Gefährliches bevorsteht. Er nahm Wisper mit, und sie lauerten den Spinnengnomen am Nordende des Tales direkt am großen Felsen auf. Die sind heute noch auf der Flucht.“

Sie grinste breit und hatte ihre Freude an der Geschichte. Brin und Rone warfen einander unbehagliche Blicke zu, denn sie wußten jetzt weniger als je zuvor, was sie von dem Mädchen halten sollten.

„Wo stammt der Kater denn her?“ Rone betrachtete wieder Wisper, der ungestört weiterschlief. „Wie kann er einfach so verschwinden bei seiner gigantischen Größe?“

„Wisper ist eine Moorkatze“, erklärte das Mädchen. „Die meisten solcher Katzen leben in den Sümpfen weit im Anar, noch weit östlich vom Dunkelstreif und Rabenhorn. Aber Wisper zog ins Altmoor, als er noch ein Baby war. Cogline fand ihn und brachte ihn hierher. Er hatte einen Kampf hinter sich und war völlig zerschunden. Wir haben ihn gepflegt, und er blieb bei uns. Ich habe gelernt, mich mit ihm zu verständigen.“ Sie schaute Brin an. „Aber nicht wie du, ich singe ihm nicht vor. Kannst du mir das beibringen, Brin?“

Brin schüttelte sanft den Kopf. „Ich glaube nicht, Kimber. Das Wünschlied ist mir angeboren.“

„Wünschlied“, wiederholte das Mädchen das Wort. „Das klingt hübsch.“

Dann trat ein Augenblick der Stille ein. „Aber wie kann er so verschwinden?“ erkundigte Rone sich noch einmal.

„Oh, er verschwindet nicht“, erklärte Kimber Boh mit einem Lachen. „Es hat nur den Anschein. Wenn man ihn manchmal nicht sehen kann, dann nicht, weil er verschwunden wäre, sondern weil er seine Körpertönung verändern kann, so daß er mit dem Wald verschmilzt. Er nimmt die Farbe von Bäumen, Felsen, Boden oder was auch immer an . Und er tarnt sich so gut, daß er nicht zu sehen ist, wenn man nicht weiß, wie man nach ihm zu suchen hat. Aber wenn man lange genug mit ihm zusammen ist, lernt man das.“ Sie hielt inne. „Wenn er allerdings nicht gefunden werden will, ist es unmöglich. Das gehört zu seinen Abwehrmechanismen. Mit Großvater ist es ein richtiges Spiel geworden. Wisper verschwindet und läßt sich nicht wieder sehen, bis Großvater sich heiser gebrüllt hat. Das ist eigentlich nicht ganz fair von ihm, denn Großvaters Augen sind nicht mehr so gut, wie sie einmal waren.“

„Aber ich nehme an, um deinetwillen taucht er dann wieder auf.“

„Immer. Er hält mich für seine Mutter. Ich habe ihn gepflegt und gefüttert, als wir ihn ins Haus brachten. Wir stehen einander nun so nahe, als wären wir Teile ein und derselben Persönlichkeit. Die meiste Zeit über scheinen wir sogar fühlen zu können, was der andere denkt.“