»Mögen Gott und der Prophet dich schützen!«
Im Galopp eilte das Maultier über die schweigende Ebene der Stadt zu.
»Jetzt zum Mirab«, murmelte der Normanne. »Er wird Rat wissen!«
23. IN DER CUBA DES MIRAB
Sechs Stunden später, kurz vor Sonnenaufgang, erreichte der Schmuggler glücklich die Cuba des ehemaligen Templers hinter der Kasbah.
Da durch die Ritzen der Tür Licht drang, klopfte er, nachdem er das Maultier an einen Baum gebunden hatte.
»Wer sucht mich auf?« fragte die Stimme des Greises.
»Der Normanne!«
Der Mirab öffnete.
»Ich erwartete dich. Du bringst schlimme Kunde, nicht wahr? Ich sah Zuleik gestern in die Stadt reiten, umgeben von seinen Leuten. Er führte den Baron als Gefangenen mit sich!«
»Dann kann ich mir die Erzählung ersparen!« »Nein, ich will alles hören!«
Der Normanne berichtete nun das Vorgefallene. Als er geendet, sagte der Alte: »Ich hatte es vorausgesehen!«
»Nun möchte ich nur wissen«, meinte Michele, »was der Maurenfürst mit dem armen Ritter gemacht, ob er ihn Culkelubi angezeigt hat?«
»Das glaube ich nicht. Du weißt, ich habe meine Beziehungen, eine Art Geheimpolizei, die mir hilft bei der Flucht der Christen! So erfuhr ich, daß eine hochgestellte Persönlichkeit Sant Elmo beschütze!«
»Jene Maurin?«
»Ja, es ist Zuleiks Schwester, Prinzessin Amina BenAbad, die junge Witwe des Sid-Ali-Mamé, des bekannten Seehelden!«
»Zum Teufel«, rief der Normanne, »welch Zufall! Zuleiks Schwester Beschützerin unseres Barons! Dann wäre er wohl in guten Händen, wenn nur Zuleik ihr nicht seinen Willen aufzwingt!«
»Das wird er nicht wagen, denn ihr fester Wille, ihre unbeugsame Energie ist bekannt. Es besteht eine große Gefahr. Zweifellos liebt die Prinzessin den Ritter, und er wird sie um der Gräfin willen verschmähen!«
»Es ist also die Rache der Maurin zu fürchten, die sich auch gegen Donna Ida wenden wird!«
»Wenn diese nicht sicher in den Mauern der Kasbah säße!«
»Was sagt ihr da?« fragte der Seemann überrascht.
»Die Beamten des Beys haben sie ausgewählt und als Sklavin ins Schloß gebracht!«
»Dann ist sie für Zuleik, wie für den Baron verloren!«
»Sie aus der Kasbah zu befreien, wird allerdings nicht leicht sein, immerhin ist sie dort besser aufgehoben als in Zuleiks Palaste. Ich habe, als Oberhaupt der Derwische, freien Zutritt bei Hofe, und so wird es mir möglich sein, sie zu sehen und vielleicht auch zu sprechen. Vorausgesetzt, daß sie nicht schon dem Harem überwiesen ist, was aber gewöhnlich erst nach Monaten geschieht!«
»Warum nicht früher?«
»Weil sie erst arabisch lernen und die Tiorba spielen muß! Und in zwei bis drei Monaten können vielerlei Dinge vor sich gehen! Was, Michele?«
»Ich habe nie mehr als 14 Tage gebraucht, um einem Christen aus dem Bagno zur Flucht zu verhelfen!«
»Die Kasbah ist aber kein Gefängnis, und wir werden unendliche Schwierigkeiten haben, die junge Gräfin zu befreien ... ! Sieh nur, die Sonne ist aufgegangen. Ich muß in die Moschee! Willst du mich hier erwarten? Ich hoffe, dir einige Neuigkeiten über den Baron zu bringen!«
»Erst möchte ich gern meine Leute sehen!«
»Deine Feluke liegt immer noch im Hafen, und niemand kümmert sich darum. Ich werde die Schiffsmannschaft von deiner Rückkehr benachrichtigen. Es wäre unklug von dir, nach dem, was vorgefallen, dich in den Straßen der Stadt zu zeigen! Zuleik und sein Gefolge kennen dich jetzt. Hier hast du ein gutes Bett, Essen, Tabak und eine gute Flasche. Sie wird dir die Langeweile vertreiben!«
»Mehr brauche ich nicht«, sagte der Normanne. »Nur noch einen guten Schlaf! Und wann werdet ihr zurück sein?«
»Gegen Mittag oder etwas später!«
Der Mirab warf seinen Mantel aus dunkler Wolle über die Schultern, nahm seinen Stab und ging zur Moschee, während Michele sich auf den Diwan legte und sich dem Schlummer überließ.
Als er wieder erwachte, war der Nachmittag bereits vorgerückt. Der Alte aber war noch nicht zurückgekehrt. Das beunruhigte ihn jedoch nicht, da der Greis seitens der Barbaresken nichts zu fürchten hatte, bei welchen er, als Haupt eines der geachtetsten religiösen Orden, hohe Verehrung genoß.
Er machte sich eine einfache Mahlzeit aus den vorgefundenen Vorräten zurecht und führte sich einige der im Grabgewölbe verborgenen Flaschen Wein zu Gemüte.
Der ganze Tag verging, ohne daß der alte Templer zurückkam. Was konnte ihm nur zugestoßen sein? Michele ging mehrmals vor die Tür und spähte nach ihm aus vergeblich. Er fütterte sein Maultier und wollte gerade zum Renegaten, als er in der Ferne den Mirab erblickte. Trotz seines hohen Alters ging dieser rascher als sonst an seinem Stabe vorwärts. Er schien Neuigkeiten zu bringen, die seinen Schritt beschleunigten.
»Ich hatte Angst um euch und wollte euch schon suchen!« rief ihm der Normanne zu. »Bringt ihr wenigstens gute Nachrichten mit?«
Der Greis ließ, nach Atem ringend, sich auf den Diwan fallen, trank ein paar Schluck, die ihm Michele reichte und sagte:
»Nichts gerade Erfreuliches! Irgendjemand hat den Baron an Culkelubi verraten!«
»Ist er verhaftet worden?« fragte der Normanne erregt.
»Das weiß ich noch nicht. Aber der Generalkapitän wird ihn schon zu finden wissen!«
»Dann bin ich auch verloren! Sie werden den Ritter foltern, um herauszubekommen, wer ihn nach Algier gebracht hat!«
»Keine Furcht! Der wird sich eher töten lassen, als Verrat üben«, sagte der Mirab zuversichtlich. »Aber der andere wird vielleicht nicht standhalten, sein Diener!«
»Ist Eisenkopf auch gefangen? Der dumme Katalane wird uns alle in Gefahr bringen, um seine eigene Haut zu retten!«
»Nun, wir werden erfahren, was bei Culkelubi vorgeht, ein Christensklave wird mir Bericht erstatten!«
»Und von der Gräfin habt ihr nichts gehört?« »Es war mir heut nicht möglich, in die Burg zu kommen, da der Bey eine französische Gesandtschaft empfing!«
»Und wie stehts mit meinen Leuten?«
»Sie wissen schon, daß du zurückgekehrt und außer Gefahr bist! Nun wollen wir essen und uns zur Ruhe legen! Ich bin kein Jüngling mehr, das Alter beginnt sich fühlbar zu machen!«
Die Mahlzeit war nicht fröhlich. Jeder hing seinen Gedanken nach, die sich um Culkelubi drehten, der ihnen mehr Angst einflößte als der Bey und das ganze Barbareskenheer ...
Am andern Morgen wuchsen ihre Befürchtungen. Ein als Araber verkleideter Christ meldete die Übergabe des Barons an Culkelubi, seine Folterung und das im Fieberdelirium entrissene teilweise Geständnis. Auch daß der Ritter zusammen mit seinem Diener sich jetzt im Bagno von Sidi Hassen befände, wußte der Christ.
»Es konnte nicht schlimmer kommen!« meinte der Normanne, als sie wieder allein waren. »Jetzt verliere ich wirklich allen Mut und zweifle an dem Gelingen unseres Unternehmens!«
»Das ist unrecht«, entgegnete der Greis. »Warum sollen wir ihn nicht aus dem Bagno befreien können? Es wäre doch nicht der erste!«
»Mich wundert nur, daß der Generalkapitän, der doch sonst so grausam gegen alle Christen verfährt, ihn nicht hat pfählen lassen!«
»Dahinter muß die Prinzessin stecken. Sie soll merkwürdigen Einfluß auf den Kommandanten haben!«
»Könnte sie ihn nicht aus dem Gefängnis befreien?« fragte der Seemann.
»Gerade darüber dachte ich nach ... Ich werde selbst zu Amina gehen ... «
»Aber ihr würdet euch bloßstellen. Bedenkt, der Anführer der Derwische, der Fürbitte für einen Christen einlegt!«
Nach kurzer Überlegung sagte der Mirab entschlossen: »Ich tue es dennoch. Culkelubis Großmut ist mir verdächtig. Wahrscheinlich will er dem Ritter und dem Katalanen weitere Geständnisse entreißen. Und diese könnten uns allen das Leben kosten. Er hat geschworen, den Schmugglern ein für allemal das Handwerk zu legen. Ich kenne die Schlauheit dieses Ungeheuers. Wenn wir uns nicht beeilen, sind wir nicht sicher, den morgigen Tag noch zu erleben!«