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Sie durchschritten einen großen Raum, sparsam möbliert, traten durch eine Fenstertür ins Freie und sahen zwischen den blühenden Sträuchern in einem Korbstuhl eine zarte Mädchengestalt sitzen. Rötlichblondes Haar lag eng um den schmalen Kopf, aus dem große, fiebrig glänzende Augen leuchteten. Blaue Augen.

Dr. Schultheiß verbeugte sich und wartete ab, was Dr. Kresin sagte. Dessen Russisch war viel zu schnell, als daß er mehr als ein paar Worte hätte verstehen können. Aber dann sah ihn Salja an und reichte ihm die Hand. Er ergriff sie zögernd, seit Jahren daran gewöhnt, einem Russen nicht die Hand geben zu dürfen.

»Worotilow schickt Sie?« sagte sie mit schleppender, müder Stimme. »Ob es noch Zweck hat, Doktor?«

Schultheiß wunderte sich über ihr gutes Deutsch und nickte. »Bestimmt. Ich werde versuchen, was ich kann. Sie sollen wieder gesund werden.«

Dr. Kresin wischte mit der Hand durch die Luft. Er tat es immer, wenn er unwillig war. »Keine langen Reden. Gehen wir ins Haus, Genossin, und lassen Sie uns mit der Untersuchung beginnen.«

Janina Salja erhob sich. Sie ging ihnen wortlos voran, ihr Gang war so müde wie ihre Sprache, aber im Wiegen ihrer Hüften lag noch etwas von ihrer verlorenen Schönheit. Es war etwas Katzenhaftes, Gleitendes, Tastendes an ihr, das Dr. Schultheiß aufmerksam machte.

In ihrem Schlafzimmer fuhr sie sich mit der Hand durch die kurzen Haare, sah flüchtig zu Schultheiß hin und begann dann, sich ungeniert auszuziehen. Sie streifte das Kleid ab und legte sich aufs Bett. Dabei schloß sie die Augen und kreuzte die Arme hinter dem Nacken. Ihre Haut war fahl und von einer dünnen Schicht Schweiß überzogen.

Dr. Kresin schob Schultheiß ein Stethoskop hin. »Fangen Sie schon an«, sagte er grob. »Ich hole die Röntgenplatten.«

Die Sonne lag auf ihrem zarten Oberkörper, als sich Schultheiß mit dem Hörrohr über sie beugte. Eine starke Erregung ließ das Blut in seinen Adern rauschen, so daß er die Atemgeräusche der Lunge nicht vernahm und nicht das Hämmern des Herzens. Schweiß trat auf seine Stirn. Er schloß die Augen und zwang sich, auf ihren Atem zu lauschen.

Die Tuberkulose sieht man - man hört sie nicht, dachte er, das ist eine alte Regel, die sich immer wieder bestätigt. Dennoch klopfte er den Brustkorb ab und gab sich Mühe, die Kaverne zu auskultieren. Es gelang natürlich nicht.

Er wandte sich ab. »Bitte, ziehen Sie sich wieder an.« Er hörte das

Rascheln ihres Kleides. Als er sich umdrehte, sah er sie vor dem Spiegel stehen und sich die Haare kämmen. In ihrem Nacken kräuselten sich ein paar Locken.

»Ich bin wohl sehr krank?« fragte sie und lächelte seinem Spiegelbild ein wenig verzweifelt zu.

Schultheiß zuckte die Achseln und sagte: »Ich muß mir erst die Röntgenbilder ansehen. Wenn das stimmt, was mir Dr. Kresin sagte, so müssen Sie eisern liegen und nichts als liegen. Alkohol und Tabak sind streng verboten.« Er nahm eine Packung kaukasischer Zigaretten von dem Nachttisch neben ihrem Bett und zerbröckelte sie zwischen den Fingern. »Sie müssen sehr folgsam sein.«

»Mein Bruder starb in deutscher Gefangenschaft.« Sie legte den Kamm hin und strich über ihr Kleid. »Er arbeitete bei Moers im Bergwerk und starb an Furunkulose.«

»Ach!«

»Vielleicht hätte ihn ein deutscher Arzt retten können, aber er wollte keinen deutschen Arzt. Er war Jungbrigadier und fanatischer Kommunist. Ich bin es auch ... aber noch mehr liebe ich das Leben.«

Dr. Kresin trat ins Zimmer und sah sich erstaunt um. »Schon fertig?« brummte er. Er hielt Dr. Schultheiß einige Röntgenaufnahmen hin und stellte sich neben ihn. Gegen die Sonne trat deutlich die große Kaverne in der Lunge hervor. Dr. Kresin blickte den deutschen Arzt von der Seite an.

»Na?« murmelte er, »was wollen Sie tun?«

»Einen Pneumothorax.«

»Idiotie! Woher soll ich das Gerät nehmen!«

»Hat das Krankenhaus von Stalingrad keine Apparatur?«

»Ja, aber die bekomme ich nicht.«

»Außerdem muß sie unter ständiger ärztlicher Aufsicht stehen. Wir haben doch im Lager eine ganz gute Lungenstation . dort könnte man sie laufend beobachten.«

Dr. Kresin warf die Röntgenbilder auf das Bett. »Ins Lager? Sie sind wohl völlig verrückt! Sie können doch Janina Salja nicht zwischen die dreckigen deutschen Gefangenen legen!«

Schultheiß zuckte mit den Schultern. »Ich bin auch ein dreckiger deutscher Gefangener. Dann machen Sie allein weiter, Dr. Kre-sin.«

»Ich könnte sie an die Krim schicken, an das Asowsche Meer. Dort haben wir gute Lungenheilstätten.« Dr. Kresin sagte es langsam und nachdenklich. »Auch am Kaspischen Meer, bei Astrachan, gibt es gute Kliniken. Aber sie will ja nicht hingehen. Sie weigert sich rundweg.«

»Ich denke gar nicht daran«, schrie Janina Salja plötzlich leidenschaftlich, »ich lasse mir doch nicht von denen eine Plastik machen und mir dabei die ganze Brust zersäbeln.«

Schultheiß trat auf sie zu. Er legte ihr beruhigend beide Hände auf die Schultern und drückte sie auf einen Stuhl.

»Es ist ja gar nicht nötig, Fräulein Salja«, sagte er beruhigend, »aber wenn man in diesem Land nicht einmal die simple Apparatur für das Anlegen eines Pneumothorax auftreibt.«

»Wenn Sie nicht alle Vollmachten von Major Worotilow hätten, schlüge ich Sie jetzt in die Fresse!« brüllte Dr. Kresin wütend, »Sie verfluchter deutscher Hund!«

Janina sprang auf und legte Kresin ihre Hand auf den Arm. »Warum soll ich nicht mit ins Lager gehen? Wenn es für mich besser ist. Worotilow wird es erlauben.«

»Genossin Salja!« Dr. Kresin keuchte. »Wenn das in Moskau bekannt wird, wenn eine Inspektion kommt . wir können es nicht!«

Janina sah Dr. Schultheiß aus ihren fiebrigen Augen an. Ihr Blick war so hell und klar, daß es Schultheiß wie ein Zittern durch den Körper lief. »Als Leiterin der Sanitätsbrigade Stalingrad unterstehen mir auch die Arbeiter des Lagers 5110/47. Sie arbeiten in Stalingrad, sie werden von meiner Brigade betreut auf den Arbeitsplätzen. Wenn eine Kontrolle mich im Lager antreffen sollte, dann kann ich einfach sagen, daß ich die deutschen Arbeiter inspiziere.«

»Dazu ist Dr. Kasalinsskaja da.«

»Mit ihr werde ich mich gut verstehen.«

»Hoffentlich.« Dr. Kresin zuckte mit den Schultern und packte das Stethoskop ein. »Ich werde es dem Major sagen. Auf Wiedersehen, Genossin.«

»Auf Wiedersehen, Genosse Kresin.«

Wieder reichte sie Dr. Schultheiß die Hand. Er spürte den Druck ihrer schmalen Finger. Aber ihr Gesicht war unbeweglich und bleich. Die Sonne ließ ihr Haar rot aufleuchten.

Im Lager hatte der erste Tag mit 100 Gramm Brot weniger begonnen. 100 Gramm - das bedeutete eine Mahlzeit weniger von diesem klitschigen, feuchten, schwer im Magen liegenden Gebäck.

Das bedeutete siebenmal 100, 700 Gramm Brot weniger in der Woche und damit 700mal verstärkte Hungerqual und schmerzhaftes Bohren in den Eingeweiden.

Es hatte sich längst herumgesprochen, daß Bascha Tarrasowa auf einen neuen Seidenschal verzichtete. Aber Major Worotilow war unerbittlich, und Leutnant Markow baute die Strafe zu einer Schikane aus, unter der die Plennis keuchten und fluchten. Es nutzte nichts, daß die Baracke VII in Block 5 in einen Hungerstreik trat. Markow betrat sie mit fünf Soldaten und baute ein Maschinengewehr in dem langen Raum auf, legte die Tagesrationen auf die Tische und kommandierte: »Alles fressen!« Da krochen die hungernden Gestalten von den Pritschen und hinter den Spinden hervor und verzehrten unter dem Lauf des Maschinengewehrs ihre Portion. Leutnant Markow lachte, als er die Baracke verließ.

Karl Georg versuchte an diesem Tag seine Tulpen zu verkaufen. Er hatte lange gezögert, ehe er sie abschnitt und wie Kleinode in die Baracke trug. Dort hatte er sie noch einmal allen Kameraden gezeigt, ehe er sie unter dem Hemd verbarg und zur Waschbaracke schlich, wo der Kirgise in der Sonne faulenzte und seine Zigarette rauchte.

»Hier, du Sauviech!« sagte Karl Georg und hielt ihm die Tulpen hin. »Für dein Mädchen, die alte Hure! Zehn Rubel!« Er hob beide Hände hoch und zeigte alle Finger.