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Pancho fühlte sich absolut sicher: Der Typ hätte bestimmt kein Interesse an einem dürren pferdegesichtigen Mannweib. Und wenn er es doch versuchte, würde Elly sie schützen.

Er hatte sie persönlich angerufen. Das war kein Witz: Martin Humphries höchstpersönlich hatte sich bei Pancho gemeldet und sie gebeten, ihn zuhause zu besuchen, um ein geschäftliches Angebot zu besprechen. Vielleicht will er mich von Astro abwerben, sagte sie sich. Astro ist zwar gut und schön, aber wenn Humphries mir mehr Geld bietet, werde ich für ihn arbeiten. Das ist ein klarer Fall — immer dem Geld hinterher.

Aber wieso hat er mich selbst angerufen und nicht das Personalbüro mit dem Gespräch beauftragt?

In dieser Tiefe waren nur noch ein paar Wohnquartiere ins Gestein gehauen. Sehr großzügig, sagte Pancho sich, als sie im bewährten ›Knickebein-Schlurfen‹, mit dem man sich in der niedrigen Schwerkraft des Monds fortbewegte, durch den hell erleuchteten Gang schlappte. Die Korridorwände waren mit kunstvollen Flachrelief-Skulpturen verziert: hauptsächlich astronomische Motive, aber auch irdische Landschaften mit Sternen und Kometen. Sie zählte ungefähr hundert Schritte zwischen den Türen, was bedeutete, dass die Unterkünfte hinter den Wänden des Korridors größer waren als ein ganzer Wohnheim-Abschnitt in den oberen Ebenen. Die Türen waren ebenfalls kunstvoll gestaltet: Ein paar hatten Doppelflügel, und alle waren auf die eine oder andere Art verziert. Ein paar schienen sogar aus echtem Holz zu bestehen — der totale Wahnsinn.

Doch der Anblick von Martin Humphries' Quartier traf die eh schon schwer beeindruckte Pancho völlig unvorbereitet. Am Ende des Gangs befand sich eine Tür, die dem Anschein nach aus poliertem Stahl bestand. Sie glich eher dem Schott einer Luftschleuse oder eines Banktresors als den phantasievollen Türen, die den Gang säumten. Die Tür glitt mit einem leisen Zischen auf, als Pancho sich ihr bis auf Armlänge genähert hatte.

Ein optisches Erkennungssystem, sagte sie sich. Oder vielleicht lässt er auch den Korridor überwachen.

Sie trat durch die offene Tür und wähnte sich schlagartig in einer anderen Welt. Sie befand sich in einem großen, hohen Raum, einer großen natürlichen Höhle tief unter der Mondoberfläche. Sie stand in einem rotgelben Blumenmeer und wurde von grünem Blattwerk umhüllt. Bäume! Ihr stockte der Atem beim Anblick junger Erlen und Ahorne, schlanker weißer Birkenstämme und zartblättriger Frangipani. Die einzigen Bäume, die sie bisher in Selene gesehen hatte, standen oben in der Grand Plaza und waren obendrein ziemlich mickrig im Vergleich zu diesen üppigen Gewächsen. Nach der Enge von Selenes monotonem grauem Labyrinth aus Gängen und winzigen Unterkünften wurde Pancho von der lichten Weite, den Farben und dem Duft der in paradiesischer Fülle blühenden Blumen schier überwältigt. Hier und da ragten Felsbrocken aus dem Boden. Die entfernten Wände und die hohe Decke der Höhle bestanden aus Naturstein. Dann sah sie, dass Vollspektrum-Punktstrahler überall an der Decke hingen. Ich komme mir vor wie Alice im Wunderland, sagte sich Pancho.

Und wie im Wunderland schlängelte sich auch ein mit Blüten übersäter Pfad durch die Vegetation. Pancho gefiel das viel besser als profaner Stein.

Dann wurde sie sich bewusst, dass keine Vögel in den Bäumen sangen. Es wehte keine Brise durchs Geäst. Dieser Ziergarten war nicht mehr als ein großes und aufwendiges Treibhaus. Er musste ein märchenhaftes Vermögen gekostet haben.

Halb schwebte, halb ging sie den Pfad entlang, bis sie hinter einer letzten Biegung das Haus sah. Es befand sich im Zentrum der Höhle inmitten von Bäumen und sorgfältig gepflegten Blumenrabatten mit Rosen, Iris und Pfingstrosen. Keine Gänseblümchen, bemerkte Pancho. Keine Ringelblumen. Zu gewöhnlich für dieses Arrangement.

Das Haus war ein herrschaftliches Gebäude. Es war niedrig, aber großflächig und hatte ein schräges Dach und Mauern aus behauenem und glasiertem Mondgestein. Große Panoramafenster. Ein großer Hof, der von der Doppeltür des Vordereingangs begrenzt wurde und in dessen Mitte ein Springbrunnen plätscherte. Ein Springbrunnen! Pancho ging langsam auf die Tür zu, streckte die Hand aus und berührte die verzierte Fläche. Kunststoff mit Holzoptik, sagten die Fingerspitzen ihr. Für eine Weile verharrte sie an der Tür. Dann drehte sie sich um und ließ den Blick über den Hof schweifen, die Gärten, die Bäume und den Springbrunnen. Was war das für ein Mensch, der so viel Geld für einen Privatpalast wie diesen ausgab?

»Willkommen, Ms. Lane.«

Beim Klang der Stimme zuckte Pancho zusammen. Er hatte die Tür lautlos geöffnet, während sie ihr den Rücken zugewandt und das Grün betrachtet hatte. Sie sah einen Mann, der etwa gleichaltrig und ein paar Zentimeter kleiner war als sie und etwas dicklich wirkte. Er trug ein gelbes Rundhals-Gewand, das ihm bis zur Hüfte reichte. Die Hose war zimtbraun und hatte eine messerscharfe Bügelfalte. Die Haut war blass, das dunkle Haar zurückgekämmt.

»Ich bin wegen Martin Humphries hier«, sagte sie. »Er hat mich eingeladen.«

Er lachte leise. »Ich bin Martin Humphries. Ich habe dem Personal heute Abend freigegeben.«

»Ach.«

Martin Humphries bedeutete Pancho, ins Haus zu kommen. Im Bewusstsein, dass Elly behaglich um den Knöchel geringelt war, trat Pancho ein.

Das Haus war genauso luxuriös wie das Grundstück, vielleicht sogar noch mehr. Große, weitläufige Räume waren mit den schönsten Möbeln eingerichtet, die Pancho je gesehen hatte. Ein Wohnzimmer, das groß genug war, um als Hockeyfeld zu dienen, Sofas mit feinsten Stoffbezügen und Holofenster, die spektakuläre irdische Szenerien zeigten: den Grand Canyon, den Fujiyama, die Skyline von Manhattan, wie sie vor der Flut ausgesehen hatte.

Der Esstisch war so groß, dass zwanzig Leute Platz darum gefunden hätten, aber er war nur für sie beide gedeckt: das Gedeck für Humphries am Kopfende, und für Pancho zu seiner Rechten. Zunächst führte Humphries sie jedoch in eine große Bibliothek, deren einziges Holofenster die sternenübersäten Tiefen des Weltalls zeigte.

Eine Bar erstreckte sich an einer Seite der Bibliothek.

»Was möchten Sie trinken?«, fragte Humphries und geleitete sie zu einem gepolsterten Barhocker.

»Egal«, sagte Pancho achselzuckend. Es war ein probates Mittel, dem Mann die Auswahl der Getränke zu überlassen, um seine wahren Absichten zu erkennen.

Er schaute sie einen Moment prüfend an. Wie mit einem Röntgenblick, sagte Pancho sich. Seine Augen waren grau, bemerkte sie, kalt und grau wie Mondgestein.

»Ich habe einen ausgezeichneten Champagner«, schlug er vor.

»Gut, dann nehmen wir den«, sagte Pancho lächelnd.

Er drückte einen Knopf, der in die Bar eingelassen war, und ein silbernes Tablett wurde mit dem gedämpften Surren eines Elektromotors auf Servierhöhe gefahren. Darauf standen eine Flasche Champagner in einem Sektkühler und zwei Flötengläser. Humphries zog die Flasche aus dem Kühler und füllte die beiden Gläser mit Champagner. Pancho sah, dass die eiskalte Flasche sich schnell mit Kondenswasser überzog. Die Gläser schienen wirklich aus Kristallglas zu sein; wahrscheinlich stammten sie aus der Glasfabrik von Selene.

Die Kohlensäure kitzelte sie in der Nase, aber das Getränk war wirklich gut: moussierend, kalt und mit einem vollen Buket, das nach Panchos Geschmack war. Trotzdem nippte sie nur am Champagner, als sie sich neben Martin Humphries auf den Barhocker setzte.

»Sie müssen unheimlich reich sein, dass Sie sich dieses Anwesen leisten können«, sagte sie.