Выбрать главу

«Oh, nein, mein Herr«, erwiderte der Angestellte.»Ich kenne den Marquis d'Ambois nicht. Ich meinte den Marquis de Chamford. Ein sehr feiner Herr, aber er hat Probleme: eine schwierige Ehe, mein Herr — eine sehr schwierige; das ist allgemein bekannt.«

«Chamford? Ja, ich glaube, wir sind uns schon begegnet. Ziemlich klein, nicht wahr?«

«Nein, Sir. Eigentlich sogar recht groß. Etwa Ihre Größe, würde ich sagen.«

«Wirklich?«

Mit den verschiedenen Eingängen und Innentreppen des zweistöckigen Cafes machte der Patient sich schnell vertraut — als Lebensmittellieferant aus Roquevaire, der seine neue Tour noch nicht richtig kannte. Es gab zwei Treppen, die ins Obergeschoß führten, eine von der Küche aus, die andere gleich hinter dem Eingang von dem kleinen Vorraum; das war die Treppe, die von den Gästen benutzt wurde, die zur Toilette in der obersten Etage wollten. Diese Treppe konnte man durch ein Fenster von außen beobachten, und der Patient war sicher, daß er, wenn er nur lange genug wartete, zwei Leute beim Gang nach oben sehen würde. Sie würden ohne Zweifel getrennt hinaufgehen, und zwar keiner von beiden zur Toilette, sondern zu einem Schlafzimmer über der Küche. Der Patient fragte sich, welches der teuren Autos, die auf der stillen Straße parkten, dem Marquis de Chamford gehörte. Aber welches auch immer es sein mochte, der Bedienstete in dem Fleischerladen brauchte sich keine Sorgen zu machen; sein Brotgeber würde es bestimmt nicht steuern.

Geld!

Die Frau traf kurz vor ein Uhr ein. Es war eine vom Wind zerzauste Blondine, deren großen Brüste die blaue Seide der Bluse spannten. Sie hatte lange, gebräunte Beine und einen eleganten Gang. Ihre Schuhe hatten hohe Absätze. Unter dem eng anliegenden weißen Rock zeichneten sich ihre Schenkel und Hüften deutlich ab. Chamford mochte Probleme haben, aber jedenfalls hatte er Geschmack.

Zwanzig Minuten später konnte der Patient den weißen Rock durch das Fenster sehen; das Mädchen ging nach oben. Kaum sechzig Sekunden danach füllte eine andere Gestalt den Fensterrahmen aus; sie trug dunkle Hosen und einen Blazer und tappte vorsichtig die Treppe hinauf. Er zählte die Minuten; hoffentlich besaß der Marquis de Chamford eine Uhr.

Seinen Seesack so unauffällig wie möglich an den Gurten tragend, betrat der Patient über den gepflasterten Weg das Restaurant. Drinnen bog er im Vorraum nach links, schob sich an einem älteren Mann vorbei, der mit ihm die Treppe hinaufging, erreichte das Obergeschoß und bog wieder nach links. Er lief einen langen Korridor hinunter, der zum hinteren Teil des Gebäudes führte, der über der Küche lag, passierte die Waschräume und stieß schließlich am Ende des schmalen Flurs eine geschlossene Tür auf. Dort blieb er reglos stehen, den Rücken gegen die Wand gedrückt. Er drehte den Kopf und wartete darauf, bis der ältere Mann die Toilette erreicht hatte und die Tür öffnete, während er sich den Reißverschluß an der Hose aufzog.

Der Patient nahm seinen Seesack und legte ihn — instinktiv, ohne darüber nachzudenken — gegen die Türfüllung. Er hielt ihn mit ausgestreckten Armen fest und schmetterte mit einer einzigen schnellen Bewegung die linke Schulter dagegen. Die Tür sprang auf. Niemand unten im Restaurant konnte etwas gehört haben.

«O Gott, wer ist da?«

«Ruhe!«

Der Marquis de Chamford löste sich von dem nackten Körper der blonden Frau und taumelte über den Bettrand auf den Boden. Er wirkte wie ein Bild aus einer Operette: Immer noch trug er sein gestärktes Hemd, eine gutsitzende Krawatte und seidene, bis zum Knie reichende schwarze Socken; aber das war alles. Die Frau griff nach der Decke und bemühte sich, dem Augenblick die Peinlichkeit zu nehmen.

Der Patient erteilte rasch seine Befehle:»Keinen Laut! Wenn Sie genau tun, was ich sage, passiert niemandem etwas.«

«Meine Frau hat Sie angestellt!«schrie Chamford mit lallender Stimme und wirrem Blick.»Ich bezahle Ihnen mehr.«

«Das fängt gut an«, antwortete Dr. Washburns Patient.»Ziehen Sie Ihr Hemd und die Krawatte aus. Die Socken auch. «Da sah er das glänzende Goldband am Handgelenk des Marquis.»Und die Uhr.«

Ein paar Minuten später war die Verwandlung perfekt. Die Kleider des Marquis paßten zwar nicht nach Maß, aber niemand würde leugnen können, daß es sich um erstklassiges Tuch und einen hervorragenden Schnitt handelte. Die Uhr war im übrigen eine Girard Perregaux, und Chamfords Brieftasche enthielt über dreizehntausend Franc. Auch die Wagenschlüssel waren eindrucksvolclass="underline" Sie hatten Anhänger aus Sterling-Silber, die sein Monogramm trugen.

«Um Himmels willen, geben Sie mir meine Kleider!«sagte der Marquis, bei dem die Lächerlichkeit seiner Situation langsam den Alkoholdunst hatte durchdringen können.

«Tut mir leid, aber das kann ich nicht«, erwiderte der Eindringling und sammelte seine eigenen Kleider und die der Blondine auf.

«Aber meine können Sie doch nicht nehmen!«schrie sie.

«Ich hab' Ihnen gesagt, daß Sie ruhig sein sollen.«

«Schon gut, schon gut«, fuhr sie fort,»aber Sie können nicht… «

«Doch, ich kann. «Der Patient sah sich im Zimmer um; auf einem niedrigen Tisch am Fenster stand ein Telefon. Er ging darauf zu und riß das Kabel aus der Wand.»Jetzt wird Sie niemand stören«, sagte er und griff nach seinem Sack.

«Damit kommen Sie nicht durch, das wissen Sie doch«, herrschte Chamford ihn an,»Die Polizei wird Sie finden!«

«Die Polizei?«fragte er.»Glauben Sie wirklich, daß Sie die Polizei rufen sollten? Dann wird ein ausführlicher Bericht geschrieben, und Sie werden alle Einzelheiten schildern müssen. Ich bin nicht so sicher, daß das eine besonders gute Idee ist. Sie wären wohl besser dran, wenn Sie auf den Burschen warteten, der Sie heute nachmittag abholen soll. Ich hörte, daß er Sie an der Marquise vorbei in den Stall schmuggeln will. Wenn man alles bedenkt, finde ich, wäre dies das beste für Sie. Ich bin überzeugt, daß Ihnen eine gute Geschichte für das einfällt, was Ihnen passiert ist. Ich werde Ihnen nicht widersprechen.«

Der unbekannte Dieb verließ das Zimmer und schloß die beschädigte Tür hinter sich.

Sie sind nicht hilflos. Sie werden schon einen Weg finden.

Bis jetzt hatte er es geschafft, und das machte ihm fast ein wenig angst. Was hatte Washburn gesagt? Daß seine Fertigkeiten und Talente zurückkehren würden… aber ich glaube nicht, daß Sie jemals imstande sein werden, sie mit irgend etwas in Ihrer Vergangenheit in Verbindung zu bringen.

Was für eine Art von Vergangenheit war es, in der er sich die Fertigkeiten angeeignet hatte, die er in den letzten vierundzwanzig Stunden an den Tag gelegt hatte? Wo hatte er gelernt, seinen Gegner mit gezielten Fußtritten zum Krüppel zu schlagen? Woher kannte er genau die Körperstellen, die seine Hiebe treffen mußten? Wer hatte ihm beigebracht, wie man mit Leuten auf der anderen Seite des Gesetzes umging und sie dazu provozierte, etwas Illegales zu tun? Wie kam es; daß er so schnell auf bloße Andeutungen reagieren konnte und doch zweifelsfrei überzeugt war, daß seine Instinkte richtig waren? Woher hatte er das Gespür, in einem beiläufigen Gespräch, das er zufällig in einem Fleischerladen mit anhörte, die Chance zur Erpressung zu wittern? Aber noch viel bedeutender war vermutlich die einfache Entscheidung, das Verbrechen durchzuführen. Mein Gott, wie konnte er nur?

Je mehr Sie dagegen ankämpfen, desto mehr quälen Sie sich, desto schlimmer wird es sein.

Als er im Jaguar des Marquis de Chamford saß, konzentrierte er sich auf den Verkehr und das mahagonigetäfelte Armaturenbrett vor sich. Die Instrumentenanordnung war ihm nicht vertraut; in seiner Vergangenheit war er also offenbar nicht in solchen Wagen gefahren. Wahrscheinlich sagte ihm das etwas.