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Jetzt. Jason rannte auf die Treppe zu, raste hinunter, hielt das Geländer, versuchte, mit letzter Kraft das Gleichgewicht zu halten. Er durfte keinen Augenblick vergeuden; jeder konnte sein letzter sein. Wenn er das erste Stockwerk erreichen würde, dann jetzt; unmittelbar nach dem Tod des Soldaten. Und als er über die Leiche sprang, wußte Borowski, daß es ein Soldat war, nicht Carlos. Der Mann war hochgewachsen, und seine Haut war weiß, sehr weiß, seine Züge waren nordisch, oder jedenfalls nordeuropäisch, keineswegs südländisch.

Jason rannte in den Korridor des ersten Stockes, suchte die Schatten, preßte sich gegen die Wand. Jetzt blieb er stehen, lauschte. In der Ferne war ein scharfes Scharren zu hören, jetzt auch eines von unten. Er wußte, der Mörder bewegte sich im Erdgeschoß. Und das Geräusch war nicht absichtlich gewesen; es war nicht laut und auch nicht lang genug gewesen, um auf eine Falle zu deuten. Carlos war verletzt — eine zerschlagene Kniescheibe oder ein gebrochenes Handgelenk würden seine Orientierung genügend behindern, um ihn mit einem Möbelstück kollidieren oder mit einer Waffe in der Hand gegen eine Wand stoßen zu lassen und dabei das Gleichgewicht zu verlieren, wie Borowski das seine verlor. Das war es, was er wissen mußte.

Jason duckte sich und kroch zur Treppe zurück, zu der

Leiche, die über den drei untersten Stufen lag. Er mußte einen Augenblick innehalten; er spürte, wie die Kräfte ihn verließen, er hatte zu viel Blut verloren. Er versuchte, das Fleisch an seinem Hals zusammenzuquetschen und seine Brustwunde zu pressen — alles, um nur die Blutung zu stillen. Aber das war sinnlos; um am Leben zu bleiben, mußte er aus der Villa heraus, den Ort verlassen, an dem Cain zur Welt gekommen war. Jetzt ging sein Atem wieder etwas regelmäßiger, und er griff nach der Maschinenpistole und nahm sie dem Toten weg. Er war bereit zu sterben und bereit, Carlos in die Falle zu locken… Carlos zu töten! Er konnte das Haus nicht verlassen; das wußte er; die Zeit stand nicht auf seiner Seite. Bis dahin würde er zu viel Blut verloren haben. Das Ende war der Anfang: Cain war für Carlos und Delta war für Cain. Nur eine quälende Frage blieb: wer war Delta? Es hatte nichts zu besagen. Das lag jetzt hiner ihm; bald würde Dunkelheit um ihn sein. Nicht gewalttätige, sondern friedliche Dunkelheit… Freiheit von jener Frage.

Und mit seinem Tode würde Marie frei sein, seine Liebe würde frei sein. Anständige Männer würden dafür sorgen, wie Villiers, dessen einziger Sohn auf der Rue du Bac getötet worden war und dessen Leben von der Hure eines Verbrechers zerstört worden war.

Im Laufe der nächsten paar Minuten, dachte Jason und prüfte lautlos den Ladestreifen in der Automatikwaffe, würde er das Versprechen erfüllen, das er jenem Mann gegeben hatte, die Übereinkunft erfüllen, die er mit Männern getroffen hatte, die er nicht kannte. Indem er beides tat, lieferte er den Beweis. Jason Borowski war einmal an diesem Tag gestorben; er würde erneut sterben, aber er würde Carlos mitnehmen. Er war bereit.

Er ging in die Knie und kroch auf den Ellbogen zur Treppe zu. Er konnte das Blut unter sich riechen. Die Zeit verrann. Er erreichte die oberste Stufe, zog die Beine an, griff in die Tasche und holte eine der Straßenfackeln heraus, die er in dem Laden an der Lexington Avenue gekauft hatte. Jetzt wußte er, was ihn gedrängt hatte, sie zu kaufen. Er war wieder in Tam Quan, an das er sich nicht erinnerte, das er vergessen hatte. Die Fackeln hatten es ihm ins Gedächtnis gerufen; sie würden jetzt wieder einen Dschungel beleuchten.

Er wickelte den wachsgetränkten Zünder aus der kleinen, runden Vertiefung an der Fackelspitze, führte ihn zum Mund und biß den Docht auf einen knappen Zoll ab. Er griff in die andere Tasche und holte ein Plastikfeuerzeug heraus, drückte es gegen die Fackel und packte beides mit der linken Hand. Dann preßte er die Schulterstütze der Waffe gegen die rechte Schulter und schob den gebogenen Metallstreifen in das Tuch seiner blutdurchtränkten Militärjacke; hier war er sicher. Er streckte die Beine aus und schob sich wie eine Schlange die letzte Treppe hinunter, den Kopf unten, die Füße oben, so daß sein Rücken an der Wand streifte.

Er erreichte die Mitte der Treppe. Schweigen, Dunkelheit, sämtliche Lichter waren gelöscht worden… Lichter? Licht? Wo waren die Sonnenstrahlen, die er erst vor wenigen Minuten im Korridor gesehen hatte? Sie waren durch zwei französische Türen am anderen Ende des Raumes — jenes Raumes — am Ende des Korridors gekommen, aber er konnte jetzt nur Dunkelheit sehen. Die Türen waren geschlossen worden; die Tür unter ihm, die einzige andere Tür im Korridor, war ebenfalls verschlossen und nur durch einen dünnen Lichtstrahl ganz unten zu erkennen. Carlos zwang ihn zur Wahl. Hinter welcher Türe? Oder gebrauchte der Meuchelmörder eine bessere Strategie? Hielt er sich in der Finsternis des schmalen Ganges selbst verborgen?

Borowski spürte einen stechenden Schmerz am Schulterblatt und dann eine Bluteruption, die das Flanellhemd unter seiner Militärjacke durchtränkte. Eine weitere Warnung; es war nur noch sehr wenig Zeit.

Er preßte sich gegen die Wand, die Waffe auf die dünnen Streben des Geländers gerichtet, nach unten in die Finsternis des Korridors zielend. Jetzt! Er betätigte den Abzug. Das

Stakkato der Explosionen riß die Geländerstreben weg, und das Geländer selbst fiel hinunter, während die Kugeln Wände und Tür unter ihm zerfetzten. Er ließ den Abzug los, fuhr mit der Hand unter den glühend heißen Lauf, packte das

Plastikfeuerzeug mit der rechten Hand und die Fackel mit der linken. Er drehte das Rädchen; der Docht fing Feuer, er hielt ihn an den kurzen Zünder. Dann zog er die Hand wieder weg,

griff wieder nach der Waffe und feuerte erneut, blies unten

alles weg. Ein Glaskandelaber krachte irgendwo zu Boden; das Pfeifen von Querschlägern erfüllte die Dunkelheit. Und dann

— Licht! Blendendes Licht, als die Fackel Feuer fing, den Dschungel mit Flammen erfüllte, die Bäume und die Wände beleuchtete, die verborgenen Wege und die mit Mahagoni vertäfelten Korridore. Der Gestank des Todes und des Dschungels war überall, und er befand sich mittendrin.

Almanach an Delta. Almanach an Delta. Aufgeben. Aufgeben!

Niemals. Nicht jetzt. Nicht am Ende. Cain ist für Carlos und Delta ist für Cain. Carlos in die Falle locken. Carlos töten!

Borowski erhob sich, preßte den Rücken gegen die Wand, hielt die Fackel in der linken Hand und die knatternde Waffe in der rechten. Er stürzte sich hinunter in das mit Teppichen belegte Unterholz, trat die Tür vor sich auf, zerschmetterte Silberrahmen und Trophäen, die von Tischen und Regalen in die Luft flogen. In die Bäume. Er blieb stehen; in jenem stillen, schallgedämpften, eleganten Raum war niemand. Niemand auf dem Dschungelpfad.

Er wirbelte herum, taumelte in den Korridor zurück, jagte einen Feuerstoß über die Wände. Niemand.

Die Tür am Ende des schmalen, finsteren Korridors. Dahinter war der Raum, in dem Cain geboren war. Wo Cain sterben würde, aber nicht allein.

Er hörte auf zu schießen, klemmte die Fackel jetzt in die rechte Hand unter der Waffe und griff in die Tasche, um die zweite Fackel herauszuholen. Er zog sie heraus, wickelte wieder den Zünder auf, biß die Schnur ab, nur Millimeter von der Kontaktstelle der gelatineartigen Brandmasse entfernt. Er hielt die erste Fackel hin; die Lichtexplosion war so hell, daß seine Augen schmerzten. Jetzt hielt er ungeschickt beide Fackeln in der linken Hand, kniff die Augen zusammen und näherte sich langsam der Tür, wobei seine Beine und Arme anfingen, den Kampf um das Gleichgewicht zu verlieren.