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Eine Kreuzfahrt wie diese hatte es noch nie gegeben. Der Skipper des schmutzigen, öldurchtränkten Fischerboots war die übellaunige Kopie eines unbedeutenden Captain Bligh; die Mannschaft ein Quartett von Tunichtguten — ohne Zweifel die einzigen Männer in ganz Port Noir, die bereit waren, Claude Lamouche zu ertragen. Eigentlich gehörte noch ein fünftes Mitglied zur Mannschaft, der Bruder des zweiten Mannes an Bord. Diese Tatsache wurde dem Mann, den man Jean-Pierre nannte, binnen weniger Minuten nach Verlassen des Hafens um vier Uhr morgens klargemacht.

«Du nimmst meinem Bruder die Arbeit weg!«fauchte der Fischer ärgerlich, während er an seiner Zigarette paffte, die unbeweglich in seinem Mundwinkel hing.

«Es ist ja nur für eine Woche«, entgegnete Jean-Pierre. Es wäre leichter gewesen — viel leichter — anzubieten, den jetzt arbeitslos gewordenen Bruder mit Washburns monatlichem Taschengeld zu entschädigen, aber der Arzt und sein Patient waren übereingekommen, solche Kompromisse zu unterlassen.

«Hoffentlich kannst du wenigstens mit den Netzen umgehen.«

Er verstand nichts davon.

In den nächsten 72 Stunden gab es Augenblicke, in denen der Mann namens Jean-Pierre dachte, er müsse doch auf die letzte Alternative zurückgreifen und sich mit Geld Ruhe verschaffen. Unablässig hackte man auf ihm herum, selbst während der Nacht — besonders dann. Als er an Deck auf der schmutzigen Matratze lag, hatte er das Gefühl, als wären Augen auf ihn gerichtet, die nur darauf warteten, daß er einschlief.

«Du! Übernimm die Wache! Der Maat ist krank. Du mußt ihn vertreten.«

«Steh auf! Philippe schreibt seine Memoiren. Er darf nicht gestört werden.«

«Aufstehen! Du hast heute nachmittag ein Netz zerrissen. Wir zahlen nicht für deine Dummheit. Darüber sind wir uns einig. Flicke es jetzt.«

Die Netze: Wenn für eine Seite zwei Männer benötigt wurden, so nahmen seine zwei Arme die Stelle von vier ein. Wenn er neben einem Mann arbeitete, dann ließ der die Last plötzlich los, und das ganze Gewicht ruhte auf ihm. Oder jemand stieß ihn mit der Schulter so an, daß er gegen die Schiffswand prallte und beinahe über Bord gefallen wäre.

Und Lamouche: ein hinkender Wahnsinniger, der jede

Seemeile an der Zahl der Fische maß, die er verloren hatte. Seine Stimme klang wie ein schnarrendes Nebelhorn. Er sprach nie jemanden an, ohne irgendeinen obszönen Ausdruck vor den Namen zu setzen, eine Angewohnheit, die den Patienten in zunehmendem Maße wütender machte. Aber Lamouche rührte Washburns Patienten nicht an; er schickte dem Arzt nur auf seine Weise seine Botschaft: Tu mir das nie wieder an. Nicht, wenn es um mein Boot und meinen Fang geht. Lamouche wollte bei Sonnenuntergang des dritten Tages zurück in Port Noir sein. Nach dem Ausladen der Fische sollte die Mannschaft bis vier Uhr am nächsten Morgen Zeit bekommen, um auszuschlafen, herumzuhuren, sich zu betrinken oder mit etwas Glück die drei Beschäftigungen gleichzeitig auszuüben. Als sie Land sichteten, geschah es. Die Netze wurden vom Netzmann und seinem ersten Helfer mittschiffs eingezogen und zusammengefaltet. Das unwillkommene Mannschaftsmitglied, das sie» Jean-Pierre Sangsue«(»Blutsauger«) beschimpften, scheuerte das Deck mit einem langstieligen Schrubber. Die zwei übrigen Crewmitglieder schwappten Eimer mit Seewasser vor den Schrubber, wobei sie häufiger den Blutsauger als die Deckplanken trafen.

Ein voller Eimer wurde hoch geworfen und blendete Washburns Patienten einen Augenblick lang, so daß er das Gleichgewicht verlor. Der schwere Schrubber mit den metallähnlichen Borsten rutschte ihm aus der Hand und traf mit seinen scharfen Borsten den Schenkel des knienden Netzmannes.

«Verdammte Scheiße!«

«Tut mir leid«, sagte der Übeltäter und wischte sich das Wasser aus den Augen.

«Der Teufel soll dich holen!«schrie der andere.

«Ich habe gesagt, daß es mir leid tut«, erwiderte der Mann namens Jean-Pierre.»Sag deinen Freunden, sie sollen das Deck naß machen, nicht mich.«

Der Netzmann stand auf, packte den Schrubberstiel und hielt ihn wie ein Bajonett vor sich.»Willst du spielen, Blutsauger?«

«Komm, gib her.«

«Mit Vergnügen, Blutsauger. Hier!«Der Netzmann stieß mit dem Schrubber zu, so daß die Borsten über Brust und Bauch des Patienten fuhren und sein Hemd durchdrangen.

Ob es nun die Berührung mit den Narben war, die seine Wunden bedeckten, oder die Wut nach drei Tagen Quälerei, würde der Mann nie erfahren. Er wußte nur, daß er reagieren mußte. Und seine Reaktion erschreckte ihn mehr, als er sich hätte vorstellen können.

Er packte den Schrubberstiel mit der rechten Hand und trieb ihn dem Mann in den Leib. In dem Augenblick, da der andere nach vorne taumelte, trat er mit dem linken Fuß zu und traf den Mann an der Kehle.

«Tao!« Der gutturale Laut kam unwillkürlich über seine Lippen; er wußte nicht, was es bedeutete.

Und ehe er begriff, war er herumgewirbelt, und jetzt schoß sein rechter Fuß vor und bohrte sich in die linke Niere des Seemanns.

«Che-sah!« keuchte er.

Sein Gegner fuhr zurück und warf sich, von Schmerz und Wut getrieben, nach vorne, die Hände wie Klauen ausgestreckt.»Du Schwein!«

Der Patient duckte sich; seine rechte Hand packte den anderen am linken Unterarm und riß ihn herunter. Dann schoß er in die Höhe und drückte dabei den Arm seines Opfers nach oben und drehte ihn herum. Als er ihn losließ, jagte er ihm den Absatz ins Kreuz. Der Franzose brach über dem Netz zusammen, sein Kopf prallte gegen die Reling.

«Mee-sah!« Wieder wußte er nicht, was sein halblauter Schrei bedeutete.

Ein Matrose umklammerte von hinten seinen Hals, worauf der Patient seinen rechten Ellbogen in den Leib seines Angreifers rammte. Jean-Pierre beugte sich vor, packte den Ellbogen rechts von seiner Kehle und duckte sich. Der Angreifer wurde in die Höhe gehoben; seine Beine strampelten in der Luft, als er über das Deck geschleudert wurde. Schließlich blieb sein Kopf neben den Zahnrädern einer Winde liegen.

Jetzt waren die zwei übriggebliebenen Männer über ihm. Fäuste trommelten auf ihn ein. Der Patient griff nach dem Handgelenk eines Mannes, bog es nach unten und drehte es mit einer ruckartigen Bewegung nach links. Der Mann schrie auf— das Handgelenk war gebrochen.

Washburns Patient verschränkte die Finger beider Hände ineinander, schwang die Arme wie einen Vorschlaghammer in die Höhe und traf den Matrosen mit dem gebrochenen Handgelenk am Kinn. Der Mann wurde nach hinten geschleudert und brach auf dem Deck zusammen.

«Kwa-sah!« Das Flüstern hallte in den Ohren des Patienten nach.

Der vierte Mann schlich sich nach rückwärts davon.

Es war vorbei. Drei Angehörige von Lamouches Mannschaft waren besinnungslos, schwer für das bestraft, was sie getan hatten. Es war zweifelhaft, daß auch nur einer von ihnen um vier Uhr früh imstande sein würde, ans Dock zu kommen.

Als Lamouche jetzt sprach, klang gleichermaßen Erstaunen und Verachtung in seinen Worten.»Ich weiß nicht, woher Sie kommen, aber Sie werden dieses Boot verlassen.«

Der Mann ohne Gedächtnis begriff die ungewollte Ironie in den Worten des Kapitäns. Ich weiß auch nicht, woher ich komme.

«Sie können nicht länger hier bleiben«, sagte Geoffrey Washburn, als er in das abgedunkelte Schlafzimmer trat.»Ich hatte ehrlich geglaubt, ich könnte verhindern, daß Sie ernsthaft angegriffen werden. Aber jetzt, wo Sie den Schaden angerichtet haben, bin ich nicht mehr in der Lage, Sie zu schützen.«

«Man hat mich provoziert.«

«In dem Maße? Ein Mann hat ein gebrochenes Handgelenk und Platzwunden am Hals und im Gesicht, die ich nähen muß. Ein anderer hat Platzwunden am Kopf, dazu eine schwere Gehirnerschütterung und eine Nierenverletzung, deren Ausmaß ich noch nicht kenne. Ganz zu schweigen von einem Tritt in den Unterleib, von dem die Hoden angeschwollen sind! Ich glaube, man nennt das Overkill.«