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Bolitho nahm die letzten Steinstufen zur Brustwehr des Forts im Eilschritt und bemerkte mit Genugtuung, daß er nicht außer Atem gekommen war. An Land bekam man doch mehr körperliche Bewegung als an Bord.

Es war noch früh am Morgen und angenehm kühl nach der schweren nächtlichen Regenbö. Typisches Wetter für die Inseln dieser Gegend, dachte er. Regengüsse bei Nacht, und eine Stunde nach Sonnenaufgang schon so starke Hitze, daß alles wieder knochentrocken wurde.

Leutnant George Lemoine, der den Trupp des 60. Infanterieregiments befehligte, griff grüßend zum Hut.»Ich hörte, daß Sie schon früh auf den Beinen sind, Sir«, lächelte er.

Bolitho beugte sich über die Brüstung und blickte auf das schimmernde Wasser des Hafens hinunter. Ein großer Teil lag noch im Schatten, aber bald mußte die Sonne über den Vulkangipfel steigen; dann würden die Schiffe wie die Stadt dahinter im Hitzeglast verschwimmen. Er sah Achates' schwarzen Rumpf mit den hellbraunen Streifen der Batteriedecks und fragte sich, ob Keen immer noch über den endlosen Vorratslisten grübelte.

Ihr Frischproviant wurde allmählich knapp; und Trinkwasser mußte Faß für Faß von den Seeleuten an Bord geschafft werden. Die Inselbewohner rührten immer noch keinen Finger für die Briten, sondern beriefen sich auf ihre Armut, wenn Früchte oder Obstsäfte für die Besatzung besorgt werden sollten.

Bolitho hatte sein Bestes getan, um mit der Bevölkerung in Kontakt zu kommen. Das Ausweglose ihrer Situation war ihm durchaus klar.

Die Pflanzer und Händler verübelten ihm, daß ihre Schiffe weder aus-noch einlaufen konnten und daß Frachtsegler, die Waren nach San Felipe brachten, durchsucht werden mußten, ehe man sie auf Reede ankern ließ. Selbst eine vollbesetzte Garnison und mehrere Kriegsschiffe wären pausenlos beschäftigt gewesen mit dieser Aufgabe, die Lemaines Soldaten und die Marineinfanteristen jetzt ganz allein bewältigen mußten.

Bolitho holte tief Atem. Unten lag seine Barkasse an der Pier des Forts, wo er vor drei Monaten Rivers zum erstenmal gegenübergetreten war. Nun schrieben sie Ende September, und Adam wurde stündlich zurückerwartet. In Vivid. Hatte er sie Tyrrell zur Belohnung oder als Bestechung geschenkt? Ganz klar war er sich immer noch nicht über seine Motive.

Und Bolitho dachte auch an Falmouth: herbstliches Laub in roten und braunen Farbtönen, abends dann der Duft der Holzfeuer; tüchtig und zuversichtlich gingen die Leute ihrem Tagwerk nach, denn Schiffe wie Achates sicherten ihnen den Frieden.

Von Belinda war kein weiterer Brief gekommen, aber schließlich hatten ihn von nirgendwo neue Nachrichten erreicht. Die Insel schien vom Rest der Welt abgeschnitten zu sein, auch wenn die Ausguckposten gelegentlich fern am Horizont die Toppsegel unidentifizierter Kriegsschiffe gemeldet hatten.

Vielleicht war alles längst vorbei? Das unvermutete Aufspüren des versteckten Zweideckers und seine Versenkung konnten die Angriffsgelüste der Spanier erstickt haben.

Aber die Ungewißheit kostete Bolitho Nerven und Schlaf. Er hatte sich angewöhnt, in der Morgenkühle über die Insel zu reiten oder dem Fort einen Besuch abzustatten, und sei es nur, um der Besatzung zu zeigen, daß sie nicht vergessen war.

Manchmal fragte er sich, ob die Kunde von den Ereignissen um San Felipe schon bis in die Straßen Londons oder aufs Land gedrungen war. Würde Belinda dann begreifen, was hier wirklich vorging? Bestimmt gab es genug Neider, die sein Vorgehen nur als Bemühen interpretieren würden, den Verlust von Duncans Sparrowhawk zu verschleiern.

Der Ruf eines Wachtpostens riß Bolitho aus seinen Gedanken.»Kanonenfeuer, Sir! Östlich von hier.»

Lemoine straffte sich.»Bei Gott, er hat recht. «Durch die gewölbten Hände rief er:»Korporal der Wache, geben Sie Alarm!»

Schon sah Bolitho die Rotröcke aus ihren Kasematten unterhalb der Festungsmauern rennen.

Die Kanonenschüsse hatten wahrscheinlich nicht viel zu bedeuten, waren vielleicht nur eine Geste ohnmächtigen Trotzes von einem weit draußen passierenden spanischen Schiff. Aber man durfte nichts riskieren.

Er sah sich um und gewahrte im Schatten des Wachtturms Mids-hipman Evans, der schon ein Teleskop aus seinem Futteral zog. Es war fast unheimlich, wie der Junge jedem seiner Schritte folgte und stets zu erraten schien, was er als nächstes tun würde.

Doch war es noch nicht hell genug, um weit über das Vorland hinaussehen zu können. Oder doch? Ja, da war es: das von der Unterseite einer Wolke reflektierte Aufblitzen. Und noch eines. Zu sporadisch für ein Seegefecht. Also wahrscheinlich eine Verfolgungsjagd.

Bolitho winkte Evans heran.»Verständigen Sie das Wachboot, man soll Achates vorwarnen. Eine Empfehlung an Kapitän Keen, und ich lasse ihm ausrichten, daß wir Gesellschaft bekommen, noch ehe der Tag voll angebrochen ist.»

Er sah Crocker, den Artilleriemaat der Achates, auf der oberen Bastion herbeilaufen, gefolgt von keuchenden Soldaten.

Crocker, wahrscheinlich der älteste Mann an Bord, war mit seinem dünnen weißen Nackenzopf und seltsam hüpfenden Gang ein richtiges Original. Seit ihn etwa in Adams Alter ein Splitter ins linke Auge getroffen hatte, war er darauf fast blind. Doch mit dem rechten Auge sah er so scharf wie ein Falke, und wenn er einen Kanonenlauf ausrichtete und abfeuerte, traf er besser als eine ganze Crew. Er verstand sich auch aufs Kugelerhitzen, und Bolitho glaubte schon die beißenden Schwaden zu riechen, die von den hinter der Brüstung aufgestellten Essen aufstiegen.

Crocker schien überrascht, seinen Vizeadmiral auf der Bastion anzutreffen. Grüßend tippte er sich an die Stirn und drehte dann seine Mütze herum, damit er besser durch die Schießscharten spähen konnte. Jetzt sah er noch verwegener aus, und Bolitho konnte es seinen Stückführern leicht nachfühlen, daß sie ihn wie die Pest fürchteten.

«Feiner Morgen für 'ne Ballerei, Sir!»

Bolitho mußte lächeln.»Halten Sie sich bereit.»

Lemoine sah dem davonhastenden Crocker nach.»Der hat meine Männer ziemlich in Trab gehalten, Sir.»

Von der Kirche in der Stadt klang Glockengeläut herüber, dünn und melancholisch in der feuchten Morgenluft.

«Was bedeuten die Glocken, Mr. Lemoine?«Bolitho hielt sein Teleskop auf das ferne Schiff gerichtet.

Der Leutnant unterdrückte ein Gähnen. Er hatte bis nach Mitternacht mit seinem Stellvertreter Karten gespielt — und verloren.

«Hier auf der Insel leben viele Katholiken, Sir«, antwortete er.»Die Glocken rufen zur Morgenandacht. «Als Bolitho schwieg, fügte er noch erläuternd hinzu:»Heute ist ein Feiertag für sie, der Namenstag von St. Damian.»

Lemoine ging ohne Scheuklappen durch die Welt, dachte Bolitho zufrieden. Im Gegensatz zu manchen Offizieren, für die außerhalb ihres eigenen engen Befehlsbereichs nichts anderes existierte.

Wieder Kanonenfeuer. Es klang, als versuchten sie, ein Schiff am Einlaufen zu hindern. Adam fiel ihm ein. Nein, ihn betraf es bestimmt nicht. Tyrrell war ein viel zu alter Fuchs, um sich so früh fangen zu lassen.

Er schwenkte das Glas zum anderen Vorland herum, das sich eben aus dem Schatten schälte. An seinem felsigen Fuß erkannte er schon die weiße Brandung und weiter draußen die Kette größerer Felsblök-ke, die ins Meer hinausragte und den bezeichnenden Namen Cape Despair, Kap der Verzweiflung, trug.

Schritte polterten die Treppe herauf, und ein Melder erstattete Le-moine bellend Bericht. Der Leutnant wandte sich an Bolitho:»Me l-dung vom Flaggschiff, Sir: alle Boote ausgesetzt und Patrouillen alarmiert.»

Bolitho konnte sie vor sich sehen, die kleinen Truppen der Marineinfanteristen, verstärkt durch ein paar Freiwillige der Inselmiliz. Eine kleine Streitmacht, aber wenn sie geschickt eingesetzt wurde, konnte sie wenigstens verhindern, daß durch den Riffgürtel Stoßtrupps angelandet wurden. Abgesehen davon gab es nur eine Zufahrt, eine sichere, und das war der Weg, den Keen nachts gewählt hatte. Aber wenn der Feind dort einen Durchbruch versuchte, würde ihm der alte Crok-ker mit seinen glühenden Kugeln tüchtig einheizen.