»Und niemand hat davon erfahren?«
»Sie haben es selbst gesagt, Craven«, antwortete Spears ernst.
»Bis auf eines waren es ausschließlich Schiffe der Scotia-Reederei. Und aus diesem Grund, den ich noch nicht kenne, ist sie stark daran interessiert, nichts davon an die Öffentlichkeit dringen zu lassen.«
»Ein Racheakt?« vermutete ich. »Vielleicht die Konkurrenz?«
»Kaum«, antwortete Spears. »Wir haben jeden, der auch nur entfernt in Frage käme, durchleuchtet.«
Seine Antwort gab mir endlich Gelegenheit, die Frage loszuwerden, die mir schon die ganze Zeit auf der Zunge brannte.
»Welche Rolle spielen Sie in dieser Sache, Spears?« fragte ich. »Sie und Ihre Leute. Was hat der Geheimdienst damit zu tun, wenn jemand Jameson und seine Firma fertigmacht?«
Spears lachte humorlos. »Sie machen mir Spaß, Craven«, sagte er. »Wenn es dort draußen jemanden oder etwas gibt, der in der Lage ist, ein Dutzend Schiffe spurlos verschwinden zu lassen, dann interessiert das die Marine mit Sicherheit. Ich sagte es bereits - es ist gut möglich, daß die Sicherheit des Empires selbst bedroht ist.«
»Dieses eine Schiff, das nicht zur Scotia gehörte...« begann ich.
»War ein Kriegsschiff Ihrer Majestät«, sagte Spears. »Die Silver Arrow. Sie war nicht sehr groß, Craven, aber gut genug bewaffnet, es mit jedem dahergelaufenen Piraten aufnehmen zu können.« Er ballte zornig die Hände zu Fäusten. »Wir haben nicht einmal mehr eine Planke von ihr gefunden.« Ich starrte ihn an, aber ich sah ihn gar nicht. Vor meinen Augen stand plötzlich das Bild eines kunstvoll angefertigten, großen Schiffsmodelles. Das Modell eines Kriegsschiffes, groß wie eine schwimmende Stadt und stark genug bewaffnet, es mit einer ganzen Flotte aufnehmen zu können. Und mit einem kleinen Messingschildchen am Bug, auf dem sein Name stand: Dagon.
Der Ausdruck auf Jamesons Gesicht war immer betroffener geworden, mit jedem Wort, das er hörte. Feinperliger kalter Schweiß bedeckte seine Stirn, trotz der unangenehmen, klammen Kälte, die in dem unterirdischen Gewölbe herrschte. Seine Handflächen waren feucht, und sein Blick irrte unstet zwischen dem bärtigen Gesicht McGillycaddys und dem schwarzen, glitschigen Ding hin und her, das neben und hinter ihm in den stinkenden Abwässern schwamm, die das Siel füllten. Von Zeit zu Zeit glaubte er, ein leises Schlürfen und Schmatzen zu vernehmen, und im gleichen Rhythmus stiegen blubbernde Luftblasen aus dem schlammigen Wasser. Jameson versuchte krampfhaft, an etwas anderes zu denken, um sich nicht übergeben zu müssen.
»Ich... finde die Idee nicht besonders gut«, sagte er stockend. Die gewölbte Decke des Tunnels fing seine Worte auf und warf sie als verzerrtes Echo zurück, und wie zur Antwort bewegte sich die schwarze Scheußlichkeit hinter McGillycaddy unruhig. Ein langer, stachelbewehrter Schwanz zuckte wie der Kopf einer Schlange aus dem Wasser und fiel klatschend zurück. Jamesons Magen begann sich zu einem schmerzhaften Knoten zusammenzuziehen.
»Ich kann mich nicht erinnern, dich nach deiner Meinung gefragt zu haben«, antwortete McGillycaddy scharf. Jameson fuhr wie unter einem Hieb zusammen, aber irgendwie brachte er es fertig, McGillycaddys Blick standzuhalten und ein zweites Mal mit dem Kopf zu schütteln. »Darum geht es nicht«, sagte er stockend. »Wir... wir sind noch nicht soweit. Wir brauchen noch Monate, um...«
McGillycaddy unterbrach ihn mit einer wütenden Handbewegung. »Du hast genau zwei Tage!« sagte er heftig. »Nicht mehr.«
»Aber das ist vollkommen unmöglich!« keuchte Jameson. »Allein die...«
»Unmöglich?« unterbrach ihn McGillycaddy. »Nun, wenn es wirklich unmöglich ist, Jameson, dann schlage ich vor, du begleitest mich und sagst es ihm selbst. Ich bin sicher, daß er dir nichts antun wird, wenn du die Wahrheit sagst.« Er lachte böse. »Du weißt doch - er ist hart, aber nicht ungerecht.« Jameson erbleichte noch mehr. Seine Zunge fuhr nervös über die Lippen, die trotz der mit Feuchtigkeit gesättigten Luft mit einem Male trocken und rissig waren. Für eine Sekunde saugte sich sein Blick an dem widerlichen schwarzen Etwas hinter, McGillycaddy fest.
Schließlich nickte er. »Wir werden es versuchen.«
McGillycaddy schüttelte den Kopf. »Nicht versuchen, Jameson. Ihr werdet es tun.«
Jameson nickte. »Wir werden da sein«, sagte er. »Aber es ist gefährlich. Die Soldaten sind noch immer in der Stadt.«
»Es ist euch nicht gelungen, ihr Mißtrauen zu besänftigen?« fragte McGillycaddy. »Du hattest Zeit genug.«
»Es... es war alles in Ordnung«, stammelte Jameson hastig. »Sie haben keine Ahnung, daß wir von ihrer Anwesenheit wissen. Sie wären gegangen, wenn nicht...« Er brach ab, biß sich auf die Lippen und senkte hastig den Blick.
»Wenn nicht?« wiederholte McGillycaddy. »Wenn nicht was, Jameson?«
Der dickleibige Reeder begann unruhig von einem Fuß auf den anderen zu treten. Plötzlich schien er nicht mehr zu wissen, wohin mit seinen Händen. »Wenn Bannermann nicht aufgetaucht wäre«, stieß er schließlich hervor.
Eine einzelne, endlose Sekunde lang starrte McGillycaddy Jameson nur an. Sein breitflächiges, bärtiges Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse. »Bannermann?« keuchte er. »Bannermann ist hier! Hier in Aberdeen?«
»Er kam heute morgen«, bestätigte Jameson leise. »Zusammen mit einem Fremden, einem Mann namens Raven - oder so ähnlich.«
»Du Idiot!« zischte McGillycaddy. »Du verdammter Trottel! Ich hatte dir befohlen, Bannermann zu erledigen! Er hätte niemals hierher zurückkehren dürfen. Verdammt - er hätte Aberdeen nicht lebend verlassen dürfenl«
»Ich hatte alles in die Wege geleitet«, verteidigte sich Jameson. »Ich konnte ihn nicht umbringen lassen, ohne noch mehr Aufsehen zu erregen. Himmel, McGillycaddy - glaubst du denn, es wäre niemandem aufgefallen, daß fast unsere gesamte Flotte innerhalb eines Vierteljahres abgesoffen ist? Bannermann hätte den Untergang der Poseidon nicht überleben dürfen.«
McGillycaddy tat so, als überhöre er den Vorwurf in Jamesons Worten. »Er hat es aber!« schnappte er. »Und ich gab dir Befehl, ihn zu...«
»Du hast mir nichts zu befehlen!« sagte Jameson in einem schwachen Anflug von Trotz.
In McGillycaddys Augen blitzte es auf. »Nein?« fragte er lauernd. »Nun, vielleicht hast du sogar recht, Jameson. Wäre es dir lieber, in Zukunft deine Befehle gleich von ihm zu erhalten?«
Jameson erbleichte noch weiter. »So... so war das nicht gemeint«, stammelte er. »Es ist nur... ich... ich habe es nicht gewagt ihn zu töten, nachdem diese verdammten Soldaten anfingen, hier herumzuschnüffeln. Ich hatte alles genau geplant, McGillycaddy. Es war alles in Ordnung! Ich habe es so gedreht, daß jeder Bannermann die Schuld am Untergang der Poseidon gab. Früher oder später hätte er selbst der Sache ein Ende bereitet und uns noch einen Gefallen damit getan. Alles war in bester Ordnung, bis dieser Raven oder Craven aufgetaucht ist!«
McGillycaddy schwieg einen Moment. Seine Kiefer mahlten, und seine Unruhe schien sich auf das formlose schwarze Etwas hinter ihm im Wasser zu übertragen, denn seine Bewegungen wurden hektischer.
»Wer ist dieser Kerl?« fragte er schließlich.
Jameson zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht«, gestand er. »Irgendein Freund von Bannermann, vermute ich. Er kommt aus London. Und er schien sehr gut informiert zu sein.«
»Was hast du getan?« fragte McGillycaddy.
»Nichts«, antwortete Jameson. »Ich habe ihn fortgeschickt. Er will wiederkommen.«
»So«, sagte McGillycaddy, »will er das? Nun, das werden wir sehen. Vielleicht finde ich einen Weg, ihn davon abzuhalten. Hat er gesagt, in welchem Hotel er wohnt.«