»Im... im Four Seasons«, sagte Jameson stockend. »Aber da ist er nicht.« McGillycaddy blinzelte, legte den Kopf auf die Seite und sah Jameson durchdringend an. »Und wo«, fragte er betont, »ist er jetzt?«
Jameson druckste herum. »Bei Spears«, sagte er schließlich.
McGillycaddy erbleichte. »Spears? Bei... bei den Soldaten?«
»Ja«, gestand Jameson. »Ich habe Clanston und ein paar seiner Jungs hinter Bannermann und ihm hergeschickt. Bannermann haben sie erwischt, aber dann kamen die Soldaten dazwischen, und...«
»Du hast WAS!« brüllte McGillycaddy. Von der Ruhe, die er bisher trotz allem bewahrt hatte, war nichts mehr geblieben. »Willst du damit sagen, daß dieser Craven jetzt bei Spears ist und sich vermutlich glänzend mit ihm unterhält?«
»Was sollte ich denn tun?« wimmerte Jameson. »Spears Leute waren in der Überzahl, und sie waren bewaffnet. Und selbst wenn nicht - hätte ich eine Schlacht mit der Marine anfangen sollen?«
McGillycaddys Lippen begannen zu zittern. »Du Idiot«, sagte er. »Du hirnverbrannter, dämlicher Idiot! Du läßt Bannermann am hellichten Tage entführen und läßt es auch noch zu, daß der einzige Zeuge schnurstracks zu Spears rennt! Bei allen Seeteufeln - einen besseren Vorwand kann sich Spears doch gar nicht mehr wünschen, dich hochzunehmen!«
»Das wird er nicht tun!« stammelte Jameson. »Er... er wird abwarten. Und selbst wenn nicht, kommt er zu spät. Selbst wenn ...«
»Selbst wenn er es tut«, fiel ihm McGillycaddy ins Wort, »ändert das nichts mehr, Jameson. Nicht für dich.«
Jameson erstarrte. Es schien ein paar Sekunden zu dauern, bis ihm die Bedeutung von McGillycaddys Worten wirklich zu Bewußtsein kam.
»Es war nicht meine Schuld!« wimmerte er. »Ich... ich habe...«
»Versagt«, sagte McGillycaddy kalt.
»Bitte!« stöhnte Jameson. Seine Augen wurden rund vor Angst, während sich sein Blick an dem schwarzglänzenden Etwas hinter McGillycaddy festsaugte. Das brackige Abwasser, das den gewaltigen Körper bedeckte, schien stärker zu wogen und brodeln. »Das... das kannst du nicht tun«, stammelte er. »Ich habe alles getan, was ich konnte. Woher sollte ich wissen, daß ...«
McGillycaddy hob die Hand, und Jameson brach mit einem krächzenden Schrei ab.
»Du hast versagt«, sagte McGillycaddy noch einmal. Plötzlich war jedes Gefühl aus seiner Stimme verschwunden. Sie war kalt wie Stahl. »Du warst schon immer ein Narr, Jameson, aber ein nützlicher Narr. Jetzt hast du einen Fehler zuviel begangen. Du weißt, was das bedeutet.«
»Nein!« stöhnte Jameson. »Bitte, ich... ich will alles tun, was du willst. Ich gehe zu Spears und stelle mich ihm. Damit wird er sich zufrieden geben, ganz bestimmt. Bis er merkt, was wirklich passiert, ist es längst zu spät. Ich gehe gleich zu ihm, wenn du es willst.«
»Du wirst nirgendwo mehr hingehen«, sagte McGillycaddy leise. Seine Hand vollführte eine rasche, kaum merkliche Bewegung.
Jamesons Schrei ging im Klatschen und Rauschen des hochspritzenden Wassers unter. Der braune Schlick hinter ihm schien zu explodieren. Etwas Gigantisches, Schwarzes erhob sich wie ein Schatten aus einer längst vergessenen Zeit hinter dem Schotten aus dem brackigen Wasser, klatschte gegen die niedrige Decke des gewölbten Tunnels - und schoß auf Jameson zu.
Jameson reagierte im letzten Moment. Mit einem verzweifelten Schrei warf er sich zur Seite, spürte einen Schlag gegen Hüfte und Schulter und verlor auf dem glitschigen Boden den Halt. Hart schlug er auf, wälzte sich mit einer Behendigkeit herum, die man einem Mann seiner Statur kaum zugetraut hätte, und sprang auf die Füße.
Er führte die Bewegung nicht zu Ende.
Plötzlich war das aufgedunsene Etwas über ihm, warf ihn zurück und preßte ihn gegen den schmierigen Stein. Jameson schrie, stieß das Ding mit der Kraft der Verzweiflung von sich und brüllte ein zweites Mal, als sich scharfe Zähne durch seine Hose gruben und sein Bein aufrissen. Blind vor Angst und Schmerz trat er um sich, spürte, wie er etwas Weiches traf, und kam endlich auf die Füße.
Jameson wirbelte herum, stieß McGillycaddy zur Seite und rannte los, verfolgt von den Dämonen der Furcht und einem, gräßlichen, platschenden Geräusch, als schleife ein riesiges Stück nassen Leders über den Stein. Ein fürchterliches Lachen erscholl, und dann - schon weit entfernt - hörte er ein letztes Mal McGillycaddys Stimme.
»Lauf nur, Jameson!« schrie der Schotte. »Lauf zu deinem Spears. Vielleicht hilft er dir jal«
Jameson torkelte weiter. Seine Lungen begannen zu stechen, und der gewölbte Gang verschwamm immer wieder vor seinem Blick, aber die Angst gab ihm schier übermenschliche Kräfte. Immer wieder glitt er auf dem glitschigen Stein aus und schlug schmerzhaft zu Boden, und immer wieder sprang er hoch und torkelte weiter. Wie von Furien gehetzt rannte er durch den unterirdischen Gang, erreichte eine Abzweigung und warf sich blindlings nach rechts. Vor ihm war ein heller Fleck. Tageslicht!
Der Anblick gab ihm noch einmal zusätzliche Kraft. Jameson verdoppelte seine Anstrengungen, fiel abermals hin und spürte die rauhe Kante einer Stufe unter den Fingern, als er sich hochstemmte.
Dann hörte er das Geräusch. Ein Schleifen und Gleiten wie von nassem Fleisch, ein Laut, als versuchten kleine Arme und Beine einen viel zu schweren Körper über den Stein zu schieben. Jameson sprang auf die Füße und rannte, immer drei, vier Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf. Der helle Fleck vor ihm wurde größer, wurde zu einem Ausschnitt des Himmels, und plötzlich fühlte er einen kalten Luftzug im Gesicht.
Noch einmal raffte er alle Kräfte zusammen, warf sich nach vorne - und prallte gegen die rostigen Stäbe des mannshohen Gitters, das den Stollen vor ihm abschloß.
Jamesons Herz schien auszusetzen. Eine Sekunde lang starrte er aus hervorquellenden Augen auf das Hindernis, das zwischen ihm und dem rettenden Tageslicht lag, dann begann er mit aller Macht an den rostigen Stäben zu rütteln.
Hinter ihm, schon am Fuße der Treppe, klang ein gräßliches Schlürfen und Schmatzen auf, ein Laut, der ihm schier das Blut in den Adern zum Gerinnen brachte. Und während er wie von Sinnen schrie und ebenso verzweifelt wie vergeblich an den fingerdicken Eisenstäben zerrte, wurde das Geräusch lauter, immer lauter und lauter..
Äußerlich hatte sich nichts an dem pompös eingerichteten Büro verändert. Alles schien noch immer eine Spur zu groß und zu prachtvoll, und alles übte noch immer die gleiche, eher protzige als beeindruckende Wirkung auf mich aus. Und doch... Ich konnte den Unterschied nicht in Worte fassen, aber er war da. Spears sah mich fragend an, und ich deutete mit einer ebenfalls stummen Kopfbewegung auf die Durchgangstür zu Jamesons Büro. Spears nickte, drehte sich herum und gab zweien seiner Männer mit Handzeichen zu verstehen, den Raum zu durchqueren und das Büro zu durchsuchen. Ich wußte, was sie finden würden. Nichts. Das Gebäude war leer, vom Keller bis zum Dach. Es ist nicht so, daß ich die Anwesenheit von Menschen direkt spüre - nicht, wenn ich mich nicht mit aller Macht darauf konzentriere -, aber hier fühlte ich ihre Abwesenheit. Es gab in diesem Haus nichts Lebendes, sah man von Spears und seinen Leuten ab. Die Leere schien mir direkt entgegenzuschreien. Aber ich schwieg und wartete geduldig, bis die beiden Marineinfanteristen zurückkamen. Es wäre einfach zu umständlich gewesen, Spears erklären zu wollen, woher ich meine Überzeugung nahm.
Es dauerte annähernd zehn Minuten, bis sich die beiden Männer wieder bei uns einfanden. Einer der beiden verließ ohne ein Wort das Haus und gesellte sich zum Rest der kleinen Streitmacht, die das Gebäude umstellt hatte, während der andere nur stumm mit dem Kopf schüttelte und mit angelegtem Gewehr neben der Tür Aufstellung nahm. Spears zog eine Grimasse. »Nichts«, sagte er. »Die Vögel sind ausgeflogen.«