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Spears sog scharf die Luft ein, wie um den Mann abermals anzufahren. Aber das hörte ich schon kaum noch, denn ich war bereits herum und an dem Soldaten vorbei aus dem Zimmer gestürzt.

Das Gurgeln und Rauschen des Wassers war das einzige Geräusch hier unten. Von irgendwoher kam Licht und brach sich auf feuchtem Stein und der braunen Oberfläche des Kanals, aber wie alles hier unten wirkte es schmutzig; wenn McGillycaddy sich nur lange genug darauf konzentrierte, dann glaubte er es sogar zu riechen. Und es war kein guter Geruch: nach Fäulnis und Abfällen und Verwesung wie alles hier unten. McGillycaddy fühlte sich nicht wohl. Es lag nicht nur an seiner Umgebung - er war diesen Weg unzählige Male gegangen; das Labyrinth aus Abwasserkanälen und Stollen tief unter den Straßen Aberdeens war ihm so vertraut, daß er sich mit geschlossenen Augen zurecht gefunden hätte. Es lag auch nicht an dem, was er getan hatte. Für McGillycaddy zählte ein Menschenleben wenig, zumal, wenn es sich um das eines Verräters handelte. Er hatte mehr als einmal töten lassen und selbst getötet. Es war nicht einmal die Art, auf die es geschehen war. Er kannte seine Diener zur Genüge, um - wenn er sich schon nicht an ihren Anblick gewöhnt hatte, was unmöglich war - so doch wenigstens damit fertig zu werden. Es war das Gefühl der Erwartung, das ihn quälte.

Bald, in wenigen Stunden schon, würde er den Augenblick der Erfüllung erleben. Der Moment, von dem er die letzten dreißig Jahre geträumt hatte.

McGillycaddy hatte den allergrößten Teil seines Lebens darauf verwandt, sich auf diesen Moment vorzubereiten, jedes Detail, jede Einzelheit zu planen, jeden Schritt hundertmal zu überdenken, jeden auch nur im entferntesten vorstellbaren Fehler aufzuspüren und auszumerzen. Es war sein Lebensinhalt gewesen, sein Leben überhaupt.

Jetzt hatte er Angst davor.

Es fiel ihm schwer, es sich selbst gegenüber zuzugeben, und trotzdem war es so: er fürchtete den Augenblick beinahe mit der gleichen Macht, mit der er ihn bisher herbeigesehnt hatte. Das Wasser zu seinen Füßen begann zu brodeln, und ein dunkler, mehr als mannslanger Körper zeichnete sich unter den braunschillernden Fluten ab. Der Anblick erinnerte McGillycaddy daran, daß es noch etwas zu tun gab, ehe es soweit war.

Lautlos erhob er sich aus der unbequem hockenden Stellung, in der er dagesessen und seinen Gedanken nachgehangen hatte, wandte sich nach rechts und huschte davon, in den Schutz der Schwärze hinein, die den Gang ausfüllte. Das schwarze Ding im Wasser folgte seiner Bewegung wie ein dämonischer Schatten.

Inmitten des Hofgevierts gähnte ein Loch im Boden. Es war gezackt und unregelmäßig und sonderbar eckig, wo die Pflastersteine herausgebrochen und in die Tiefe gestürzt waren, und ein durchdringender Gestank nach faulem Wasser und Abfällen drang daraus empor, dazu das gedämpfte Rauschen und Klatschen von Wasser, das tief an seinem Grunde floß. Aber das registrierte ich kaum. Wie versteinert stand ich da und starrte auf den verkrümmten Körper Jamesons, der sich mit letzter Kraft aus dem Loch herausgezogen und gestorben war, ehe er die Bewegung vollends zu Ende hatte führen können.

Seine eleganten Kleider waren zerfetzt und durchtränkt von schmutzigem Wasser, und auf seinen erstarrten Zügen lag noch der Ausdruck des unbeschreiblichen Grauens, das er in seinen Sekunden empfunden haben mußte. Er hatte keine Haare mehr.

Ich erwachte erst aus meiner Erstarrung, als ich Spears' Schritte hörte, und die Marinesoldaten, die den gezackten Krater im Boden und mich umstanden, hastig beiseite traten, um dem Fregattenkapitän Platz zu machen. Spears langte keuchend neben mir an, fuhr beim Anblick des Toten sichtlich zusammen und ließ sich auf die Knie sinken.

Als er nach dem Toten greifen wollte, fiel ich ihm in den Arm. »Nicht«, sagte ich hastig. »Rühren Sie ihn nicht an.«

Spears blinzelte, verzichtete aber zu meiner eigenen Überraschung darauf, mich anzufahren, sondern wandte sich statt dessen in scharfem Ton an einen seiner Männer. »Was ist hier passiert?« schnappte er. »Wo kommt er her?«

Der Mann versuchte seinem Blick auszuweichen, aber es gelang ihm nicht. »Ich... weiß es nicht, Sir«, gestand er.

»Was soll das heißen?« fauchte Spears. »Sie hatten Wache hier, Mannl Tote fallen nicht vom Himmel!«

»Das nicht«, antwortete der Mann. »Aber aus der Erde. Das... das Loch war plötzlich da. Ich habe nur ein Krachen gehört, und als ich hinsah, war der Boden eingesunken, und er lag da. Genau so.«

Spears sog hörbar die Luft ein, schluckte ein paarmal und sah dann erst den Toten, dann mich an. »Was, zum Teufel, geht hier vor?« flüsterte er.

Ich zuckte mit den Achseln. »Das weiß ich so wenig wie Sie«, antwortete ich. »Aber irgend etwas stimmt hier nicht. Vielleicht wäre es besser, wenn wir hier verschwinden. Alle.«

Spears lachte spöttisch, wurde aber sofort wieder ernst, als ich zornig den Kopf schüttelte und einen der herausgebrochenen Steine aufhob. »Sehen Sie sich das an, Spears«, sagte ich. »Dort unten muß ein Abwasserkanal oder sonstwas sein, aber die Decke ist mindestens einen Yard dick. Dieses Loch hat kein Mensch aufgebrochen.«

»Unsinn«, sagte Spears. Aber seine Stimme klang nicht annähernd so selbstsicher. Verstört betrachtete er den gut zehn Inches dicken Pflasterstein, den ich unter seiner Nase schüttelte, beugte sich vor und lugte in die Tiefe. Es war nicht zu erkennen, was unter uns lag, aber meine Schätzung war wohl eher zu vorsichtig als zu optimistisch gewesen.

»Sehen Sie sich den Toten an«, sagte ich. »Irgend etwas stimmt nicht mit ihm - milde ausgedrückt.«

Spears wurde noch eine Spur blasser und sah abermals auf Jamesons bleiches Gesicht hinab. Dem Toten fehlten nicht nur die Haare, sondern auch Wimpern und Augenbrauen. Und als ich ihn genauer betrachtete, fiel mir auf, daß auch seine Zähne und Fingernägel verschwunden waren. Dabei war nicht die allerkleinste Wunde zu erkennen.

»Was, zum Teufel, hat ihn getötet?« murmelte Spears verstört. Wieder blickte er in die Tiefe. »Vielleicht irgendein Zeug dort unten. Irgendeine Chemikalie oder...« Er sprach nicht weiter, sondern streckte abermals die Hand aus, berührte vorsichtig Jamesons Arm und hob ihn hoch.

Der Anblick war entsetzlich. Spears hatte Jamesons Arm dicht unterhalb des Ellbogengelenkes ergriffen und wollte ihn anheben, aber es war, als versuche er einen leeren Schlauch zu heben. Jamesons Unterarm und Hand fielen mit einem widerlichen weichen Klatschen zurück auf den Stein.

Als wäre kein Knochen mehr darin, dachte ich schaudernd. Und mit einem Male fiel mir auch auf, wie sehr Jameson sich verändert hatte. Alles an ihm war schwammig und auf schwer zu beschreibende Weise weich. Ich war sicher, daß er regelrecht auseinandergeflossen wäre, hätten wir versucht, ihn hochzuheben.

»Teufel!« keuchte Spears und ließ Jamesons Arm so abrupt los, als wäre er plötzlich glühend heiß. »Was bedeutet das?«

»Ich habe keine Ahnung«, gestand ich. »Aber was immer es ist - wir sollten machen, daß wir wegkommen. Es ... es ist noch in der Nähe.«

Spears sah mit einem Ruck auf. Ich konnte direkt sehen, wie es hinter seiner Stirn zu arbeiten begann. Dann nickte er plötzlich auf sonderbar steife, abgehackte Weise und stand mit einem Ruck auf. »In Ordnung«, sagte er. »Wir ziehen ab. Sammeln!«

Das letzte Wort hatte er mit hoch erhobener Stimme gerufen, und wo es nicht mehr verstanden wurde, gaben andere Männer den Befehl weiter. Binnen weniger Minuten sammelten sich die zwei Dutzend Bewaffneten, die uns begleitet hatten, auf dem kleinen, gepflasterten Innenhof. Spears blickte ungeduldig über die Doppelreihe blaugekleideter Marinesoldaten, nickte schließlich und wollte sich zum Tor wenden, blieb dann aber noch einmal stehen und sah erneut zu den Männern hinüber.

»Johnson fehlt«, sagt er. »Zum Teufel, wo bleibt der Kerl? Johnson! Korporal Johnson, sofort hierher!«