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Tief unter ihm, im Bauch des gigantischen Stahlfisches, öffnete sich ein Schott ins Meer. Der Luftdruck in der kleinen Metallkammer erhöhte sich, um zu verhindern, daß Wasser über den Rand der Öffnung ins Boot eindrang und zwölf urtümlich aussehende Gestalten schlössen mit geübten Bewegungen die Sichtfenster ihrer Taucherhelme.

Zuerst langsam, dann immer schneller und schneller we dend, setzte sich die NAUTILUS in Bewegung. Ihre Maschinen begannen zu dröhnen, und die gewaltige Schiffschraube an ihrem Heck peitschte das Wasser zu blasigem weißem Schaum. Auf dem Weg hierher hatte sich die NAUTILUS wie ein geduldiges Tier angeschlichen, groß und leise und unendlich behutsam, aber mit jedem Handgriff Nemos erwachten ihre titanischen Kräfte mehr, mit jedem Schalter, den er umlegte, brüllten die Motoren lauter auf, erwachten phantastische Gerätschaften und Apparaturen in ihrem geheimnisvollen Leib. Als das Schiff wie ein gigantischer blauschwarzer Torpedo auf das Ende des Stollens zuschoß, hatte es nicht mehr viel mit der NAUTLIUS gemein, die Nemo und seine Männer in die unerforschen Tiefen der Meere getragen hatte.

Sie war jetzt eine Kampfmaschine, ein Monstrum aus Stahl und geballter Kraft, das nur noch zu einem einzigen Zweck existierte:

Zerstören!

Dagon wartete, bis ich meine Atemausrüstung abgelegt und das Kunststück fertiggebracht hatte, in dem gewaltigen, luftgefüllten Hohlraum unter der Spitze der Pyramide einen einigermaßen trockenen Platz zu finden, auf den ich mich setzen konnte, aber ich sah seinem Gesicht an, daß seine Geduld sich dem Ende zuneigte.

»Wo ist Bannermann?« fragte ich.

»An einen sicheren Ort«, antwortete Dagon unwirsch. »Du wirst ihn sehen, bald. Aber zuerst muß ich wissen, woran ich mit dir bin. Ich verstehe, wenn du mir mißtraust, denn meine Diener haben versucht, dich zu töten.«

»Aber nicht doch«, sagte ich großzügig. »Das Leben ist langweilig, wenn einem keiner danach trachtet, Dagon.«

Dagon zog die linke Augenbraue hoch - was bei seinem absurden Gesicht einen reichlich lächerlichen Eindruck machte - und überging meine Bemerkung. »Höre mir zu«, sagt er, »und dann entscheide, auf welcher Seite du stehen willst.« Er trat einen Schritt zurück, hob die Hand und machte eine Geste, die den ganzen Raum einschloß. »Was du hier siehst, sind die Reste meines Reiches«, sagte er. »Hier habe ich äonenlang über meine Anhänger geherrscht. Ich habe diese Stätte nie verlassen, obwohl ich genug Macht besaß, die Welt zu erobern. Doch nun bin ich gezwungen, mein verborgenes Dasein aufzugeben. Ich habe dich gesucht, Robert Craven, jemanden wie dich. Ich brauche dich.«

»So?« fragte ich. »So wie dieses Mädchen dort unten?« Ich deutete auf das grünlich schimmernde Wasser, das ein Drittel des Raumes ausfüllte, und fügte zornig hinzu. »Oder die anderen, die du umgebracht hast?«

»Keiner von ihnen ist tot«, schnappte Dagon. »Aber das gehört nicht hierher. Hör mir zu, Robert Craven, und du wirst begreifen, welche Gefahr uns allen droht.« Er legte eine dramatische Pause ein, wandte sich um und wiederholte seine weit ausholende Handbewegung.

»Als ich vor über fünftausend Jahren hierhergelangte, war euer Volk noch jung. Ich war ein Gott. Die Menschen in diesem Land beteten mich an. Sie knieten vor mir und verehrten mich, und sie gaben mir alles, was ich wollte.« Plötzlich lächelte er, aber es war ein sehr trauriges Lächeln. »Sie errichteten diese Stadt, Robert Craven, nur um mir zu huldigen. Ich hätte mich zum Herrn der Welt aufschwingen können.«

»Und warum«, flüsterte ich, »hast du es nicht getan?«

Dagon seufzte. »Aus einem Grund, den ihr Menschen nur zu gut kennt, Robert Craven«, antwortete er. »Aus Angst.«

»Angst?« Diesmal war ich ehrlich erstaunt. »Vor wem?«

»Vor den Wesen, vor denen ich floh«, antwortete Dagon. »Die THUL SADUUN sind mächtig, und sie sind schrecklich in ihrem Zorn. Ich habe sie verraten, denn sie waren es, die das Tor benutzen wollten, durch das ich ging. Es brachte mich nicht nur durch den Raum, sondern auch durch die Zeit. Die THUL SADUUN blieben in der Vergangenheit zurück - in einer Zeit vor über zweihundert Millionen Jahrenl Sie und ihre Herren, denn auch die THUL SADUUN sind nur Diener einer noch größeren Macht. Durch meinen Verrat mußten sie sich dem Kampf stellen, dem sie entfliehen wollten. Und wurden besiegt.«

»Aber wenn sie tot sind...« begann ich, doch Dagon schnitt mir mit einer wütenden Handbewegung das Wort ab.

»Sie wurden besiegt, aber sie sind nicht tot. Was nie gelebt hat, kann nicht sterben. Sie wurden nur in einen ewigen Schlaf versetzt und in finstere Kerker zwischen den Dimensionen gesperrt.«

Ich hatte Mühe, vor Schrecken nicht aufzuschreien. Plötzlich wußte ich, wovon Dagon sprach - wußte es nur zu gut. Doch irgend etwas in mir weigerte sich einfach, die Wahrheit anzuerkennen, und so schwieg ich, obwohl ich seine nächsten Worte schon ahnte.

»Sie sind Götter, finstere Götter, für die ein Menschenalter weniger als ein Gedanke zählt. Seit zweihundert Millionen Jahren warten sie darauf, daß der Bann sich löst und sie wieder frei sind, sie und ihre Diener. Es war einer von euch Menschen, Robert Craven, der ihren Geist erweckte und dreizehn von ihnen die Flucht durch einen Riß in der Zeit ermöglichte.«

Nun war es Gewißheit. Meine Stimme bebte, als ich es aussprach:

»Es waren die GROSSEN ALTEN, nicht wahr?«

»So nennt ihr Menschen sie, ja. Und die THUL SADUUN erwachen mit ihnen. Gewiß, es sind nur die Diener der GROSSEN ALTEN, doch täusche dich nicht ob dieses Wortes, denn auch die Diener von Göttern sind Götter, tausendemal schlim mer, als du es dir auszumalen vermagst.«

»Und was geschieht jetzt?« fragte ich mit heiserer Stimme.

»Ich spüre ihr Nahen, Robert Craven«, sagte Dagon. »Noch sind sie nicht hier; die Siegel sind ungebrochen, und der uralte Bann hält sie zurück. Aber etwas hilft ihnen. Eine Macht, die ich nicht zu deuten vermag, aber die stärker wird.«

Dagon hielt inne und sah mich an. Er mußte in meinem Gesicht wohl wie in einem offenen Buch gelesen haben, denn er erkannte genau, was ich dachte.

»Deine Sorgen sind unbegründet, Robert Craven«, sagte Dagon. »Ich war niemals daran interessiert, die Herrschaft über diese Welt zu übernehmen, und ich bin es auch jetzt nicht. Ich werde gehen. Ich werde fliehen und nur wenige meiner Anhänger mitnehmen. Du siehst, daß ich nicht euer Feind bin.«

Ich dachte an eine Frau, die ihre Tochter verloren und ihren eigenen Mann getötet hatte, an Bannermann und ein halbes Dutzend Marinesoldaten, die in den Abwasserkanälen Aberdeens auf grausame Weise ums Leben gekommen waren, an Jameson, der einen fürchterlichen Tod erlitten hatte, an zahllose Mütter, die um ihre Söhne und Töchter geweint hatten, fünftausend Jahre lang, und schwieg.

Der Ausdruck auf Dagons Zügen verhärtete sich. Als er weitersprach, klang seine Stimme ganz sachlich. Und so kalt wie Eis.

»Sie kommen, Robert Craven. Ich könnte gehen und euch und eure Welt dem Schicksal überlassen, aber ich habe mich entschieden, euch zu warnen, damit ihr der Gefahr Herr werden könnt.«

»Das ist sehr großzügig von dir, Dagon«, sagte ich böse. »Und vielleicht schaffen wir dir dabei ganz nebenbei noch die lästige Konkurrenz vom Halse, wie?«

Dagon schnaubte. »Wenn du die Wahl hättest, Robert Craven«, sagte er ärgerlich, »würdest du rasch begreifen, daß ich das kleinere von zwei Übeln bin. Aber du hast keine Wahl. Jene fremde Macht, die ich nicht kenne, hat mit der Suche nach den Sieben Siegeln begonnen. Hat sie sie erst einmal gefunden, gibt es keine Möglichkeit mehr, die THUL SADUUN daran zu hindern, in eure Zeit zu gelangen. Bilde dir nicht ein, gegen sie kämpfen zu können, Robert Craven. Verhindere, daß die Siegel gebrochen werden, oder du verlierst deine Welt. Du und deine Freun...«

Dagon kam nicht mehr dazu, mir zu erklären, was meine Freunde und ich zu tun hatten, denn der Rest seines Satzes ging in einem ungeheuren Dröhnen und Krachen unter, das die gesamte Pyramide unter unseren Füßen erbeben ließ. Ein dumpfes, mahlendes Knirschen lief durch den uralten Fels, und plötzlich gähnten in der Decke zahllose fingerbreite gezackte Risse, aus denen sich ein gurgelnder Wasserfall auf uns ergoß.