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Vielleicht zwei oder drei Klöster waren es gewesen in all den Jahren, wo ich um Aufnahme für eine Nacht gebeten hatte. In solch entlegenen Gegenden, dass ich sonst nichts gefunden hatte, wo ich unterkommen konnte, und mir eine Nacht unter freiem Himmel zu riskant erschien. Weil ich um umherstreifende Tiger wusste oder es die Witterung, die Jahreszeit geboten.

Nie war ich länger als eine Nacht geblieben.

Hier in Tiantung waren die Mönche freundlich zu mir. Hatten mir sogar eine hübsche Kammer gegeben, von der aus ich am nächsten Morgen einen Blick auf die Berge haben würde, und eine herrlich weiche und warme Decke für mein Lager.

Nur dass ich mein Schwert in der Kammer lassen müsse, darum hatten sie mich gebeten, solange ich mich innerhalb der Klostermauern aufhielt.

Nie trennte ich mich von Long Yuan. Immer musste ich es zumindest in meiner Reichweite wissen. Trotzdem war ich dieser Bitte nachgekommen und hatte auch das Messer dazugelegt, das stets in einer Schlaufe innen in meinem Stiefel steckte.

Waffen und Blutvergießen waren eigentlich mit der Lehre des Buddha unvereinbar, die Friedfertigkeit und Liebe beschwor. Die Achtung vor der Heiligkeit allen Lebens, war es auch noch so klein, noch so gering.

Nur wenige Klöster gab es, in denen Mädchen und Jungen zusammen aufwuchsen, als Brüder und Schwestern. Und weniger als eine Handvoll Klöster, in denen man die Kunst des Kampfes lehrte.

Nicht um Gewalt auszuüben, zu erobern und zu vernichten. Sondern um Körper, Geist und Seele in Einklang zu bringen, auf dem Weg zur Erleuchtung.

In meiner Erinnerung konnte ich sie hören, die vielen hellen Kinderstimmen, eine davon meine, wie sie die Worte des Meisters wiederholten. Auf eine Art leidenschaftlich und hingebungsvoll, wie es nur Kinder vermögen.

Unser Leib ist der Baum des Bodhi, unser Geist ein klarer Spiegel.

Sorgsam wischen wir sie, Stunde um Stunde, damit kein Staub sich darauf niederlässt.

Kampf und Gebet waren eins in diesen Klöstern.

Es waren die Zeiten, die es nötig machten, mit diesem Gebet den Glauben und die Freiheit zu verteidigen. Den Kampf aufzunehmen, in einer Welt der Ungerechtigkeit und Tyrannei.

Im Kloster der Alten Haine und Jungen Bäume, auf dem Berg von Song. In den Ablegern dieses Klosters, auf anderen Bergen, verstreut in den Weiten des Reiches.

Doch trotz aller Unterschiede zwischen den Klöstern Buddhas waren die Gemeinsamkeiten groß. Zu groß, als dass sie mich nicht an früher erinnert hätten.

Die Sonnenfarben der Kleidung. Das Rot und Gold der Säulen, der Statuen und Schriftzeichen.

Die Wahl der Worte. Die vielen flackernden Lichter. Der Rhythmus der Tage, der sich in die Mauern gegraben hatte.

Geräusche: Schritte bloßer Füße oder in Sandalen. Gesungene oder gemurmelte Gebete und das Klackern der Gebetsketten. Das silberne Klingeln von Glöckchen, das bauchige Dröhnen großer Glocken, das durchdringende Hallen eines Gongs.

Die klare Luft der Berge. Der Duft von Wolken, Nadelbäumen und Moos. Der Geruch von Räucherwerk und Öllampen. Sogar das Essen schmeckte für meinen Gaumen ähnlich.

Vor die Gesichter der Mönche am Tisch schoben sich andere Gesichter.

Nicht nur das von Yun. Das Meister Qiangs, Meister Shens oder Anshins.

Quan, der Yun und mir ein so enger Freund gewesen war. Und Yaowu, die mir von allen Mädchen am nächsten stand.

Meine Familie. Für zehn nicht immer leichte, aber meist glückliche Jahre.

In Tiantung zu sein war, wie nach Hause zurückzukehren. Als eine Fremde, die nur geduldet wurde und niemals mehr bleiben durfte, weil sie nicht mehr dazugehörte.

Deshalb hatte ich Klöster immer gemieden.

Ich wollte nicht hier sein.

Ich beobachtete Fortune, der in seinem bedächtigen Chinesisch dem Abt von Tiantung von seinem Interesse für die Pflanzenwelt erzählte. Das gelbe Mönchsgewand war ihm viel zu klein. Die Ärmel reichten gerade bis über seine Ellbogen, der Saum ließ die halbe Wade frei.

Haarige Beine hatte er, wie ein Affe, das hatte ich gesehen, bevor er sich mit überkreuzten Beinen auf seinem Polster niedergelassen hatte. Auch seine Arme waren von dunklen Haaren bedeckt, das hatte ich bei unseren Kämpfen in Zhoushan entdeckt. Und jedes Mal schauderte es mich unwillkürlich, wenn mein Blick darauf fiel. Dabei hatte er eigentlich schöne Arme, dachte ich, als ich beobachtete, wie er mit seinen Stäbchen hantierte. Starke, schwerknochige Arme, von kräftigen Muskeln und Sehnensträngen durchzogen.

Fremd wirkte er hier, im Licht der Öllampen, in dieser geborgten Kleidung. Als ob jetzt, da diese Haare sichtbar waren, etwas Wildes an ihm zum Vorschein käme. Etwas, das so gar nicht zu diesem sanften Riesen passen wollte.

Zu diesem Blütensammler, der einen Blick für das Allerkleinste hatte. Für das Unscheinbare, Verborgene. Der sich so viele Gedanken machte über Dinge, die andere Menschen nicht einmal bemerkten.

Die aus der Stirn zurückgestrichenen Haare machten seine Züge klarer, regelmäßiger, seine Augen noch schmaler. Fast so, als ob mein Land ihm inzwischen seinen Stempel aufgedrückt hätte. Eine kaum merkliche Veränderung, die erst jetzt, im Landesinnern, zwischen den Mauern dieses Klosters, sichtbar wurde.

Aus irgendeinem Grund wünschte ich mir, dass dem wirklich so wäre. Kein Hirngespinst, keine Illusion.

Sein Blick kreuzte meinen. Fragend, forschend. Spürend.

Mein Gesicht begann zu glühen. Mir wurde heiß, und ich schlug die Augen nieder.

34

Kloster von Tiantung, 4. Mai 1844

Ich wünschte, ich wäre wortgewandter oder ein Maler – dann könnte ich all das festhalten, was meine Augen hier sehen, seit dem ersten, frühesten Tageslicht.

Dieses fruchtbare Tal mit seinen klaren Bächen. Die Seen, glatt und glänzend wie Spiegel. Die Farben des Tempels: Rot, Gelb, Blau, Weiß. Leuchtend vor dem Grün der Hügel, der Teefelder in der Ferne und der Nadelbäume von Cryptomeria japonica.

Die Wolken des gestrigen Tages lösen sich gerade auf und enthüllen die Bergflanken – nicht kahl, wie weiter im Süden. Sondern grün: Unterholz, Sträucher und Bäume, von einer tropischen Saftigkeit.

Nichts könnte mir fremder sein als die Lebensweise dieser Mönche, selbst nachdem ich in diesem Land schon so manches kennengelernt habe.

Und doch beneide ich sie fast. Um ihre glückliche Gelassenheit, die offenbar keine Zweifel kennt, keine Sehnsüchte, keine Enttäuschungen oder Konflikte. Vielleicht liegt es an diesem Ort hier. Ich habe noch nie solche Schönheit gesehen. Nicht in Schottland, in England und auch hier in China noch nicht. Dies ist zweifellos ein Ort, an dem die Seele Frieden finden kann. Eine jede Seele, mag sie auch noch so zerrissen sein.

Der Gong ruft, ich glaube, zur Morgenmahlzeit.

AUS DEN NOTIZEN VON ROBERT FORTUNE

Staunend wanderte Fortune durch das grüne Meer, das ihm nicht ganz bis zur Hüfte reichte. Als ginge er hier auf heiligem Boden, so kam es ihm vor.

Die Luft, die er atmete, war erfüllt vom unverkennbaren Duft des Tees. Nur frischer, saftiger, wie noch mit Regen und Frühlingssonne und Bergluft vollgesogen.

Thea viridis, so weit das Auge reichte.

»Fünf bis sieben Jahre dauert es«, erklärte Hoshang Bo, ein junger Mönch mit feinen, fast femininen Zügen und vollen Lippen, »bis das erste Mal von einem Teestrauch geerntet werden kann. Dann aber bis zu hundert Jahre lang.«

Andächtig strich Fortune über die glatten, glänzenden Blätter. Der Mönch packte fester zu, als er fachmännisch einen der Zweige begutachtete.

»Er ist noch nicht ganz so weit. Obwohl er früh dran ist, dieses Jahr.«