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Wang hielt kurz im Kauen inne, um mit der Zunge zwischen seinen Zähnen zu pulen.

»Aber weiß Fu-Chung, dass Pflanze von Tee nicht gleich Tee in Tasse.«

»Genau das ist der Haken. Da ist noch so vieles, was wir nicht über die Teepflanze wissen. Welchen Boden sie genau braucht, welches Klima – ganz zu schweigen von den genaueren Abläufen in der Verarbeitung. So vieles, was ich mir dazu gerne noch anschauen würde. Was ich gerne lernen würde.«

Wang schluckte einen großen Happen im Mund so hastig hinunter, dass sein knochiger Adamsapfel auf und ab hüpfte.

»Dann bleibt Fu-Chung einfach. Bleibt lange genug, um anzusehen. Zu lernen. Bis alles weiß. Vielleicht neue Pflanzen holen, irgendwo. Dann erst fährt nach Hause und macht Tee.«

Fortunes Herz schlug schneller bei der Vorstellung, noch ein paar Monate mehr hier zu bleiben.

Die Blüte von Camellia sinensis über den Winter zu beobachten.

Die erste Ernte des Tees im Frühjahr.

Vielleicht in einer anderen Gegend weitere Blütenschätze aufzuspüren und zu heben.

»Das ist nicht so einfach.«

Wang blinzelte erstaunt. »Warum?«

»Meine Zeit hier ist auf ein Jahr beschränkt, gemäß meinem Auftrag der Society. Ich kann nicht eigenmächtig länger bleiben.«

Kalt überlief es ihn bei dem Gedanken, die an ihn gerichteten Instruktionen zu missachten. Der Horticultural Society zuwiderzuhandeln, der er so viel zu verdanken hatte. Die ausgerechnet ihm, der zwar Leiter der Treibhäuser war, aber dennoch nur ein einfacher Gärtner und kein studierter Botaniker, diese Chance gegeben hatte.

Wang zuckte mit den Schultern.

»Muss Fu-Chung dann Gesellschaft von Pflanzen schreiben! Müssen einsehen, wie wichtig, dass Fu-Chung hierbleibt. Kluge Männer, ja? Verstehen doch bestimmt. Und einsehen, dass kein Sinn, wenn Fu-Chung erst zurück und dann wieder her. Besser hierbleiben und alles in einem aufwischen.«

Fortune brütete über Wangs Argumentation nach, die seinen eigenen Gedankengängen entsprach.

Er rieb sich über das Gesicht.

»Es geht trotzdem nicht. Ich habe nicht mehr genug Geld, um viel länger zu bleiben.«

Die paar Käsch, die er für Lian als Leibwächterin ausgab, fielen kaum ins Gewicht. Stets ein Kämmerchen zusätzlich in den Herbergen anzumieten und Mahlzeiten für drei Personen hatten sich dennoch aufsummiert. Und auch seine Einkäufe in den Blumengärten von Canton hatten zu Buche geschlagen.

Fast war er dankbar für die Anordnung der Society, die Feuerwaffen samt Munition, die man ihm nur ungern zugestanden hatte, vor seiner Abreise zu verkaufen. Ein Notgroschen, der ihm vielleicht noch die letzten Wochen in China retten konnte, sollte es hart auf hart kommen.

Unter zusammengezogenen Brauen kratzte Wang die letzten Reste aus der Schale. Während er die Stäbchen ableckte, hellte sich seine Miene auf.

»Wang weiß! Kommt Fu-Chung mit zu Wang. Nach Anhui, für Winter. Kann wohnen und essen und alles. Und Tee studieren dort!«

Mit einem zufriedenen Rülpsen lehnte er sich zurück.

»Auch dafür habe ich nicht mehr genug Geld.«

Gekränkt verzog Wang das Gesicht. »hai-yah! Was denkt Fu-Chung von Wang?! Nicht bezahlen dafür. Eingeladen!«

Misstrauisch starrte Fortune ihn an. Es wäre das erste Mal gewesen, dass Wang nicht versuchte, ihm ein paar Münzen abzuschmeicheln oder sonst einen Vorteil für sich herauszuholen.

»Warum?«

»War Fu-Chung bester Herr für Wang. Immer!« Feierlich legte er eine Hand auf die Brust. »Große Ehre für Familie, wenn zu Gast. Und doch Freunde, jetzt.«

Auch an Wang schien die Zeit in Tiantung nicht spurlos vorübergegangen zu sein. Einmal hatte Fortune sogar beobachtet, wie Wang in einer Nische des Tempels Wiesenblumen vor einer Statue Buddhas ablegte und sich zum Beten niederkniete. Offener wirkte er seit den Tagen im Kloster, weniger großspurig, weniger launisch

Vielleicht hatten sie sich auch nur aneinander gewöhnt.

»Das ist ein mehr als großzügiges Angebot, Wang. Danke. – Wo ist das, Anhui?«

Das Kinn an die Brust gelegt, dass es Falten warf, kratzte Wang an einem Soßenfleck auf seinem Kittel herum.

»Nicht so weit«, murmelte er vor sich hin. »Hinter Shanghai. li so etwa … dreihundert.«

Vierhundert Meilen.

»Das geht nicht, Wang. Ich darf mich nicht weiter als dreißig Meilen von Shanghai entfernen. Das weißt du.«

Schelmisch schielte Wang ihn von unten herauf an. »Lässt Wang sich einfallen. Wang ganz schön viel, hier.« Er tippte sich an die Stirn.

»Trotzdem. Das ist zu weit. Frühestens im Winter kann ich mit Nachricht von der Society rechnen. Mit weiteren Anweisungen. Wie soll ich die in Anhui erhalten?«

Mit einem breiten Lächeln hob Wang den Kopf. »Gar keine Schwierigkeit, Fu-Chung! Von Anhui immer jemand nach Shanghai, für Handel oder Familie. Holt Post für Fu-Chung und bringt mit.«

Er langte über den Tisch und packte Fortune am Ärmel, rüttelte aufmunternd daran.

»Kommt mit, Fu-Chung, ja? Wird Spaß!«

Fortune hatte keine genaue Vorstellung davon, was ihm blühen würde, sollte er jenseits dieser Grenze von dreißig Meilen im Landesinnern aufgegriffen werden. Gefängnis vielleicht, womöglich Schlimmeres. Im besten Fall würde er wohl lediglich des Landes verwiesen.

Und auffallen würde er, als riesenhafter fremder Barbar – umso mehr, je entlegener die Gegend.

Genauso wenig konnte er einschätzen, wie die Horticultural Society reagieren würde, verlängerte er eigenmächtig seinen Aufenthalt. Gelang es ihm nicht, sie von der Wichtigkeit weiterer Forschung zu überzeugen, brach er damit alle Brücken hinter sich ab.

Ohne einen Penny würde er in China festsitzen, bis sich Lindley vielleicht erbarmte und die Rückfahrt aus seiner Privatschatulle finanzierte. Oder bis Jane vielleicht das Geld irgendwie aufgetrieben hätte.

Jane.

Jane würde noch länger auf ihn warten müssen.

Ein mehr als waghalsiger Plan war es, der hier im Lärm der Garküche aufgekeimt war und während der Mahlzeit am fettverschmierten und klebrigen Tisch die ersten Triebe ausgebildet hatte. Ein nach allen Seiten hin rücksichtsloser, geradezu egoistischer Plan.

Fortune fühlte sich nicht verwegen, nicht kaltblütig genug für eine solche Unternehmung.

In der anderen Waagschale jedoch lag die einzigartige, noch nie dagewesene Möglichkeit, den Tee an seinem Ursprung zu studieren. Als erster Weißer überhaupt. All die Geheimnisse und Finessen des grünen Goldes könnte er enthüllen, indem er zu den Teefeldern von Anhui reiste, bei der Familie eines Teebauern lebte.

Eine einmalige Chance.

Er musste nur zugreifen.

39

Ich fand keinen Schlaf.

Ruhelos wanderten meine Blicke durch das Kämmerchen in der Herberge. Ich hatte sogar vergessen, das Licht zu löschen.

Meine Gedanken kreisten um die Setzlinge in Fortunes Kammer.

Ein Geschenk wie für einen Kaiser.

Ein verbotenes Geschenk, das uns alle den Kopf kosten konnte.

Wie naiv mussten die Mönche von Tiantung sein, um keinen Gedanken daran zu verschwenden, dass Fortune, der fremde Barbar, die Pflänzchen sicherlich mit in seine Heimat nehmen würde. Wie weltfremd, dass sie offenbar nicht wussten, welche Strafe darauf stand, Teepflanzen außer Landes zu bringen.

Den ganzen Weg zurück nach Ningbo waren meine Sinne geschärft gewesen wie die Klinge von Long Yuan, meine Muskeln gespannt wie die Sehne eines Bogens. Hinter jedem Strauch und jedem Baum, hinter jedem Fels und an jeder Wegbiegung witterte ich bewaffnete Männer, die die Falle zuschnappen lassen würden.

Doch niemand war uns gefolgt. Niemand hatte uns behelligt.

Denkbar, dass die Mönche eigene Ziele mit diesem Geschenk verfolgten.