Es sind die langen und komplizierten botanischen Bezeichnungen in den Briefen, die Jane verzweifeln lassen. Die Fremdwörter, die nicht in ihrem Wortschatz vorkommen.
Rhizom. Abaxial. Mesokarp. Gynoeceum. Petiolus.
Sie schreibt sie nach Gehör nieder, so gut sie kann.
Trotzdem glüht sie vor Scham bei dem Gedanken, Mr Lindley Briefe zur Unterschrift vorzulegen, die vor Fehlern strotzen.
Wenn sie sich vorstellt, ein wichtiger Mann der Botanik, der höheren Gesellschaft oder gar der Politik bekommt einen solchen Brief zu lesen und wundert sich dann über die unkundige Schreibkraft im Hause Lindley.
Dumm kommt sie sich vor in diesem Haus, in dem Bücher und wissenschaftliche Schriften wie Brot und Butter sind und lateinische Doppelnamen das, was bei ihr daheim früher Begriffe wie Melken oder Kalben waren. Sie ertappt sich dabei, wie sie innerlich den Kopf darüber schüttelt, dass man aus vollen Händen sein Geld für Bücher ausgeben kann und dann am Essen sparen muss. Wie man lieber für Forschungsreisen aufkommt und für den Druck langer Aufsätze über Kräuter und Moose und Farne und Orchideen statt für bessere Kleider oder neue Vorhänge, weil die alten bereits löchrig sind.
Eine solche Überheblichkeit ist Jane sonst fremd; sie ahnt, dass sie damit zusammenhängt, wie unzulänglich sie sich zwischen all den gelehrten Köpfen hier fühlt.
Jane ist versucht, Miss Lindley zu sagen, dass dieser Versuch gescheitert ist. Jane ist gescheitert an dieser Herausforderung, sie kann das einfach nicht. Sie ist nicht fähig genug. Doch allein schon, wenn sie sich ein solches Gespräch vorstellt, zergeht sie gleich ganz vor Scham.
Also überwindet sie sich und bittet Sarah Lindley mit hochrotem Kopf um ein Buch, in dem sie all diese Begriffe nachlesen und sich ihre Schreibweise einprägen kann.
Eigentlich ist Jane müde an diesem Abend, nachdem Helen und John endlich eingeschlafen sind.
Der neue Ablauf ihrer Woche bringt die Kinder durcheinander. Sie sind es gewohnt, dass eine halbe Stunde früher oder später, die sie ihre Morgenmilch getrunken, ihr Brot mit Butter und Honig gegessen oder ihr Porridge gelöffelt haben, keinen Unterschied macht.
Jetzt jedoch gibt es Tage, an denen ihre Mutter sie zur Eile antreibt. Sie hastig in ihre Mäntel steckt und keine Geduld hat, wenn ein Handschuh nicht aufzufinden ist. Nicht einmal genug Zeit bleibt, unterwegs in aller Ruhe die Krähen zu beobachten, die im Nebel auf dem Feld herumpicken, weil sie doch nach Acton Green müssen.
Jane ist dankbar, dass sie die Kinder jedes Mal mitbringen kann, sie wüsste sonst nicht, wohin mit ihnen. Das fremde, große Haus, voll mit fremden, freundlichen Menschen, gefällt Helen und John. So sehr, dass sie am Ende jeden Tages dort ganz aufgekratzt und nur mit Mühe dazu zu bewegen sind, ihren Teller leerzuessen und ins Bett zu gehen.
Ungeachtet ihrer Müdigkeit zwingt sich Jane, sich an den Küchentisch zu setzen und im Lampenschein das Buch aufzuschlagen, die ersten Fachbegriffe, auf die sie stößt, auf einem Blatt Papier niederzuschreiben.
Sie erstarrt, als sie umblättert und auf den gezeichneten Querschnitt einer Blüte blickt. Auf Umrisse und Formen, die sie an etwas ganz anderes erinnern. Während ihre Augen, getrieben von einer ganz neuen Wissbegierde, die Jane nicht im Zaum halten kann, über die schriftliche Erläuterung dazu huschen, schießt ihr das Blut ins Gesicht.
Rasch schlägt sie das Buch zu und schiebt es von sich. Ihre Gedanken kann sie jedoch nicht genauso einfach beiseite wischen, die folgen ihren eigenen Wegen.
Natürlich weiß Jane um diese Dinge, sie ist auf dem Land groß geworden, zwischen Kühen, Schweinen und Schafen. Trotzdem ist es verstörend zu lesen, dass sich das bei den Pflanzen nicht viel anders verhält als bei den Tieren und den Menschen. Bei Blumen und Bäumen, die ihr immer so geschlechtslos vorgekommen sind.
So unschuldig.
Es ist ungehörig, sich mit solchen Dingen näher zu befassen. Zumindest hat man ihr das beigebracht.
Es sind aber auch genau diese Dinge, mit denen Robert sich beschäftigt. Mr Lindley. Sogar Miss Lindley und Miss Drake, die als Gouvernante doch bestimmt über jeden moralischen Zweifel erhaben ist.
Ungehörig, hallt es in Jane wider. Aufbegehren regt sich in ihr. Vielleicht purer Trotz, nachdem sie immer getan hat, was man ihr sagte. Sich danach gerichtet hat, was sich gehört und was nicht. Vielleicht ist es auch schlicht ihr Verstand, der ihr schonungslos aufzeigt, wie unsinnig ein solches Gebot ist.
Schließlich ist Jane kein blutjunges, empfindsames und zerbrechliches Geschöpf. Eine erwachsene Frau ist sie, die mit beiden Beinen im Leben steht, und verheiratet noch dazu.
Was könnte daran schon ungehörig sein, geht es ihr durch den Kopf, wenn man zwei Kinder in sich getragen und zur Welt gebracht hat.
Unwillkürlich reckt sie das Kinn und zieht das Buch wieder zu sich heran.
Addendum – datiert vom 30. August 1844
Zu den Instruktionen der Horticultural Society of London, 21 Regent Street, für Mr Robert Fortune -
datiert vom 23. Februar 1843
Da die Ergebnisse Ihrer bisherigen Forschungen eine Verlängerung Ihres Aufenthaltes in China nötig erscheinen lassen, erteilt die Society Ihnen hiermit weitere Instruktionen.
Ihr Aufenthalt in Asien wird um ein Jahr verlängert, beginnend mit dem Datum dieses Dokumentes. Ihr Salär wird ab diesem Zeitpunkt einhundert Pfund Sterling betragen, bis Sie die Verantwortung für die Treibhäuser nach Ihrer Rückkehr aus China wieder übernehmen – ohne jegliche Abzüge und ausschließlich der Kosten für Ihre Kleidung oder Ausgaben vor Ort.
Eine erneute Verlängerung Ihres Aufenthaltes um ein weiteres Jahr zu denselben Bedingungen ist optional.
Neben dem Sammeln von Teepflanzen und Saatgut aus den besten Lagen wird es Ihre Pflicht sein, von jeder Gelegenheit Gebrauch zu machen, bei der Sie sich Informationen beschaffen können, wie Tee angebaut und von den Chinesen hergestellt wird sowie zu allen anderen Gesichtspunkten, bei denen es wünschenswert erscheint, dass die Leitung der Pflanzenschulen in Indien damit vertraut gemacht wird.
Im Hinblick auf die botanische und wirtschaftliche Bedeutsamkeit dieses Vorhabens werden Sie stets äußerste Diskretion und Vorsicht walten lassen, um diplomatische Verwicklungen zu vermeiden.
Da uns das Verschiffen einer größeren Anzahl von Wardian Cases zu unwirtschaftlich erscheint, werden Sie solche in Shanghai anfertigen lassen, gemäß der Menge an Pflanzen, die nach Indien gebracht werden soll.
Zu diesem Zweck wird Ihnen ein entsprechendes Guthaben bei der Firma Jardine, Matheson & Co. in Shanghai eingerichtet werden, von dem Sie diese und andere notwendige Ausgaben dieser Mission bestreiten.
Sämtliche von Ihnen erworbene Teepflanzen werden von Ihnen nach Calcutta geschickt, an Dr. Wallich vom Botanischen Garten der East India Company.
Es ist angeraten, gegen Entgelt Chinesen von gutem Leumund und Fleiß anzuwerben, die die nötigen Kenntnisse und Fertigkeiten zur Kultivierung und Verarbeitung von Tee besitzen.
Diese sollen den Tee nach Indien begleiten, um Dr. Wallich bei seinen weiteren Forschungen zu unterstützen.