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Auch Sergeant Malcolm Ainslie hatte an einer Strategiebesprechung vor der Verhandlung teilgenommen, bei der Adele Montesino gesagt hatte: »Im Fall Tempone steht die Anklage felsenfest.«

Sie zählte die wichtigsten Punkte an ihren Fingern auf. »Doil ist am Tatort festgenommen worden - mit dem Blut beider Opfer an seiner Kleidung. Wir haben das in seinem Besitz befindliche Messer, das die Gerichtsmedizinerin als Tatwaffe identifiziert hat und an dem ebenfalls Blutspuren der Opfer festgestellt worden sind. Und wir haben einen glaubwürdigen Augenzeugen, mit dem alle Geschworenen Mitleid haben werden. Kaum jemand auf dieser Welt würde Elroy Doil unter diesen Umständen freisprechen.«

Der von ihr erwähnte Augenzeuge war der Enkel des Ehepaars Tempone, der zwölfjährige Ivan. Der Junge hatte seine Großeltern besucht und war außer ihnen als einziger im Haus gewesen, als Doil dort eingedrungen und das ältere Paar überfallen hatte.

Ivan befand sich im Nebenzimmer, wo er zunächst wie gelähmt und stumm vor Entsetzen durch einen Türspalt beobachtete, wie seine Großeltern durch unzählige Schnitte und Stiche tödlich verletzt wurden. Trotz seiner Angst, daß der Täter auch ihn ermorden könnte, war der Junge mutig und vernünftig genug gewesen, um ans Telefon zu schleichen und 911 anzurufen.

Obwohl die Polizei Kingsley und Nellie Tempone nicht mehr retten konnte, war sie rechtzeitig da, um Elroy Doil festzunehmen, der sich noch auf dem Grundstück aufhielt und auf dessen Latexhandschuhen und Kleidung sich das Blut der beiden befand. Nachdem Ivan wegen eines Schocks behandelt worden war, schilderte er den Überfall so nüchtern und gefaßt, daß Adele Montesino davon überzeugt war, daß der Junge auch im Zeugenstand glaubwürdig wirken würde.

»Klagen wir ihn auch wegen dieser anderen Fälle an«, fuhr die Staatsanwältin fort, »haben wir in keinem einzigen ähnlich eindeutige, unwiderlegbare Beweise. Gut, es gibt Indizienbeweise. Wir können nachweisen, daß Doil als Täter in Frage kommt, weil er sich zu den Tatzeitpunkten in der Nähe der Tatorte befunden hat. Am ersten Tatort ist ein Handflächenabdruck gefunden worden, der ziemlich sicher von Doil stammt, aber unsere Fingerabdruckexperten weisen darauf hin, daß nur sieben übereinstimmende Merkmale festzustellen sind, während wir für eine eindeutige Identifizierung neun oder zehn brauchen. Außerdem wissen wir von Dr. Sanchez, daß das im Fall Tempone sichergestellte Bowiemesser nicht die bei den früheren Morden benutzte Waffe ist. Doil kann natürlich mehrere Messer besessen haben, was sogar wahrscheinlich ist, aber die Polizei hat kein weiteres gefunden.

Wir müßten also damit rechnen, daß jeder Strafverteidiger sich auf diese Schwachstellen konzentrieren würde. Und sobald es der Verteidigung gelingt, Zweifel an Doils Täterschaft in den früheren Fällen zu wecken, fangen die Geschworenen logischerweise an, sich zu fragen, ob unser angeblich unwiderlegbarer Fall Tempone nicht vielleicht auch zweifelhaft ist.

Also konzentrieren wir uns auf einen Schuldspruch im Fall Tempone, der Doil auf den elektrischen Stuhl bringt. Schließlich können wir den Mann nur einmal hinrichten, oder?«

Trotz aller Proteste war die Staatsanwältin nicht bereit, ihre Taktik zu ändern. Was Montesino dabei nicht voraussah, war die Tatsache, daß dieser Verzicht auf eine Anklageerhebung in mindestens einem weiteren Fall vor allem bei Gegnern der Todesstrafe den Eindruck erwecken mußte, die sechs Doil angelasteten Doppelmorde seien alle zweifelhaft - selbst der eine, für den er zum Tod verurteilt worden war.

Der Prozeß gegen Doil wegen Mordes an dem Ehepaar Tempone hatte zu Auseinandersetzungen, heftiger Polemik und sogar Gewalttätigkeiten geführt.

Da der Angeklagte mittellos war, bestellte Richter Rudy Olivadotti den erfahrenen Strafverteidiger Willard Steltzer zu seinem Pflichtverteidiger.

Steltzer war einer der bekanntesten Anwälte Miamis, teils wegen seiner Brillanz vor Gericht, teils wegen seines exzentrischen Auftretens. Auch mit vierzig dachte er nicht daran, sich konservativ wie seine Kollegen zu kleiden, sondern bevorzugte Anzüge und Krawatten aus den fünfziger Jahren, die er in darauf spezialisierten Läden kaufte. Außerdem trug er sein langes pechschwarzes Haar zu einem Zopf geflochten.

In typischer Manier verärgerte Steltzer schon mit dem ersten Antrag als Doils Verteidiger die Staatsanwaltschaft und Richter Olivadotti. Er unterstellte, wegen der umfangreichen Medienberichterstattung sei es im Dade County nicht möglich, die Geschworenenbank unparteiisch zu besetzen, und beantragte daher, den Verhandlungsort zu verlegen.

Trotz seiner Irritation entschied sich der Richter für diesen Antrag, und der Mordprozeß fand in Jacksonville statt - fast vierhundert Meilen nördlich von Miami.

Als nächstes versuchte Steltzer seinen Mandanten für unzurechnungsfähig erklären zu lassen. Dafür nannte er mehrere Gründe: Doils Wutanfälle, die Tatsache, daß er als Kind mißbraucht worden war, seine rohe Gewalttätigkeit Mithäftlingen gegenüber und seinen krankhaften Drang zum Lügen, der sich darin äußerte, daß Doil abstritt, jemals in der Nähe des Hauses der Tempones gewesen zu sein, obwohl selbst sein Verteidiger zugeben mußte, daß das außer Zweifel stand.

Steltzer fand, dieses Verhalten lasse auf Unzurechnungsfähigkeit schließen, und Richter Olivadotti mußte ihm widerstrebend zustimmen. Er ordnete an, Doil von drei Psychiatern untersuchen zu lassen. Die Untersuchung dauerte vier Monate.

In ihrem Gutachten stellten die Psychiater fest, der Verteidiger habe Elroy Doils Charakter und Gewohnheiten richtig dargestellt, aber trotzdem sei Doil nicht unzurechnungsfähig. Entscheidend sei, daß er den Unterschied zwischen Recht und Unrecht erkenne. Daraufhin erklärte der Richter Do il für zurechnungsfähig und eröffnete das Verfahren gegen ihn.

Doils Auftritte im Gerichtssaal mußten jedem im Gedächtnis bleiben, der sie miterlebt hatte. Er war eine Riesengestalt: über einsneunzig groß und hundertdreißig Kilo schwer. Sein Gesicht war großflächig, seine Brust breit und muskulös, seine Hände riesig. Alles an Elroy Doil war überdimensioniert - auch sein Ego. Er betrat den Gerichtssaal jedesmal in überlegener, bedrohlicher Haltung und einem Grinsen. Seine Auftritte waren so provozierend, daß ein Reporter zusammenfassend schrieb:

»Elroy Doil hätte ebensogut seine eigene Verurteilung beantragen können.«

Was ihm wie schon früher hätte nutzen können, wäre die Anwesenheit seiner Mutter gewesen, die alle juristischen Tricks gekannt hätte. Aber Beulah Doil war schon vor einigen Jahren an AIDS gestorben.

Ohne sie war Doil feindselig und verletzend. Sogar bei der Auswahl der Geschworenen gab er seine bissigen Kommentare ab. »Nicht diesen dreckigen Schrauber!« verlangte er und meinte damit einen Automechaniker, den Steltzer gerade als Geschworenen hatte akzeptieren wollen. Da der Wunsch seines Mandanten vorging, mußte Steltzer seine Entscheidung rückgängig und von seinem kostbaren Einspruchsrecht Gebrauch machen, um den Mann als Geschworenen auszuschließen.

Als dann eine würdevolle schwarze Matrone gewisses Mitgefühl für Doil erkennen ließ, brüllte er: »Dieses blöde Niggerweib würd' die Wahrheit nicht erkennen, wenn sie von ihr überfahren würde!« Auch die Frau schied als Geschworene aus.

Daraufhin warnte der Richter, der sich bisher nicht eingemischt hatte, den Angeklagten: »Mr. Doil, ich möchte Ihnen raten, sich zu beherrschen und zu schweigen.«

In der folgenden Pause sprach Willard Steltzer, der sichtlich erregt den Arm seines Mandanten umklammerte, flüsternd auf Doil ein. Danach hörten die Störungen während der Auswahl der Geschworenen auf, um während des eigentlichen Verfahrens rasch wieder aufzuleben.

Dr. Sandra Sanchez, eine Gerichtsmedizinerin aus dem Dade County, befand sich im Zeugenstand. Sie hatte ausgesagt, das bei Elroy Doil gefundene Bowiemesser mit Blutspuren der beiden Mordopfer sei die Waffe, mit der Kingsley und Nellie Tempone erstochen worden seien.