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Hier war Geschichte gemacht worden; vielleicht wird hier heute wieder Geschichte gemacht, dachte Malcolm.

In der Eingangshalle blieben Ainslie und Bowe am Schreibtisch eines Sicherheitsbeamten stehen. Der Uniformierte winkte sie durch, als sie ihre Polizeiplaketten vorwiesen. Bevor Ainslie, der wußte, wo Cynthias Büro im Erdgeschoß lag, sich nach links wandte, zeigte er zu einer Sitzgruppe hinüber, um Ruby zu bedeuten, sie solle dort warten. Sie trennte sich widerstrebend von ihm, wobei sie sehr betont auf ihre Armbanduhr sah.

Bevor sie in das Gebäude gegangen waren, hatte Ainslie Braynen und seinen Partner angewiesen, im Streifenwagen zu bleiben, ihre Funkgeräte eingeschaltet zu lassen und sich sofort zu melden, falls er sie rief.

Ainslie ging weiter den Korridor entlang, bis er eine Tür erreichte, an der ein Schild verkündete:

OFFICE OF THE COMMISSIONER CYNTHIA ERNST

An dem Schreibtisch in dem fensterlosen Vorzimmer saß ein junger Assistent. Im Büro nebenan arbeitete eine Sekretärin an einem Computer. Die massive dunkelgrüne Tür zwischen den beiden Räumen war geschlossen.

Ainslie wies nochmals seine Polizeiplakette vor. »Ich muß dienstlich zu Commissioner Ernst. Aber melden Sie mich bitte nicht an.«

»Nicht nötig.« Der junge Mann zeigte auf die dunkelgrüne Tür. »Sie können gleich reingehen.« Ainslie öffnete die Tür, trat ein und schloß sie hinter sich.

Cynthia sah ihm entgegen. Sie saß mit ausdrucksloser Miene hinter einem reichverzierten Schreibtisch. Ihr Büro war geräumig und angenehm funktionell, aber nicht luxuriös. Aus dem Fenster gegenüber der Tür hatte man einen schönen Blick auf den Hafen mit den vor Anker liegenden Ausflugsschiffen. Hinter der schlichten Tür in der rechten Seitenwand lag vermutlich eine kleine Toilette.

Für einige Augenblicke herrschte Schweigen zwischen ihnen, bis Ainslie begann: »Ich möchte nur sagen, daß ich...«

»Danke, nicht nötig!« Cynthias Lippen bewegten sich kaum.

Ihr Blick war eisig.

Sie wußte alles. Weitere Erklärungen waren auf beiden Seiten überflüssig, das merkte er. Cynthia hatte ausgezeichnete Verbindungen; als City Commissioner konnte sie Gefälligkeiten erweisen, die andere Leute zu Dank verpflichteten. Offenbar hatte jemand, der in ihrer Schuld stand - vielleicht sogar aus der Anklagekammer oder dem Polizeipräsidium -, rasch nach dem Telefonhörer gegriffen, um sie zu warnen.

»Du wirst's wahrscheinlich nicht glauben, Cynthia«, sagte Ainslie, »aber ich wollte, es gäbe etwas, irgend etwas, das ich tun könnte.«

»Schön, denken wir mal darüber nach.« Ihre Stimme war so eisig wie ihr völlig abwesender Gesichtsausdruck. »Ich weiß, daß du Hinrichtungen magst, deshalb könntest du an der meiner Tochter teilnehmen - damit alles vorschriftsmäßig klappt. Vielleicht auch an meiner. Das würde dir sicher Spaß machen, nicht wahr?«

»Ich bitte dich, hör auf damit.«

»Was wäre dir lieber - Reue und Tränen, ein schwacher Abglanz von Frömmigkeit aus deinem früheren Gewerbe?«

Malcolm Ainslie seufzte. Obwohl er nicht recht wußte, worauf er gehofft hatte, war er sich darüber im klaren, daß er jegliche Hoffnung aufgeben mußte. Und er war sich auch darüber im klaren, daß er Ruby hätte mitnehmen sollen. Daß er sie dazu überredet hatte, ihn mit Cynthia allein zu lassen, war ein Fehler gewesen.

»Was ich zu tun habe, ist auf jeden Fall schwierig«, sagte er und überreichte ihr den Haftbefehl. »Tut mir leid, aber du bist verhaftet. Ich muß dich darauf hinweisen, daß...«

Cynthia lächelte spöttisch. »Ich nehme die Belehrung über meine Rechte als erhalten an.«

»Ich brauche deine Pistole. Wo ist sie?« Ainslies rechte Hand lag jetzt an seiner eigenen Glock, die er aber nicht zog. Er wußte, daß Cynthia ebenfalls eine 9mm-Pistole dieses Typs besaß; wie alle in den Ruhestand tretenden Polizeibeamten hatte sie ihre Dienstwaffe als Geschenk der Stadt behalten dürfen.

»Hier im Schreibtisch.« Sie war aufgestanden und deutete auf eine Schublade.

Ohne sie aus den Augen zu lassen, zog Ainslie die Schublade mit der linken Hand auf und tastete nach der Pistole ab. Sie lag unter einem weichen Tuch. Er nahm sie heraus und steckte sie ein.

»Dreh dich bitte um.« Er hielt Handschellen bereit.

»Nein, noch nicht.« Ihre Stimme klang fast wieder normal. »Ich muß erst auf die Toilette. Bestimmte Dinge kann man mit auf den Rücken gefesselten Händen schlecht erledigen.«

»Nein. Bleib, wo du bist.«

Cynthia wandte sich ungerührt ab und ging zu der inneren Tür, die er beim Hereinkommen gesehen hatte. Über die Schulter hinweg forderte sie ihn spöttisch auf: »Los, tu's doch, wenn's dir nicht paßt - erschieß mich!«

Zwei flüchtige Gedanken gingen ihm durch den Kopf, aber er verdrängte beide.

Als die Tür aufging, sah er dahinter ein WC. Ebenso offensichtlich war, daß dieser kleine Raum keinen zweiten Ausgang besaß. Die Tür fiel rasch ins Schloß. Ainslie nahm die rechte Hand von seiner Dienstwaffe und ging mit großen Schritten auf die Tür zu, um sie zu öffnen - notfalls mit Gewalt. Er ahnte plötzlich, daß er zu langsam reagiert hatte.

Aber bevor er die Tür erreichte, wurde sie schon nach wenigen Sekunden von innen aufgerissen. Cynthia, deren Gesicht zu einer haßerfüllten Maske erstarrt war, stand mit funkelnden Augen auf der Schwelle. »Halt! Keine Bewegung!« fauchte sie ihn an. In der rechten Hand hielt sie eine winzige Schußwaffe.

In dem Bewußtsein, übertölpelt worden zu sein, weil diese Waffe vermutlich auf der Toilette versteckt gewesen war, begann er: »Cynthia, hör zu... wir können...«

»Halt die Klappe!« In ihrem Gesicht arbeitete es. »Du hast gewußt, daß ich diese Waffe habe. Du hast's doch gewußt?«

Ainslie nickte langsam. Er hatte es nicht sicher gewußt, aber vor kaum einer Minute war ihm diese Möglichkeit in den Sinn gekommen; das war einer seiner Gedanken gewesen, die er verworfen hatte. Die Waffe, die Cynthia in der Hand hielt, war die winzige verchromte, fünfschüssige Pistole Smith & Wesson, ihre »Wegwerfwaffe«, die sie damals bei dem Bankraub mit Geiselnahme, den Ainslie und sie zufällig miterlebt hatten, so wirkungsvoll zum Einsatz gebracht hatte.

»Und du hast geglaubt, ich würde sie vielleicht gegen mich verwenden! Um mir und allen anderen eine Menge Schwierigkeiten zu ersparen. Los, gib's zu!«

Dies war der Augenblick der Wahrheit. »Ja, du hast recht«, gab Ainslie zu. Das war sein zweiter Gedanke gewesen.

»Nun, ich werde sie gebrauchen. Aber dich nehme ich mit, du Schweinehund!« Er sah, wie sie langsam ihre Pistole hob, um wie eine Scharfschützin zielen zu können.

Verschiedene Möglichkeiten fuhren ihm wie Blitze durch den Kopf. Er hätte beispielsweise nach seiner Waffe greifen können; aber Cynthia hätte bei der ersten Bewegung abgedrückt - und er hatte den Bankräuber mit dem Loch mitten in der Stirn gesehen. Was Ruby betraf, waren bisher noch keine fünf Minuten vergangen. Mit vernünftigen Argumenten war Cynthia nicht mehr beizukommen. Konnte er noch etwas tun? Nein, gar nichts. Er konnte nur akzeptieren, daß sein Ende gekommen war...

Cynthia war schußbereit. Er schloß die Augen, dann hörte er den Schuß... Seltsamerweise spürte er nichts... Er machte die Augen wieder auf.