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»Ich werde unruhig, wenn du mir nicht antwortest, Harry. Sehr unruhig. Ich weiß nicht, was du willst, aber vielleicht sollte ich dieses Handy ausschalten. Ist es das, was du willst, Harry? Versuchst du mich zu finden?«

Dieses Geräusch …

»Verdammt!« rief Harry. »Er hat aufgelegt.«

Er ließ sich auf den Stuhl fallen.

»Toowoomba hat begriffen, daß ich dran war. Wie konnte ihm das gelingen?«

»Spul das Band zurück«, sagte McCormack. »Und hol Marguez.«

Yong verließ den Raum, während sie das Band noch einmal abspielten.

Harry konnte es nicht beeinflussen, er spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten, als er erneut Toowoombas Stimme über den Lautsprecher hörte.

»Dies ist auf jeden Fall ein Ort, an dem sich sehr viele Menschen aufhalten«, sagte Wadkins. »Was ist das für ein Klatschen? Hört mal, da sind Kinder! Ist das ein Jahrmarkt?«

»Spul das Band zurück und laß es uns noch einmal hören«, bat McCormack.

»Wer ist am Apparat?« wiederholte Toowoomba, gefolgt von einem lauten Geräusch und Kindergeschrei.

»Was ist …?« begann Wadkins.

»Das ist ein kräftiges Wasserplätschern«, sagte eine Stimme in der Tür. Sie drehten sich um. Harry sah einen kleinen, braunen Kopf mit schwarzen Locken, einem schmalen Bart und winzigen, dicken Brillengläsern, der auf einem gewaltigen, wie von einer Fahrradpumpe aufgeblasenen Körper saß. Er schien jeden Moment zu platzen.

»Jesus Marguez – die besten Ohren in der Branche«, sagte McCormack, »und dabei ist er noch nicht einmal blind.«

»Nur fast«, murmelte Marguez und schob seine Brille zurecht. »Was habt ihr da?«

Lebie spielte das Band noch einmal ab. Marguez lauschte mit geschlossenen Augen.

»Ein geschlossener Raum, gemauerte Wände und Glas. Keinerlei Dämpfung, keine Teppiche oder Gardinen. Menschen, junge Menschen beiderlei Geschlechts. Vermutlich ein paar Familien mit kleinen Kindern.«

»Wie können Sie das alles aus diesem bißchen Lärm entnehmen?« fragte Wadkins mißtrauisch.

Marguez seufzte. Offensichtlich begegnete er dieser Skepsis nicht zum ersten Mal.

»Wissen Sie, was für ein phantastisches Instrument das Ohr ist?« sagte er. »Es kann mehr als eine Million Druckunterschiede wahrnehmen. Eine Million. Und ein einzelnes Geräusch kann aus zig verschiedenen Frequenzen und Teilelementen zusammengesetzt sein. Das ergibt zigmillionen Möglichkeiten. Ein normales Lexikon beinhaltet in der Regel nur etwa 100.000 Schlagwörter. Zigmillionen Möglichkeiten, der Rest ist Training.«

»Dieses Geräusch, das die ganze Zeit über im Hintergrund zu hören ist, was ist das?« fragte Harry.

»Das zwischen 100 und 120 Hertz? Das ist nicht so einfach zu sagen. Wir können die anderen Geräusche unten im Studio herausfiltern und diesen Ton isolieren, aber das braucht Zeit.«

»Und die haben wir nicht«, sagte McCormack.

»Aber wie konnte er Harry erkennen, ohne daß er auch nur einen Ton gesagt hat?« fragte Lebie. »Intuition?«

Marguez nahm seine Brille ab und putzte sie abwesend.

»Das, was wir so schön als Intuition bezeichnen, mein Freund, ist immer von unseren Sinneseindrücken beeinflußt. Aber wenn diese Eindrücke so schwach und delikat sind, daß wir sie nur als Gefühle wahrnehmen, wie eine Feder unter der Nase, wenn wir schlafen, und es uns nicht gelingt, die Assoziationen, die uns unser Gehirn liefert, zu benennen, dann reden wir von Intuition. Vielleicht war es ganz einfach die Art … äh, wie Harry geatmet hat?«

»Ich habe den Atem angehalten«, sagte Harry.

»Haben Sie ihn früher schon einmal von hier angerufen? Vielleicht die Akustik? Die Hintergrundgeräusche? Die Menschen haben ein erstaunlich gutes Gedächtnis für Geräusche, viel besser als man gemeinhin glaubt.«

»Ich habe ihn einmal von hier aus angerufen.« Harry starrte den alten Ventilator an. »Natürlich«, sagte er. »Daß ich nicht daran gedacht habe.«

»Hm«, sagte Jesus Marguez. »Hört sich an, als ob der, den ihr sucht, eine ziemlich interessante Person ist. Wie hoch ist das Kopfgeld?«

»Ich war da«, sagte Harry mit weit aufgerissenen Augen, die noch immer den Ventilator fixierten. »Natürlich. Deshalb kenne ich auch dieses Geräusch im Hintergrund. Ich war da schon einmal. Dieses Blubbern …«

Er drehte sich um:

»Er ist im Aquarium!«

»Hm«, sagte Marguez und prüfte nach, ob seine Brillengläser auch wirklich sauber waren. »Das paßt. Ich war da ja selbst schon einmal. So ein Platschen kann zum Beispiel von dem Schwanz eines ziemlich großen Salzwasserkrokodils erzeugt werden.«

Als er wieder aufschaute, war er vollkommen allein im Raum.

Es war sieben Uhr.

Vielleicht hätten sie auf dem kurzen Weg vom Präsidium hinunter nach Darling Harbour das Leben von Passanten und Zivilisten aufs Spiel gesetzt, doch die Frage stellte sich nicht, denn der Sturm hatte die Straßen leergefegt. Lebie gab trotzdem sein Bestes, und es war vermutlich nur das Blaulicht auf dem Dach, das im letzten Augenblick einen einsamen Fußgänger dazu verleitete, zur Seite zu springen, und ein paar entgegenkommende Autos an den Straßenrand scheuchte. Wadkins saß auf dem Rücksitz und fluchte unentwegt, während McCormack auf dem Vordersitz im Aquarium anrief, um die Polizeiaktion anzukündigen.

Als sie auf den Platz vor dem Aquarium vorfuhren, standen die Flaggen am Darling Harbour steif im Wind, und die Brandung schlug über die Kaimauer. Einige Polizeiwagen waren bereits da, und uniformierte Polizisten versperrten die Ausgänge.

McCormack gab die letzten Befehle.

»Yong, du versorgst unsere Leute mit Fotos von Toowoomba. Wadkins, du kommst mit mir in den Überwachungsraum. Dort gibt es Kameras, die das ganze Aquarium überwachen. Lebie und Harry, ihr beginnt mit der Suche. Das Aquarium schließt in wenigen Minuten. Hier sind die Funkgeräte, steckt euch sofort den Knopf ins Ohr und macht das Mikro am Jackenkragen fest, und überprüft, ob die Verbindung steht! Wir geben euch Anweisungen vom Überwachungsraum aus, okay?«

Als Harry aus dem Auto stieg, wäre er fast von einer Böe zu Boden gerissen worden. Eilig versuchten sie, unter das schützende Vordach zu kommen.

»Zum Glück ist es nicht ganz so voll wie sonst immer«, stellte McCormack fest. Die paar schnellen Schritte hatten ihn bereits außer Atem gebracht. »Das muß am Wetter liegen. Wenn er hier ist, finden wir ihn!«

Sie wurden von der Oberaufsicht in Empfang genommen, die Wadkins und McCormack in den Überwachungsraum brachte. Harry und Lebie überprüften die Funkverbindung und wurden an der Kasse vorbeigewunken. Dann begannen sie, sich durch die Menschenmenge auf dem engen Flur zu schieben.

Harry prüfte nach, ob seine Pistole im Schulterhalfter saß. Das Aquarium wirkte mit all dem Licht und den vielen Menschen vollkommen verändert. Außerdem schien es ihm unendlich lang her zu sein, daß er mit Birgitta hier gewesen war, als wäre das in einer anderen Zeitrechnung gewesen.

Er versuchte, nicht daran zu denken.

»Wir sind da.« McCormacks Stimme klang sicher und beruhigend im Ohr. »Wir kontrollieren jetzt die Kamerabilder. Yong und ein paar Beamten überprüfen die Toiletten und das Cafe. Wir haben euch übrigens auf dem Monitor. Geht nur weiter.«

Die Gänge des Aquariums führten das Publikum in einer Runde wieder zum Eingang zurück. Harry und Lebie gingen in umgekehrter Richtung, so daß sie die Gesichter aller Entgegekommenden sehen konnten. Harrys Herz hämmerte in seiner Brust. Er spürte, daß er einen trockenen Mund und feuchte Hände bekam. Fremde Sprachen schwirrten um seinen Kopf, und Harry hatte das Gefühl, durch einen Mahlstrom von Menschen unterschiedlicher Nationalität, Hautfarbe und Kleiderordnung zu schwimmen. Sie gingen durch den Tunnel unter dem Wasser, in dem Birgitta und er die Nacht verbracht hatten – jetzt standen dort Kinder, die ihre Nasen an den Scheiben plattdrückten und zuschauten, wie das Leben unter Wasser seinen unerschütterlichen Gang ging.

»This place gives me the creeps«, flüsterte Lebie. Er hielt eine Hand unter der Jacke.