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Dr. Mohr trat aus der Polizeistation und ging auf Felipe Salto zu.

«Da drinnen ist ein Mädchen, das weint!«rief er. Die vier Polizisten zogen die Köpfe ein.

«Ich weiß es!«schrie Leutnant Salto.

«Man hat sie völlig unschuldig eingesperrt.«

«Unschuldig ist hier keiner! O Madre, reden Sie in Penasblancas nie von Unschuld. Ich weiß, Pedro, das Mädchen ist hübsch! Habe es mit einem Blick gesehen. Darum verhöre ich auch meine vier Knaben!«

«Sie wollte nur ihre Schwester besuchen.«

«Das glauben Sie?«

«Ja.«

«Nur, weil sie weint und Sie mit ihren Schafsaugen anwimmert?! Mein lieber Freund — hier gibt es nur Gauner! Vom ersten Lebensschrei bis zum letzten Seufzer. Einschließlich der Polizei!«Er wandte sich wieder seinen vier Polizisten zu und brüllte:»Wer hat die Kleine für sein Bett geholt?! Antwort!«

«Komm«, sagte Pater Cristobal und hakte sich bei Dr. Mohr unter.

«Wohin?«

«Da hinüber in den Tanzschuppen. Mich reizt die Musik.«

«Und das Frauengekreische.«

«Auch.«

«In der ersten Nacht schon eine Bibelstunde? Das kann ja heiter werden!«Dr. Mohr schüttelte den Kopf.»Mich interessiert das Schicksal dieser Margarita viel mehr.«

«Sie wird entlassen!«schrie Leutnant Salto.»Natürlich kommt sie heraus!«Er hatte aus seinen vier Polizisten wenigstens einen Teil der Wahrheit herausgebrüllt.»Sie sagen, Christus Revaila habe befohlen, die Straßen zu meiden. Da tauchte dieses Mädchen auf, und um mit Christus keinen Krach zu bekommen, haben sie die Kleine eingesperrt. Pater, das wäre doch Ihr Fall. Ein Obergangster, der Christus heißt. Himmel, verzeih mir, das ist keine Lästerung, aber der Kerl heißt nun mal so.«

«Ich werde mich um diese Kleinigkeiten der Reihe nach kümmern. «Pater Cristobal zog es zur >Dancing Bar<.»Wo wohnen wir überhaupt?«

«Zunächst bei mir!«sagte Leutnant Salto.»Major Gomez fährt morgen weiter nach Muzo. Dann sehen wir weiter. Der Pater wird es am einfachsten haben: Der ganze Himmel ist sein Zelt!«

«Gehen wir. «Cristobal Montero knöpfte seine geflickte, dreckige Leinenjacke zu und stapfte die Straße hinunter zur >Bar<. Dr. Mohr zögerte, dann folgte er mit langen Schritten und holte den Pater vor der Tür des anscheinend größten und höchsten Hauses von Penasblancas ein. Es hatte eine Fassade aus weißlackiertem, geschnitztem Holz, war drei Etagen hoch und nach altem spanischem Baustil mit einigen kleinen Balkonen verziert.

Der Bar gegenüber, hinter einer Jalousie, hockte ein Mann im Dunkeln und meldete per Sprechfunk:»Jetzt gehen zwei in den Tanzschuppen. Was nun?«

Christus Revaila, der Empfänger des Funkspruches, starrte entsetzt an die Wand.

«Sind die denn verrückt?«sagte er heiser.»Sofort zu Mercedes?«

«Einer mit Bart, und ein kräftiger Bursche mit schwarzen kleinen Locken.«

«Das ist er!«

«Wer?«

«Dem keine Locke mehr gekräuselt werden darf. «fauchte Revaila.»Ich rufe Mercedes an.«

«Zu spät. Sie gehen ins Haus!«

Christus Revaila warfsein Funkgerät weg, sprang aus dem Sessel, klemmte einen Revolver in den Hosenbund und verließ schnell sein Haus. Er hatte es nicht weit bis zur >Bar<, aber er befürchtete, daß jetzt der Weg zu lang war, um zu verhindern, was sich gerade anbahnte.

Pater Cristobal und Dr. Mohr stießen die Tür auf und traten ein. Ein Faustschlag aus geballter Musik traf sie. Aus allen Ecken dröhnten Lautsprecher. Eine Art Portier, der hinter der Tür stand, bullig, breitschultrig, mit eingeschlagenem Nasenbein, glotzte sie dümmlich an. Er wußte nicht, was er tun sollte. Ein Besuch der Neuen in der >Bar<, gleich in der ersten Stunde, stand nicht auf dem Programm, das Christus Revaila verkündet hatte. Wer konnte mit so etwas rechnen?

«Aha!«sagte der Portier hilflos.»Da seid ihr ja.«

«Gott segne dich, mein Sohn!«antwortete Pater Cristobal und schlug das Kreuz über die Brust des völlig Verblüfften.»Kannst du singen?«

«Ja.«, stammelte der Portier.

«Gut?«

«Man. man kann's sich anhören.«

«Dachte ich mir. Du hast einen guten Ton in der Stimme! Ab nächsten Sonntag bist du Vorsänger in der Kirche.«

«Maria.«, stammelte der Portier. Pater Cristobal nickte freundlich.

«Sie wird dir helfen, Bruder. Du hast recht.«

An dem völlig Sprachlosen vorbei betraten sie das Tanzlokal. Es war ein riesiger Raum mit vielen runden Tischen und einfachen, mehrfach geflickten Stühlen, was bewies, daß man hier Diskussionen mit Stuhlbeinen unterstrich. Auf einigen Tischen lagen sogar Deckchen. Eine Wand wurde von einer den Raummaßen angepaßten gewaltigen Theke beherrscht, hinter der nicht, wie sonst, Regale mit Flaschen oder Gläsern standen, sondern nur die mit indianischen Motiven bemalte Wand bunt und durch von an der Decke angestrahlten Scheinwerfern in den Saal strahlte. Das Auffälligste war die Theke selbst. Sie war verkleidet mit ebenfalls bemalten Stahlplatten. Die Nieten waren deutlich zu sehen und stellten sogar ein künstlerisches Element dar.

«Ein Panzer!«sagte Pater Cristobal sinnend.»Das ist keine Theke, Pedro, das ist ein Panzer! Wer dahinter in Deckung geht, kann nur mit Granaten hervorgelockt werden. «Er ging zu einem der Tische, den ein lustiges Deckchen bedeckte, lächelte die Männer, die daran saßen, wortlos an und zog die Decke weg. In der Tischplatte saßen ein paar häßliche Löcher, die sicherlich nicht der Ventilation wegen hineingebohrt worden waren.

«Das ist alles gespenstisch«, sagte Dr. Mohr leise.»Die Zeit ist zurückgedreht: Leben wir im Wilden Westen?!«

«Ja!«

«Mit allen Zutaten.«

«Nur modifiziert!«

«Und das ist weitaus gefährlicher.«

«Warten wir es ab. «Pater Cristobal ging auf die Theke zu. Getreu allen Anordnungen von Christus Revaila kümmerte sich keiner um sie. Auf dem Holzparkett tanzten die Paare mit wilden Zuckungen und Verrenkungen, die Menschen an den Tischen sahen zu oder unterhielten sich, an der Bartheke hockten ein paar Trinker und schlugen den Takt der Musik mit den Stiefelspitzen gegen die Panzerplatten. Es waren verwegene Gestalten, kräftig, aber von der Arbeit in den Minenstollen ausgemergelt, lederhäutig, mit merkwürdig großen, glänzenden Augen.

Peyotl-Saft, dachte Dr. Mohr. Oder Cocablätterkauen. Oder Tuberkulose, Vitaminmangelerscheinungen. Kinderaugen in Greisen-köpfen.

Einen Meter vor der Theke wurden sie aufgehalten. Nicht, daß man sie festhielt oder hinderte, anrief oder sich ihnen in den Weg stellte, nein, sie blieben ruckartig von selbst stehen. Eine Erscheinung, die von der Seite kam, machte es unmöglich, gelassen weiterzugehen. Aus einer kleinen Tür neben der Theke trat eine hochgewachsene und ziemlich fleischige Frau. Mit hochgesteckten, schwarzen Haaren, einem ehemals bestimmt faszinierenden Gesicht, welches nun etwas verquollen und in die Breite gelaufen war, und in dem die Augen steckten wie zwei eben ausgeglühte Kohlenstücke.

Sie trug eine Bluse aus gelber Seide über ihrem mächtigen Busen, einen bis zu den Knöcheln reichenden Rock aus geblümtem Cotton und darunter, man sah es beim Gehen deutlich, hohe Stiefel. Um die Taille aber, und das unterschied sie besonders von den anderen Frauen, trug sie einen breiten Ledergürtel, an dem in zwei offenen Halftern die Griffe von zwei Revolvern schimmerten. Die Frau hatte einen männlich-festen Gang und brauchte sich durch die Menge ihrer Gäste gar nicht erst einen Weg zu bahnen. Es bildete sich eine Gasse, die sich hinter ihr wieder schloß.

«Aha!«sagte Dr. Mohr leise.»Die >Grande Dame< des Etablissements. Mütterchen Puff. Cristobal, aus welcher Ecke kommt jetzt John Wayne?! Das ist doch Hollywood!«

«Das ist Penasblancas, Pedro. Wo Menschen sind, wiederholt sich alles. Die Lebensumstände sind begrenzt. Wir merken es bloß nicht, weil wir uns für so vollkommen halten!«Er steckte die Hände in die Taschen seines Leinenjacketts und betrachtete mit deutlichem Wohlwollen die revolverschleppende, imponierende Frauengestalt.