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«Sie sind ein Glücksmensch, Doctor«, sagte Novarra und küßte Dr. Mohr auf beide Wangen.»Jetzt kann ich es Ihnen gestehen: Gestern nacht gab ich für unser Leben keinen Peso mehr. Als ich das Donnern der Bergrutsche hörte, hatte ich abgeschlossen. Da kommen wir nie wieder raus, habe ich gedacht. Wir sitzen in der Falle. Hinter uns der Weg verschüttet, vor uns die Schlucht versperrt, und wir stecken herrlich in der Senke und ersaufen wie die jungen Karnickel. Aber ich hatte vergessen: Sie waren ja bei uns! Das Sonntagskind!«Er hüstelte, küßte auch Margarita auf die Wangen und sagte dann grob:»Und jetzt weg mit Ihnen, ehe die Schlucht vol-läuft.«

«Und wo gehen Sie hin?«fragte Dr. Mohr.

«Wir verkriechen uns irgendwo. Denken Sie ab und zu an uns.«

«Was reden Sie da für einen Blödsinn! Ich komme in ein paar Tagen zurück!«

«Bis Sie wieder zu Ihrem Hospital durchkommen, kann es Wochen dauern.«

«Dann in zwei oder drei Wochen! Ich habe es mir überlegt: Ich fahre nicht mit Nuria nach Bogota. Ich gehöre jetzt in die Berge, zu den Verletzten! Mit Don Camargo kann Major Gomez sprechen.«

«Don Alfonso wird Gomez nicht einmal anfurzen, geschweige denn anhören.«

«Es genügt, wenn Camargo die Wahrheit erfährt. Antworten braucht er nicht. Ich kenne das ja. Er wird in einen leeren Raum hineinsprechen, in einem großen Bürohaus, aber wenn er auch niemanden sieht, er wird gehört werden. Ich aber komme sofort mit Per-dita zurück.«

Dr. Novarra nickte. Er stieg wieder auf sein Muli, zog die Plane über sich und hob noch einmal grüßend die Hand. Seine Männer waren schon zurückgeritten und verschwanden im strömenden Grau. Der Regen saugte sie auf.

«Wenn wir uns nicht mehr wiedersehen sollten, Doctor: Lösen Sie sich nicht in Traurigkeit auf!Die Monate, die Sie bei uns waren, haben Geschichte gemacht. Guaquero-Geschichte. Auch die gibt es, aber die hat noch keiner geschrieben. Wer will schon lesen, daß 30.000 Männer, Frauen und Kinder nur wegen ein paar grüner Steine ein unbegreifliches Leben führen? Wen interessiert es? Am wenigsten die Damen, die ihren Smaragdschmuck in der Oper und bei Galaabenden vorführen und sich sonnen im bewundernden Blick der anderen. Wer ahnt denn, wieviel Blut an diesen Steinen kleben kann, welche Schicksale mit ihnen verbunden sind, aus welchem Meer von Elend diese Steine gefischt wurden, die dort am Hals, am Ohr oder am Handgelenk einer schönen Frau ein Vermögen kosten. Vielleicht schreiben Sie mal darüber, Doctor.«

Er winkte, trat seinem Muli in die Seiten und trabte den anderen nach. Dr. Mohr blieb im strömenden Regen stehen, bis auch Dr. Novarra in die graue Wand eingetaucht war. Das merkwürdige, beklemmende Gefühl erfaßte ihn wieder, das er schon bei den Abschiedsworten von Pater Cristobal empfunden hatte. Er drehte sich um, rannte zu seinem Muli, sprang in den flachen Ledersattel und sah zu Margarita und Nuria hinüber. Sie saßen auf ihren Tieren, und das Wasser klatschte an ihren Planen herunter. Die Kinder in den Flechtkörben, ebenfalls durch Planen geschützt, waren so still, als seien sie schon ertrunken.

«Weiter!«rief Dr. Mohr.»Noch ein paar hundert Meter, dann haben wir es warm und trocken.«

In Penasblancas wohnten sie im Polizeigebäude. Dort hatte sich nichts verändert bis auf einen Gast, der in Zelle III auf einer Pritsche hockte und Dr. Mohr aus kalten Raubtieraugen anstarrte, als dieser an die Gitter trat. Er sprach kein Wort, auch nicht, als Leutnant Salto erklärte:

«Ich hielt es für das beste, Doctor, Christus Revaila zu seiner eigenen Sicherheit festzunehmen. Ein Anwalt in Muzo hat zwar sofort Beschwerde eingelegt, aber bis die bearbeitet wird, sind Sie längst in Bogota. «Salto klopfte gegen die Eisengitter.»He, Christus! Du wolltest doch dem Medico so viel sagen, wenn du ihn wiedersiehst.«

Revaila blickte Dr. Mohr voll Haß an, drehte ihm dann den Rücken zu und trommelte mit den Fingern auf die Matratze.

«Er platzt vor Wut!«sagte Leutnant Salto gemütlich.»Lassen wir ihn allein. Vielleicht frißt er sich selbst auf.«

In Penasblancas hatte sich manches nach dem Einmarsch von Major Gomez' Truppe verändert. Die Bar von Mercedes Ordaz war geschlossen. In dem großen Haus wohnten jetzt Offiziere und Unteroffiziere der II. Kompanie. Aus dem Restaurant war ein Büro geworden. Die Mädchen lebten jetzt verstreut in der Stadt und arbeiteten auf eigene Rechnung. >Mama< durfte in ihren Räumen wohnen bleiben, aber sie stand unter ständiger Beobachtung, verließ kaum noch ihre Zimmer, saß meistens am Fenster, blickte auf die Straße und schien auf ein Wunder zu warten. Auch sie beschäftigte einen Anwalt, der extra aus Bogota gekommen war, um bei Major Gomez zu protestieren. Gomez hatte ihn ausreden lassen und dann geantwortet:

«Sie haben in allem unrecht, Senor! Das ist keine militärische Willkür, das ist kein Rechtsbruch, das ist keine Niederschlagung der persönlichen Freiheit, das ist eine Maßnahme des Innenministeriums zur Bekämpfung der internationalen Kriminalität! Ich habe alle Vollmachten. Beschweren Sie sich beim Minister persönlich!«

Ein paarmal versuchte >Mama<, über Besucher, die sie empfangen durfte, Verbindungen mit ihren Mädchen aufzunehmen, um wenigstens diesen Betrieb weiter zu kontrollieren, wenn schon das Smaragdgeschäft vorübergehend eingeschlafen war. Aber auch das mißlang. Die Macht der Mercedes Ordaz war lahm geworden. Ihre Lockrufe verhallten unbeantwortet, ihre heimlichen Drohungen, die sich auf die Zukunft bezogen, denn sowohl sie wie auch Christus Revaila betrachteten den gegenwärtigen Zustand als eine vorübergehende anormale Episode eines beförderungswütigen Majors, wurden nicht ernst genommen, ihre Versprechungen hörte niemand mehr an.

Begann in Penasblancas tatsächlich eine neue Zeit?

«Sie haben uns allen Mut gemacht, Doctor«, sagte Leutnant Salto.»Sie und Pater Cristobal waren uns immer ein Vorbild, wenn wir uns sagten: Es hat doch alles keinen Sinn! Wir packen nur in Brei! Diesen Sumpf können wir nie leerpumpen! — Und dann hörten wir, was Sie da hinten in den Bergen alles geschaffen haben. Das trat uns moralisch in den Hintern, verstehen Sie das? Vor allem Major Gomez war ein völlig anderer Mensch, nachdem er von Ihnen zurückkam. Er hat Penasblancas genommen, als stürme er eine Festung. Und so langsam ändert sich alles. «Salto lächelte schief.»Statt eines Großbordells haben wir jetzt 14 Einzelfirmen! Nicht mehr Mercedes allein beschützt die Mädchen, jetzt übernehmen das 14 Zuhälter. Wir normalisieren uns.«

«Wo lebt Perdita Pebas jetzt? Wir wollen gleich morgen zu ihr.«

«Sie ist nicht mehr hier.«

«Was?«Dr. Mohr atmete tief auf.»Weiß das Margarita schon?«

«Ja. «Salto zögerte, dann sprach er weiter.»Sie fragte gleich im Zelt nach ihr. Als Sie Ihre nassen Kleider zum Trocknen aufhäng-ten, fragte sie leise. Ich mußte ihr die Wahrheit sagen. Perdita Pe-bas ist mit einem Mann weggezogen.«

«Wohin, wissen Sie auch?«

«Es heißt, sie wollten nach Chivor. Der Mann ist ein Händler. Er verkauft Hemden, Anzüge, Stiefel und Mützen, natürlich nur gegen Smaragde. Ich vermute, er verkauft auch Waffen! Aber das war nicht nachzuweisen. «Leutnant Salto zuckte mit den Schultern.»Schade um das Mädchen. Es war ein hübsches Ding. Ich hatte nach dem Auflösen der Bar auch gehofft, daß sie zu ihrem Vater zurückkehrt, aber das Leben bei >Mama< hatte sie schon zu sehr angefressen. Sie konnte nicht mehr umdrehen. «Er reichte Dr. Mohr seine Zigaret-ten hinüber.»Wo ist Margarita jetzt?«

«Sie kauft mit Nuria neue Kinderkleider.«

«Allein?«rief Salto entsetzt.

«Einer Ihrer Polizisten, der dienstfrei hat, begleitet sie.«

«Ist es wahr, daß Zapiga einen Millionenfand gemacht hat?«

«Ja.«

«Einen reinen Smaragd von über 200 Karat?«