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Wenn man Penasblancas eine Stadt nennt, sind die Slums von Rio oder Hongkong eine Anhäufung königlicher Paläste. Natürlich gibt es Häuser in Penasblancas. Flach gebaut wie zur Zeit der Siedler im amerikanischen Westen, Holzschuppen, den alten Goldgräbersiedlungen wie am Sacramento in Kalifornien oder am Klondike in Alaska ähnlich. Es gab ein paar Straßen aus festgestampfter Erde, an denen das Magazin lag, die Polizeistation, ein paar Läden, Werkstätten, Schuppen und ein großer Bau, dessen beleuchtetes Schild >Bar and Dancing< grell in die Nacht leuchtete.

Überhaupt Licht!

Als die Minen stillgelegt wurden, schnitt man auch Penasblancas den Strom ab. In Muzo gab es noch Elektrizität, desgleichen in Chi-vor und Cozques, überall, wo Militär stationiert war. Die Generatoren in Penasblancas jedoch hatte man stillgelegt. Bis auf geheimnisvolle Weise eines Tages dann doch wieder das Licht anging, wenn auch nur im >Stadtinneren<. Monteure flickten die Leitungen, brachten die Generatoren, mit Benzin betrieben, wieder in Gang, und Christus Revaila, der große Orts-Boß, der mit seiner Leibwache herumzog und Penasblancas als seinen Besitz betrachtete, ließ verkünden, daß jeder, der Licht aus der Leitung haben wollte, dafür Pesos bezahlen müsse. Da wußte man, von wem die Wohltat in die Berge gekommen war. Der große Don Alfonso.

Ein halbes Jahr herrschte Anarchie. Man versuchte, heimlich die Leitung anzuzapfen und eine Strippe in seine Berghöhlen zu ziehen, in die Waldhütten, in die Erdwohnungen der Ärmsten der Armen unter den Guaqueros. Christus Revaila unterband solch, seiner Meinung nach, unfeines Tun sehr schnell. Neun Stromdiebe wur-den erschossen, und siehe da, die anderen klemmten schnell ihre heimlichen Leitungen wieder ab. So kam es, daß einige Straßen in Penasblancas Licht hatten, strahlendes Licht, und direkt daneben die tiefe Nacht begann. Teilweise fehlte sogar das Schummerlicht der Kerzen und Petroleumlampen, und es herrschte undurchdringliche Dunkelheit. Hier lebte man von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Nur in den Bergen selbst loderten noch, wie in Urzeiten, die Feuer und gaben Wärme, Licht und Schutz. Dort wohnten Tausende in blättergedeckten Hütten, in ausgebauten Höhlen, auf vorspringenden Plateaus, Vogelnestern gleich. Familien mit neun, zehn Kindern, Hühnern, Schweinen, Ziegen, Mulis, menschliche Termiten, die in den Bergfalten herumkriechen, Tag und Nacht hämmern und bohren und sich in den Fels fressen: Smaragde! Smaragde!

Der Traum vom Reichtum.

In Penasblancas war man auf den Neuzugang vorbereitet. Das Nachrichtensystem funktionierte einwandfrei. Unsichtbare Wächter, die die vier ahnungslos passiert hatten, gaben per Funk durch:»Es kommen Fremde. Militär. Nur zwei Wagen. Sollen wir sie in die Luft jagen?«

Christus Revaila stoppte die sonst übliche Begrüßung, von der genug Kreuze am Straßenrand zeugten.»Passieren lassen!«brüllte er in sein Funkgerät.»Wehe, wenn etwas in die Hosen geht! Das sind besondere Kerle.«

Die >idiotischen Vier< hielten dort an, wo sie hingehörten: vor der Polizeistation. Die vier, bisher verwaisten Polizisten standen in der Tür und salutierten. Sie trugen Uniform, nach sieben Wochen zum ersten Mal wieder. Vor sieben Wochen genau war nämlich ihr Chef durch einen rätselhaften Messerwurf in den Rücken aus dem Dienst geschieden. Ansonsten war die Straße leer. Nur aus der >Dancing Bar< tönte laute Musik. Amerikanischer Rock.

Dr. Mohr sah sich um. Das darf nicht wahr sein, dachte er. Das ist aus einem alten Hollywood-Film! Eine verkommene Stadt, rundum in den Bergen Feuer und flimmernde Lichter, ein Tanzschuppen, vier einsame Polizisten, die trübe auf ihren neuen Chef blicken.

Gespenstisch ist das! Ein maskierter Vorhof zur Hölle.

«Eine friedliche Kleinstadt«, sagte er laut. Die vier Polizisten zuckten zusammen, als rattere eine Maschinenpistole los. Leutnant Salto seufzte, ging in sein neues >Polizeipräsidium< und kam schnell wieder heraus. Der Major, Kommandeur des II. Bataillons, welches ihn bereits nach der Nachricht, er wolle in Penasblancas übernachten, abgeschrieben hatte, blieb im Geländewagen sitzen. Pater Cristobal schielte auf die Tanzbar. Er ahnte ein reiches Missionsfeld.

«Was ist los?«fragte Dr. Mohr.

Leutnant Salto zeigte nach hinten.»Was ist das für ein Weib in der Zelle?«brüllte er.»Unterhält die Polizei hier einen eigenen Puff?! Das Mädchen weint.«

Dr. Mohr ging an den vier Polizisten vorbei und betrat die Polizeistation. Hinter dem großen Dienstzimmer war eine Tür geöffnet und ließ den Blick auf einen Zellentrakt frei. Zwei Zellen waren leer, in der dritten stand ein junges Mädchen, preßte das schmale Gesicht an die Gitter und weinte herzzerreißend. Als es Dr. Mohr sah, hob es den Kopf und atmete tief durch.

Dr. Mohr blieb ruckartig stehen. Eine Madonna, dachte er. Es ist saublöd, ich weiß es. aber das ist eine weinende Madonna. So hätte Velasquez eine Madonna gemalt, ein zartes, schmales Gesicht, umflossen von schwarzen Haaren, ein Gesicht, beherrscht von den Augen und dem Mund. Ein Gesicht, das von innen strahlen kann und selbst im Leid noch einen Glanz ausströmt.

«Weinen Sie nicht«, sagte Dr. Mohr und trat an das Eisengitter.»Wenn ich Ihnen helfen kann, brauchen Sie nicht mehr zu weinen.«

Das Mädchen nickte und starrte ihn ungläubig an. Zum erstenmal in ihrem Leben redete jemand sie mit >Sie< an; zum erstenmal sagte keiner >Na, kleine Hure!< oder >Verdammtes Bastardaas!< zu ihr.

Zum erstenmal war ein Mann höflich, ohne ihr sofort in die Bluse zu greifen.

«Ich heiße Margarita«, sagte sie und unterdrückte ein neues Schluchzen.»Ich habe nichts getan! Ich wollte nur meine Schwester besuchen!«

«Ich werde Ihnen helfen«, sagte Dr. Mohr mit merkwürdig belegter Stimme.»Verlassen Sie sich nur auf mich. Ich hole Sie hier heraus.«

Das Mädchen sah ihn mit großen erstaunten Augen an. Dr. Mohr warf ihr noch einen aufmunternden Blick zu, wandte sich ab und verließ den Zellentrakt.

Vor der Tür der Polizeistation schrie Leutnant Felipe Salto noch immer herum. Die Polizisten ließen es mit ergebenem und trübem Blick über sich ergehen. Er ist neu hier, dachten sie. Da ist man noch voll Idealismus und will alles ändern, besser machen, überall aufräumen. Das kennen wir, Camaradas, das verflüchtigt sich wie ein lauter Furz, das ist bei allen so, die hier nach Penasblancas kommen und staatliche Gewalt demonstrieren wollen. Nur zwei Dinge bleiben jedoch im Endeffekt übrig: Entweder man stellt sich um, sehr schnell und gründlich — dann lebt es sich auch in dieser Hölle verhältnismäßig gut, oder aber man bleibt stur und endet so wie der Vorgänger. Wer das Messer in seinen Körper geworfen hat, wird nie in Erfahrung gebracht werden, Camarada, brüll noch ein bißchen, das tut gut. Morgen, wenn die Sonne scheint, beginnt ein anderer Tag, auch für dich. Daß Penasblancas so friedlich aussieht, so verschlafen, so treuherzig — das ist nur, weil Christus Revaila den Befehl gegeben hat: Laßt die vier kommen und tut ihnen nichts. Laßt sie ins Leere laufen. Am Smaragdsuchen wird uns keiner hindern.

Pater Cristobal, der ein paar Schritte die Straße hinunter gegangen war und die >Dancing Bar< näher betrachtet hatte, kam zurück und beugte sich in den Geländewagen. Major Luis Gomez hockte noch immer auf dem Sitz, das Schnellfeuergewehr zwischen den Beinen.

«Was sagen Sie nun?«fragte Cristobal Montero.»Ein Städtchen mit friedlich schlafenden Bürgern. Ein paar schwingen das Tanzbein und besaufen sich. Dem Gekreische nach gibt es auch unterhaltsame Damen.«

«Die spielen uns hier ein billiges Stück vor«, knurrte Gomez.»Oder glauben Sie wirklich an diesen Frieden, Pater? Hätte man uns hier mit Feindschaft empfangen — gut, damit habe ich gerechnet, das wäre normal gewesen. Aber diese Ruhe?! Das ist ja direkt pervers! Sehen Sie sich nur um, dort in den Bergen, überall diese Lichter und offenen Feuer! Da sitzen Tausende in den Felsen! Da warten ganze Regimenter auf uns vier!«