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Kraftvoll schwang er sich in den Sattel, hielt die Lanze griffbereit und ritt voran. Aber obwohl sie im ersten Gehöft ihre Bitte um Unterkunft höflich vorbrachten, wurden sie barsch abgefertigt. »Schert euch weg, oder ich werde den Kettenhund freilassen. Wir dulden in unserem Dorf keine Landstreicher und Wegelagerer.«

Henri fuhr sich durch das zerzauste Haar, strich sich über den struppigen Bart und betrachtete die dornen-zerrissene Kleidung seines Gefährten. Er war dem Bauern nicht gram. Sehr vertrauenerweckend sahen sie nicht aus.

Am Ende des Ortes fanden sie eine Bäuerin beim abendlichen Melken im Stall. Diesmal hatte Henri Vorsorge getroffen. Auf der ausgestreckten Hand hielt er der Frau einige Münzen hin. Sie hatte den Kopf geschüttelt, als Henri um Unterkunft gebeten hatte, grapschte aber jetzt nach den Münzen und ließ sie in ihrer Schürzentasche verschwinden. »Ihr könnt die Nacht hier im Stroh verbringen.«

»Mit wem sprichst du da?«, ertönte eine raue Stimme aus der Küche. Die Bäuerin sprang so schnell auf, dass sie beinahe den Milcheimer umgestoßen hätte. Sie eilte in die Küche und flüsterte ihrem Mann etwas zu, was Henri und Joshua nicht verstehen konnten. Deutlich aber hörten sie ein paar klatschende Schläge und das Jammergeschrei der Frau.

Bevor der Bauer den Stall betrat, hatte Henri seinem Lederbeutel eine größere Summe entnommen. Er konnte die Gier in den Augen des Mannes erkennen, als dieser ohne Dank nach dem Geld griff. Zumindest zeigte er sich großmütig. »Ihr seid sicherlich müde und hungrig. Versorgt eure Pferde und kommt in die Küche! Wir sind nur arme Bauern, aber wir werden euch an unserem bescheidenen Mahl teilhaben lassen.«

»Das alles gefällt mir nicht«, warnte Joshua. »Dieser Mann hat es auf unser Geld abgesehen.«

Aber Henri machte eine abwehrende Handbewegung. »Die Leute hier sind zwar raffgierig, aber wohl doch auch arm. Warum sollte ich ihnen nicht etwas von meinem Vermögen abgeben? Ich werde aber Vorsorge treffen, dass sie es nicht durch Diebstahl oder sogar mit Gewalt an sich bringen.«

Nicht umsonst hatte Jacques de Molay ihn zum Verwalter des Templervermögens bestellt. Während dieser Tätigkeit, vor allem beim Geldtausch und Ausstellen von Wechseln, hatte Henri gelernt, immer wachsam und vorsichtig zu sein. Er verstaute den prall gefüllten Lederbeutel unter dem Umhang auf seiner Brust.

In der Küche duftete es verführerisch nach Hammelfleisch und Auberginen. Trotz ihres Hungers gaben sich die beiden Mühe, nicht allzu reichlich zuzulangen. Henri konnte sich bezähmen. Wie oft war er als Jüngling während der strengen Erziehung bei den Templern mit Essensentzug bestraft worden! Er betrachtete einen jungen Tischgenossen, der mit tief geneigtem Kopf das Essen in sich hineinschaufelte, aufstand, rülpste und den Raum verließ.

Obwohl der Bauer versuchte, immer wieder ihre Gläser mit Wein zu füllen, hielten sich Henri und Joshua zurück. Sein untrügliches Gespür warnte Henri vor einem Hinterhalt. Er gab Joshua ein Zeichen, erhob sich und dankte mit höflichen Worten für die erwiesene Gastfreundschaft. Der Bauer grinste mit einem schiefen Lächeln.

Aber auch ihre angespannte Wachsamkeit hatte nicht verhindern können, dass sie in eine Falle geraten waren. Denn bei ihrer Rückkehr in den Stall erkannten sie sofort, dass sich jemand an ihren Bündeln zu schaffen gemacht hatte. Der Inhalt lag weit verstreut im Stroh. Aufatmend stellte Henri fest, dass sein Templerhabit, der weiße Umhang mit dem roten Kreuz, noch vorhanden war. Aber beim Einräumen entdeckte er, dass sein Buch mit den Ordensregeln fehlte.

Joshua seufzte erleichtert. »Wie gut, dass du dein Geld bei dir trägst. Es ist anzunehmen, dass dieser Bauernknecht nicht lesen kann. Mit den Ordensregeln kann er wohl kaum etwas anfangen. Vielleicht glaubte er, dass hinter den für ihn unlesbaren Buchstaben eine geheime Botschaft enthalten sei.«

Henri schüttelte den Kopf. »Wir befinden uns in äußerster Gefahr. Denn dieser Bursche hat nicht nur die Ordensregeln an sich genommen, sondern auch meine Templertracht gesehen. Er wird davon erzählen und das Buch seinem Pfarrherrn zeigen, der doch wohl durchaus lesen kann. Man muss nicht selber lesen können, um dieses Buch, das mich als Templer entlarvt, als Beweis vorzulegen.«

Auch Joshua packte eilig sein Bündel zusammen. »Und was sollen wir jetzt tun?«, fragte er ein wenig ratlos.

Henri löste den Verband von dem Sprunggelenk des Falben und nässte ihn mit dem Wasser des Stalltroges. »Die Schwellung ist zurückgegangen«, stellte er zufrieden fest. »Aber wir müssen sofort aufbrechen und versuchen, heimlich den Hof zu verlassen. Wenn es uns gelingt, möglichst bald den Fluss Dordogne zu erreichen, sind wir gerettet. Der Weg am Flusslauf entlang führt geradewegs nach Bordeaux.«

Anscheinend hatte der Bauer dem Wein reichlich zugesprochen, denn er ließ sich nicht sehen, obwohl das Klappern der Hufe auf den Steinfliesen des Hofes nicht zu vermeiden war. Schon hatten sie den schützenden Schatten des Waldes erreicht, als sie hinter sich ein verdächtiges Knacken morscher Äste vernahmen.

Es gelang ihnen gerade noch, sich umzuwenden, ehe eine dunkle Gestalt hinter den Bäumen hervorstürzte. Im Mondlicht blitzte ein Beil. Es galt, keine Zeit zu verlieren. Ohne nachzudenken, sprang Henri dem Angreifer entgegen, packte dessen Handgelenk, drehte es herum und brach es mit einem einzigen Zupacken seiner Faust. Mit einem Schrei ließ der Mann das Beil fallen, sank zu Boden und verlor das Bewusstsein.

Der waffenungeübte Gelehrte hatte fast bewegungslos dem wirksamen Eingreifen seines Gefährten zugesehen. Er wies auf die Lanze. »Warum hast du ihn nicht getötet?«

»Weil dieser arme Tropf glaubt, er sei im Recht, wenn er einen Templer tötet«, antwortete Henri. »Sogar bis in diese Einöde hier werden die Schauergeschichten gedrungen sein, die man über die Templer verbreitet. Wir müssen in höchster Eile von hier verschwinden, ehe dieser Bursche sein Bewusstsein wiedererlangt und womöglich das ganze Dorf alarmiert.«

Er nahm sich aber die Zeit, die weiten Taschen des Bauernkittels zu durchsuchen. Mit einem Seufzer der Erleichterung nahm er das Buch mit den Ordensregeln an sich.

Schneller als erwartet erreichten sie in der Morgendämmerung das Ufer der Dordogne. Der Fluss blitzte in der aufgehenden Sonne, und anfangs fürchteten sie, dass es Rüstungen sein könnten, in denen sich die Sonnenstrahlen brachen. Aber diese Furcht erwies sich zum Glück als grundlos.

Mit seinem angeborenen Spürsinn fand Henri eine Furt, durch die sie gefahrlos ihre Pferde führen konnten. Auf der anderen Seite ließen sie sich erschöpft auf der Uferböschung nieder. Ein Hirte weidete dort seine Schafherde, die sich mit dem ersten Märzgras begnügen mussten. Der zottige Schäferhund bellte, als er die Fremden sah. Aber mit einem scharfen Zuruf wurde er von dem Hirten zurückbefohlen. Henri meinte, als er diese Worte hörte, dies sei eine wunderschöne Melodie. Denn der Hirte sprach Englisch.

»Wir sind gerettet!«, rief Henri erleichtert. »Auf nach Bordeaux!«

Joshua machte jedoch keine Anstalten, sich zu erheben. »Ich möchte dir etwas vorschlagen«, sagte er mit fester Stimme. »Nicht nur mein Pferd, sondern auch ich brauche nach diesem Gewaltritt eine Verschnaufpause. Lasse den Falben und mich hier ein wenig rasten! Reite du in die Stadt voraus!«

Henri erhob keine Einwände. Seine Schuld, die er in all den zurückliegenden Jahren auf sich geladen hatte, lastete schwer auf ihm: als Knappe im Kampf gegen die Muslime und als unnachsichtiger Gegner von Räubern und Plünderern auf den Pilgerstraßen. Zudem hatte er nun den Schwur geleistet, den willfährigen Papst Clemens und König Philipp zu töten, die das schreckliche Ende seiner Ordensbrüder zu verantworten hatten. Konnte Gott diese Taten und Pläne vergeben? Henri wollte so schnell wie möglich die Kathedrale von Bordeaux erreichen, dort im Gebet um Vergebung bitten und für seine Errettung danken. »Lebe wohl, Joshua! Verzeih mir, dass ich dich jetzt verlasse! Aber wir werden uns morgen vor dem Portal der Kathedrale wieder sehen.«