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Der Teppich stieg in die Luft und trug den strahlenden Tim O'Kelli auf den Gipfel des Berges, wo sich ihm ein erschütterndes, unvergeßliches Bild darbot. Mit zerfetztem blauem Gewand stürmte die Hexe wie eine Gams über die Hänge, sprang, auf ihre mächtige Keule gestützt, über Schluchten, schlug Haken und lief in Schlaufen, um ihren Verfolger abzuschütteln. Das wäre ihr vielleicht gelungen, hätte Karfax nicht scharf aufgepaßt. Er flatterte ständig über der Hexe, stieß ihr den Schnabel ins Gesicht, schlug mit den Flügeln auf ihren Rücken und krallte sich in ihre Schultern fest. Hinter ihr lief, die mechanischen Muskeln aufs äußerste angespannt, der eiserne Ritter mit entsetzlich funkelnden Augen und vor Jugend glühendem Herzen. Der Adler ließ sein Auge über das Labyrynth der Kämme und Schluchten schweifen und gewahrte in der Ferne eine gewaltige Klippe, die von drei Seiten tiefe Abgründe säumten. Karfax kannte schon lange diesen Felsen, den man Todesklippe nannte. Wie oft hatten er und seine Brüder dort Gemsen und Auerochsen in den Tod gehetzt!

„Dorthin, dorthin muß ich die Hexe treiben", entschied der Adler. „Sie darf keinen anderen Weg nehmen!"

Wie sehr Arachna sich auch anstrengte, vom gefährlichen Weg abzuschwenken, es half ihr nichts. Sie durfte weder rechts noch links abbiegen, mußte geradeaus weiterrennen, und mit jedem Schritt und jedem Sprung kam sie der Stelle näher, wo die Vergeltung sie ereilen sollte. Da war schon die Todesklippe!

Als sie die Falle sah, in die die furchtbaren Gegner sie trieben, stieß Arachna einen Schrei der Wut und des Entsetzens aus. Mit dem Mut der Verzweiflung wandte sie sich zu Tilli-Willi um, hob die Keule und drang auf ihn ein. Es begann ein ungewöhnlicher Kampf. Tim O'Kelli, der ihn verfolgte, quietschte vor Entzücken und hüpfte so ungestüm auf dem kleinen Teppich, daß er zehnmal fast abgestürzt wäre, hätte der Teppich nicht vorsorglich bald den einen, bald den anderen Rand angehoben. Die zwei Riesen fochten mit ihren Waffen - Arachna mit der schweren Keule, Tilli-Willi mit dem gewaltigen Schwert -, als wären es leichte Spazierstöcke. Ob der eiserne Ritter ohne die Hilfe Karfax' gesiegt hätte oder ob er gefallen wäre, ist völlig ungewiß. Was wir wissen, ist, daß der Adler mit furchtbarem Ingrimm und Todesverachtung kämpfte, der Hexe mit seinen Krallen schrecklich zusetzte und ihr Gesicht mit den Flügeln peitschte, wodurch sie den Feind fast nicht sehen konnte. Dann war es soweit. Durch einen geschickten Hieb zerbrach Tilli-Willi die Keule der Hexe. Arachna schleuderte das Stück Holz, das sie noch in der Hand hielt und das ihr jetzt nichts mehr nutzte, gegen den Adler, stieß einen gellenden Schrei „Urfin hat Recht gehabt!!" aus und stürzte in den Abgrund, aus dem sofort weißer Dampf aufstieg. „Sieg! Sieg!!" rief der Adler mit gewaltiger Stimme. „Sieg!!" dröhnte Tilli-Willi. „Sieg!" rief aus seiner Kabine mit schwacher Stimme Lestar, der noch nie in seinem Leben so glücklich, aber auch nie so erschöpft gewesen war, wie jetzt. Die Erschütterungen, die er im Bauch des Riesen während der Jagd und des erbitterten Kampfes erdulden mußte, hatten ihn tüchtig hergenommen. Wer könnte die Freude beschreiben, die Charlie Black und seine Gefährten empfanden, als Tim O'Kelli mit dem Zauberteppich herangeflogen kam und ihnen über den Ausgang des Kampfes berichtete. Bald kehrten auch die Sieger- der zerschundene und staubbedeckte Adler und der eiserne Ritter Tilli-Willi mit tiefen Einbeulungen an Brust und Hüften - zurück. Beim Anblick seines grimmigen Gesichtes hätte niemand geglaubt, wie sanft das Herz dieses Riesen sein konnte. Die Menschen überschüttelten den tapferen Karfax mit Lob und guten Wünschen. Der Adler wehrte jedoch schlicht ab: „Ihr braucht mir nicht zu danken, Freunde! Der Gelbe Nebel hat mich ebenso wie euch mit dem Tod bedroht, folglich kämpfte ich nicht nur für euch, sondern auch für mich, für meinen ganzen Stamm. Jetzt aber kehre ich heim, meine Stammesgenossen erwarten mich schon mit Ungeduld und Besorgnis. Wenn ihr wollt, nehme ich Ann bis zur Höhle der Arachna mit, das wird dem Mädchen die Strapazen einer Wagenreise ersparen!" Bevor sie den Rücken des Adlers bestieg, blies Ann in die kleine Trillerpfeife, worauf sofort Ramina erschien.

„Teilt unsere Freude, Majestät!" sagte Ann. „Die tückische Arachna ist tot, um ihre Niederlage aber hat sich auch das Mäusevolk verdient gemacht!" Das Mädchen nahm die hocherfreute Königin auf die Hand, und der Teppich hob beide auf den Rücken von Karfax. Beim Abflug sah das Mädchen noch, wie die frohe Schar ihrer Gefährten den Rückweg antrat.

DAS ENDE DES GELBEN NEBELS

Ann blickte Karfax so lange nach, bis er sich in einen kleinen Punkt verwandelte und im fernen Himmel verschwand. Ramina nahm Abschied von dem Mädchen, bevor sie die Rückreise zu ihrem Volk antrat, das sie in das seit alters bewohnte Smaragdenland zurückführen wollte. Bebenden Herzens betrat Ann die Höhle Arachnas und blieb wie versteinert stehen, als sie eine Menge winziger Menschlein gewahrte. Da waren Greise mit grauen Bärten, die zu ihr hinaufschauten, säuberlich gekleidete alte Frauen mit weißen Hauben und gestickten Schürzen, Mädchen und Jungen und ganz kleine Kinder mit schönen, aber für sie viel zu großen Spielsachen in den Händen. Die Zwerge traten zurück, und aus ihrer Schar löste sich ein ehrwürdiger Greis mit roter Zipfelmütze. Es war Kastaglio, der Chronist und Älteste des Zwergenvolkes. „Guten Tag, liebe Ann!" sagte er, sich verbeugend.

„Ihr kennt meinen Namen?" wunderte sich das Mädchen. „Wir wissen über alles Bescheid, was euch angeht, Boten von der Smaragdeninsel und Gäste von jenseits der Berge", erwiderte Kastaglio bedächtig. „Wir haben viele Nächte lauschend unter eurem Wohnwagen verbracht, um die Pläne eures Feldzuges zu erfahren." „Und die habt ihr natürlich Arachna mitgeteilt!" schrie das Mädchen zornig. „Mitnichten", entgegnete ruhig der Zwerg. „Wir haben Neu-trali-tät bewahrt, wie Euer Freund, der Weise Scheuch, sich auszudrücken beliebt. Ich will es Euch erklären: In uralten Zeiten war über unser Volk ein Bann verhängt worden, Arachna zu dienen, uns ihr in allem zu unterwerfen und nichts tun, was ihr hätte schaden können. Doch dieser Bann enthielt nicht die Verpflichtung, gegen ihre Feinde zu kämpfen", lächelte der Alte verschmitzt, „und deshalb haben wir gegen euch auch nicht gekämpft" Überrascht über die Schlauheit der Zwerge, fragte Ann: „Warum habt ihr euch aber so lange vor uns verborgen?"

„Weil ihr verlangt hättet, daß wir euch unterstützen, was wir nicht tun durften. Jetzt aber, wo Arachna tot und der Bann gebrochen ist, stehen wir ganz zu eurer Verfügung." „Wie, ihr wißt schon, daß die Hexe tot ist?" staunte Ann wiederum.

„Sind euch in den Bergen auf dem Wege zu Arachnas Höhle die grauen kleinen Pfähle nicht aufgefallen?" fragte lächelnd Kastaglio. „Ich habe sie gesehen, ihnen aber keine Beachtung geschenkt, weil ich dachte, es seien gewöhnliche Steine." „Nein, das waren Zwerge, die sich von Kopf bis Fuß in graue Decken gehüllt hatten. Oh, wir sind Meister der Tarnkunst!" „Ja, das muß man wohl sagen", sagte das Mädchen. „Und als Arachna im Kampfe fiel, ging die freudige Nachricht von Posten zu Posten, schneller als über die Vogelstafette."

„Wer hätte das geahnt? Nun, ich kann mich nur freuen, daß ihr im Kampf der Hexe gegen uns Neutra ...lität", Ann konnte das Wort kaum aussprechen, „bewahrt habt. Ich kann mir vorstellen, wie viele Scherereien ihr uns hättet bereiten können!"

„Nicht der Rede wert!" sagte Kastaglio stolz. „Aber laßt uns zur Sache kommen. Ich nehme an, daß ihr nach dem Sieg über Arachna ihr Zauberbuch suchen werdet, um ihren bösen Hexenkünsten ein Ende zu machen, stimmt?" „Ihr habt recht, liebes Großväterchen!" „Schön, dann will ich euch gleich das Versteck zeigen, in dem die Herrin das Buch aufbewahrte."