Durch diese Anrufung günstig gemacht, legt der Prophet dreimal ein gewisses Kraut dem Toten auf den Mund und ein anderes auf die Brust. Darauf kehrt’ er sich gen Aufgang und richtete ein Gebet an die Sonne, zwar nur stillschweigend, aber mit so vieler Feierlichkeit und Andacht, daß er allen Anwesenden die tiefste Ehrfurcht einflößte und eines jeden Geist vollkommen zur Erwartung des großen Wunders vorbereitete.
Sofort mischt’ ich mich unter die Menge, stellte mich dicht hinter der Bahre auf einen etwas erhabenen Stein und sah da mit neugierigen Augen dem ganzen Wesen zu.
Alsbald begann die Brust des Toten sich zu heben; es schlägt die Pulsader. Belebt ist die Leiche!
Sie richtete sich auf und sprach:
›Warum rufst du mich, ich bitte, zu einem augenblicklichen Leben zurück? Geleert war der lethäische[31] Becher, schon schwamm ich auf dem stygischen[32] Pfuhl. Laß mich, ich flehe, laß mich und störe mich in meiner Ruhe nicht!‹
Jedermann hörte ganz deutlich die Worte.
In großem Zorne antwortete der Prophet:
›Sage unverzüglich dem Volke an, wie es mit deinem Tode zugegangen ist, und bringe dies Geheimnis ans Licht, oder du sollst erfahren, daß selbst die Plagegöttinnen meine Beschwörungen hören und ich nach Belieben deine müden Glieder martern kann.‹
Da sagte der Aufgeweckte von der Bahre herab mit einem tiefen Seufzer zum Volke:
›Durch die Schandtat meiner vor kurzem genommenen Frau bin ich ums Leben gekommen. Sie hat mir Gift in den Trunk getan, damit ich mein Hochzeitbett noch ganz warm einem Ehebrecher einräumte.‹
Hierauf raffte sich das saubere Weibsbild zusammen, trat ihrem Manne frech unter die Augen und hieß ihn mit der gottlosesten Dreistigkeit lügen und zankte sich tapfer mit ihm herum.
Das Volk tobt, ist geteilt.
Einen solchen Ausbund von Weibern müsse man gleich mit dem Manne lebendig begraben, rufen die einen.
Die Aussage eines Toten verdiene keinen Glauben, die andern.
Allein alles kam aufs reine durch folgende Rede der Leiche:
›Ich will‹, hub sie an, abermals tief seufzend, ›ich will euch sonnenklare Beweise geben, daß ich nichts als die lautere Wahrheit rede. Hört, was niemand sonst weiß als ich.‹
Hiermit zeigt sie mit dem Finger auf mich und fährt also fort:
›Diese Nacht, als dieser, mein treuer Hüter in seinem besten Wachen war, kamen alte Hexen und trachteten meinem Körper nach. Allein nachdem sie sich öfters in allerlei Gestalten verwandelt und doch seine genaue Achtsamkeit in nichts täuschen konnten, so warfen sie endlich einen Schlummernebel um ihn, vergruben ihn in den allertiefsten Schlaf und hörten dann nicht auf, mich bei Namen zu rufen, bis endlich meine kalten, erstarrten Glieder langsam und träge sich anschickten, der Magie zu gehorchen. Doch vor mir war auf das Gerufe dieser hier, der einerlei Namen mit mir führt, im Schlafe schon aufgestanden und wie ein Toter zur Tür gegangen. Allda schneiden ihm die Hexen durch das Schlüsselloch Nase und Ohren an meiner Statt ab und setzen ihm zur Verhehlung des Betrugs dergleichen aufs ähnlichste aus Wachs verfertigt, ganz genau wieder an. Er kann es selbst bezeugen. Betrachtet ihn nur, da steht er, der Unglückliche, mit dem Gelde in der Hand, das er minder der Wacht, als seiner Verstümmelung wegen verdient hat.‹
Betroffen über die Neuigkeit, fuhr ich gleich, die Wahrheit zu untersuchen, mit der Hand zur Nase; sie blieb darin, ich faßte an die Ohren, sie fielen ab. Ich war wie mit kaltem Schweiße begossen.
Da hätte man das Fingerzeigen, das Gegucke, das Gelache sehen sollen!
Allein wie ein Blitz bückte ich mich und verschwand unter der Menge.
Und von der Zeit an habe ich mich zu Hause nicht wieder blicken lassen; denn ich war auf eine zu lächerliche Art entstellt. Ich habe die Haare auf beiden Seiten über die Schultern herunterhängen lassen und auf die Art den Mangel der Ohren verhehlt. Der fehlenden Nase Übelstand aber habe ich bestmöglichst durch dies säuberlich aufgeklebte Pflaster zu maskieren gesucht.«
Sobald Telerophon seine Geschichte geendigt, erhoben die Zechbrüder alle von neuem ein großes Gelächter und fingen dann wieder an, allerhand Gesundheiten zu trinken.
Unterdessen sagte Byrrhenna zu mir:
»Morgen haben wir einen Tag, der unsrer Stadt von ihrer Erbauung an feierlich ist. Wir allein unter den Sterblichen begehen an demselben mit lustigen und fröhlichen Gebräuchen das Fest des heiligen Gottes des Lachens. Ihre Gegenwart, lieber Neffe, wird dabei unser Vergnügen vermehren. Besonders würden Sie uns aber verpflichten, wenn Sie als ein witziger Kopf etwas erfinden wollten, was zur Verherrlichung unseres Gottes beitragen könnte.«
»Mit Freuden, Madame, werde ich Ihrem Befehle nachkommen«, erwiderte ich, »und glücklich mich schätzen, wenn ich eines Einfalls fähig bin, der einer so großen Gottheit wohlgefallen mag!«
Jetzt erinnerte mich mein Kerl, daß es spät sei. Ich erhob mich also und empfahl mich bei Byrrhennen.
Beim Zechen hatte ich mich nicht geschont, ich taumelte, als ich nach Hause ging. Und zu unserm Verdrusse blies uns auch der Wind an der ersten Straßenecke das Licht in der Laterne aus. Pechfinster war’s. Was haben wir uns nicht da Zehen und Schienbeine zerstoßen und hundsmüde gelaufen, ehe wir uns wieder zu finden wußten!
Endlich, als wir in die Gasse kamen, wo wir wohnten, sahen wir drei große starke Maschinen wider unsre Tür mit Gewalt Sturm rennen. Unsere Dazwischenkunft zerstreute sie im geringsten nicht. Vielmehr schienen sie nur desto geflissener in ihrem Bestreben, miteinander zu wetteifern.
Wir dachten nicht anders, als daß es die entschlossensten Banditen wären.
Besonders war ich ganz fest davon überzeugt; also gleich meinen Degen unter dem Rocke hervor, wo ich ihn schon bar und blank trug, und unter sie hinunter. Ich hieb und stach fürchterlich um mich herum, bis ich endlich meine Gegner alle drei, wie sie mir im Kampfe begegnet, vor meinen Füßen, zerstochen und zerfetzt, den Odem aushauchen sah.
Fotis, vom Tumulte erwacht, öffnete eben die Tür, als das Gefecht zu Ende war. Keuchend und triefend von Schweiß, schleppte ich mich hinein, und ermüdet von dem Siege über die vermeinten Banditen, als ob ich den dreifachen Geryon[33] bekämpft hätte, übergab ich mich alsbald dem Bette und der Ruhe.
Drittes Buch
Eben fuhr Aurora ihren Rosenarm über das purpurne Gespann geschwungen, den Himmel herauf, als mich, der sorgenlosen Ruhe entrissen, die Nacht dem Tage wiedergab.
Erinnerung der gestrigen Tat überströmte mein Gemüt mit Angst und Sorge
Mit übereinandergeschlagenen Füßen, die gefalteten Hände auf die Knie gestemmt, saß ich ganz krumm zusammen auf meinem Bette und weinte bitterlich. Ich stand schon im Geiste vor dem hochnotpeinlichen Halsgerichte, sah jede herzerschütternde Formalität, sah den Henker immer im Hintergrunde.
»Wo ist der gelinde, der gnädige Richter, der dich von einem dreifachen Morde, von dem Blute so vieler Bürger, womit du befleckt bist, lossprechen könnte? Ach, war dies der Ruhm, welchen der Wahrsager Diophanes dir so zuverlässig auf deiner Reise verhieß?«
Also sprach ich mehrmals zu mir selber, aus Herzensgrund über mein trauriges Geschick heulend.
Unterdessen ließ sich ein wiederholtes Geklopfe an der Haustür hören und lautes Geschrei und Getümmel in der Gasse. Es währte nicht lange, so brach man zum Hause herein, und alles war mit Magistratspersonen und Gerichtsdienern nebst einem zahlreichen Gefolge von allerlei Leuten angefüllt.
Auf obrigkeitlichen Befehl bemächtigten sich meiner sofort zwei Schergen und schleppten mich, ohne daß ich im geringsten widerstrebte, davon.
Sie waren mit mir noch nicht ganz das Viertel der Straße hinunter, so war schon die ganze Stadt in Aufbruch und zog in dickem Schwarme hinter uns her.