Allein kaum ist er mit der Nacht zugleich von ihr geschieden, als sie in Seufzer, Jammer und Tränen ausbricht:
›Jetzt‹, ruft sie, ›jetzt erst bin ich mit Recht unglücklich zu nennen! In einem goldenen Kerker eingesperrt, aller menschlichen Gesellschaft abgestorben, darf ich meine Schwestern nicht einmal trösten; meine Schwestern, die um meinetwegen sich härmen! Ach, ich darf sie nicht einmal sehen!‹
Und so geht es den ganzen Tag. Sie ißt nicht, trinkt nicht, genießt keine Erquickung, begibt sich nicht ins Bad. So fort ohne Maß weinend, legt sie sich endlich schlafen. Bald findet sich ihr Gemahl bei ihr ein, diesmal früher als gewöhnlich; aber auch seine Umarmung hemmt ihre Zähren nicht.
Leutselig wollte er ihr da ihre Empfindlichkeit verweisen: ›Wie, meine Psyche‹, sagte er, ›ist das die Art, womit du den Bitten der sorgsamen Liebe deines Gatten willfährst? Da bleibt mir wenig von deiner Folgsamkeit zu hoffen übrig! So Tag und Nacht und in meinen Armen selbst in Tränen zu zerfließen! Nein, lieber handle nach deinem eigenen Gefallen, tue, was dein Herz dir eingibt; aber sehen wirst du, wie schädlich das ist! Dann wirst du’s bereuen, daß du mir nicht gefolgt bist; aber dann ist’s zu spät!‹
›Flehentlich bitte ich dich, Geliebter‹, erwiderte ihm aber Psyche, ›gewähre mir den Wunsch meiner Seele! Laß mich meine Schwestern sprechen, sie trösten, oder ich muß sterben! Ich mache diesem meinem verhaßten Leben ein Ende!‹
Wie hätte er dieser fürchterlichen Drohung zu widerstehen vermocht? Augenblicklich ergibt er sich den Bitten seines jungen Weibes. Ja, in seiner zärtlichen Schwachheit stellt er es ihr frei, ihre Schwestern mit so viel Golde und so vielen Juwelen zu beschenken, als sie nur immer wolle.
Doch warnt er sie unaufhörlich, bald in Liebe, bald im Ernst, ja sich nicht von dem unglücklichen Rate derselben verleiten zu lassen, seine Gestalt zu erforschen. Dieser sträfliche Vorwitz werde sie ohne Rettung von dem Gipfel ihres Glückes in das äußerste Elend hinabstürzen und auf ewig seinen Umarmungen entreißen.
Mit aufwallender Freude dankt nun Psyche ihrem Gemahle.
›Eher‹, sagt sie, ›eher mag ich hundertmal sterben, als deinen geliebten Armen entrissen werden! Denn ich, wer du auch seiest, dich liebe ich mit ganzer Seele, wie mein Leben liebe ich dich, dich vertausche ich mit Amor selbst nicht! Doch dies Einzige gewähre meinen Bitten noch: Gebiete deinem Zephyr, auf eben die Art wie mich auch meine Schwestern hierherzubringen.‹
Jetzt schlingt sie ihre lilienweißen Arme um seinen Hals und küßt und liebkost ihn so viel und überhäuft ihn mit so vielen zärtlichen Namen der Liebe: heißt ihn ihre Wonne, ihr Leben, ihre Seele, bis sie endlich obsiegt. Von der Gewalt der Liebe bezwungen, erlag ihr Gemahl wider Willen und Vorsatz und versprach ihr, daß alles geschehen solle, und verschwand, noch ehe es dämmerte, wieder aus ihren Armen.
Bereits waren Psychens Schwestern bei ihren Eltern angelangt. Sie erkundigten sich nach allem, begaben sich dann eiligst auf den Felsen und an den Ort, wie ihre Schwester allein war verlassen worden. Da sie dort nirgends eine Spur von ihr antrafen, so weinten sie überlaut und schlugen sich bei dem Klagen an die Brust. Von ihrem Jammergeschrei hallten traurig die Felsen wider. Endlich riefen sie ihre unglückliche Schwester bei Namen. Der durchdringende Laut ihrer ängstlichen Stimmen klang bis tief hinunter in das Tal.
Psyche vernahm es. Mit Ungestüm stürzt sie wie wahnsinnig aus dem Schlosse heraus und schreit:
›Schwestern, was betrübt ihr euch so ohne Ursache? Ich, die ihr beweint, bin hier. Stellt eure Klage ein. Trocknet eure Tränen und kommt herab in meine Umarmung!‹
Darauf ruft sie den Zephyr und sagt ihm, was ihr Gemahl befohlen. Ohne Verzug gehorcht dieser und bringt alsbald auf seinem milden Odem ihre Schwestern wohlbehalten und gemächlich hernieder.
Voller Ungeduld fliegen sie sich gegenseitig in die Arme und drücken sich einander lange sprachlos inbrünstig in die Arme und drücken sich einander lange sprachlos inbrünstig ans Herz. Freudentränen fließen auf ihren Wangen. Endlich spricht Psyche:
›Kommt nun auch mit mir in meine Wohnung, Ihr Lieben! Vergeßt jetzt das vergangene Leid und freuet euch einmal wieder mit Eurer Psyche!‹
Darauf geht sie mit ihren Schwestern in den Palast[48].
Diese wissen nicht, was sie daran am meisten bewundern sollen: Lage, Gebäude oder Reichtum? Sie erstaunen besonders, als sie das Gewimmel der dienstbaren Stimmen um sich her vernehmen.
Nach einem erfrischenden Bade lagern sie sich mit Psychen an eine Tafel, wo nichts zu vermissen war, was nur immer dem Geschmack eines Gottes auf das angenehmste schmeicheln mag. Da lassen sie es sich beisammen wohl sein und sind guter Dinge.
Endlich verliert sich nach und nach bei Psychens Schwestern der erste Eindruck des Erstaunens über alle die blendende Pracht und alle die himmlische Herrlichkeit, gleich tritt in ihre Seelen hämischer Neid an dessen Stelle.
Nun fangen sie an, mit der größten Verschlagenheit und Neugierde nach dem Herrn aller dieser Wunder zu fragen: wer und was denn ihr Gemahl sei?
Jedoch, so schlau und verfänglich sie auch immer ihre Fragen anlegen, Psyche bleibt auf alle Weise dem Befehl ihres Gemahls treu. Sie läßt sich das Geheimnis ihres Herzens nicht ablocken, sondern erdichtet aus dem Stegreif:
Ihr Gemahl sie ein wohlgestalteter Jüngling, dessen blühende Wangen nur erst zarter Flaum bekleide; er sei fast beständig in Wäldern und Bergen mit der Jagd beschäftigt.
Doch fürchtet sie selbst, sich etwa in fernerem Gespräche noch zu verraten. Darum beschenkt sie nach dieser Antwort alle beide reichlichst mit Goldgeschmeide und Juwelen, ruft dann den Zephyr und übergibt sie ihm wieder, um sie auf den Fels zurückzutragen.
Dies geschieht sofort.
Auf der Rückkehr zu ihren Eltern zeigen die sauberen Schwestern in ihren Reden nur zu sehr, wie des Neides schwarzes Gift in ihrem Innern wüte.
›O, Glück‹, ruft die eine aus, ›wie blind, grausam und wie ungerecht bist du doch! Uns, die von eine und eben demselben Vater und Mutter abstammen, so himmelverschiedene Lose zuzuwerfen, und wir, noch dazu die Ältesten, wir, der Gewalt ausländischer Ehemänner nicht anders als Sklavinnen überliefert, fortgestoßen in die Fremde, fern vom väterlichen Hause, fern vom Orte unserer Geburt und getrennt, abgeschnitten von allen Verwandten, müssen unser Leben wie Verbannte hinkümmern! Und sie, von uns die Jüngste, die letzte Frucht einer erschöpften Natur, muß einen Gott zum Manne bekommen, um im unsäglichen Überflusse zu prassen, um sich ganz in Reichtum vergraben zu sehen, den sie doch sowenig zu schätzen als zu nutzen weiß! Denn hast du wohl gesehen, Schwester, wie in ihrem Hause das köstlichste Geschmeide herumliegt, wie prächtige Kleider sie trägt, wie alles von Edelgesteinen blitzet? wie man das Gold bei ihr allenthalben mit Füßen tritt? Ist vollends ihr Gemahl so schön, wie sie’s sagt, wahrlich, so ist sie die glücklichste Frau auf dem Erdboden. Und, wer weiß, macht ihr göttlicher Gemahl (wenn erst Gewohnheit seine Zuneigung zu ihr immer mehr befestigt hat), sie nicht noch gar zur Göttin? Gib acht, das geschieht. Sie führte sich auch schon so auf, betrug sich ganz vollkommen so. Als eine Göttin sieht sie sich schon im Geiste. Wie sollte sie auch noch wissen, daß sie eine Sterbliche ist wie wir, da unsichtbare Zofen sie bedienen und die Winde selbst ihr gehorchen? Dafür muß mir armen Unglückseligen an einem Manne genügen, der Alters wegen weit eher mein Vater sein könnte, kahler ist als meine Hand, ohnmächtiger denn ein Kind und dabei so geizig, daß er das ganze Haus verschlossen und verriegelt hält.‹
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Mit folgender Stelle bin ich frei verfahren. Sie ist verfälscht. Die Lesarten weichen voneinander ab und tun alle kein Genüge.