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Auf dem Gipfel eines hohen Berges wird sie jetzt eines Tempels ansichtig. ›Ach, wenn da mein Geliebter sich aufhielte!‹ ruft sie und richtet sogleich ihre Schritte dorthin. Hoffnung und Wunsch erneuen ihre ermatteten Kräfte, behend hat sie die höchste Spitze erreicht.

Als sie in den Tempel tritt, sieht sie darin hin und wieder Weizenähren haufenweise zerstreut oder auch in Kränze gebunden am Boden liegen. Gerstenähren mit darunter gemischt. Auch findet sie Sicheln und alles andere Erntegeräte ohne Ordnung untereinander hingeworfen, so wie nach vollendeter Arbeit die müden Landleute es nachlässig hinfallen lassen.

Psyche macht sich gleich darüber her. Sorgfältig sondert sie jegliches voneinander und bemüht sich, alles in schickliche Ordnung zu bringen; denn sie glaubte, keines Gottes Dienst vernachlässigen zu dürfen, sondern aller Mitleiden und Gunst suchen zu müssen.

Mitten in dieser emsigen Beschäftigung trifft die allernährende Ceres sie an.

›Ach, arme Psyche!‹ ruft diese ihr schon von ferne zu, ›entrüstet sucht Venus dich in der ganzen Welt auf; droht Tod dir und Verderben, spart keine Macht, ihren Mut nur an dir zu kühlen! Und du, auf nichts weniger bedacht als auf deine Rettung, stehst ruhig hier und trägst Sorge für das Geräte meines Heiligtums?‹

Da warf Psyche sich vor ihr auf die Knie nieder, netzte ihre Füße mit einem Storm von Tränen und flehte die Göttin mit den rührendsten Worten um ihren Schutz an. Ihre goldene Locken schleppten am Boden.

›Ich bitte dich, o Göttin‹, spricht sie, ›bei dieser Fülle der Früchte ausspendenden Rechten, bei den fröhlichen Erntefesten, bei deinen heiligen, geheimnisvollen Körben, bei deinem drachenbespannten Wagen, bei Siziliens Fruchtbarkeit! Ich beschwöre dich, bei dem Raube deiner Tochter, bei der Erde, die sie verbarg, bei deinem fackelerleuchteten Hinabsteigen zu ihrer Hochzeit in der Unterwelt, bei deiner Wiederkehr und bei allem übrigen, was das attische Eleusis in unverbrüchliches Stillschweigen einhüllt! Erbarme dich, du milde Ceres, hilf der unglückseligen Psyche, die zu dir ihre Zuflucht nimmt! Verstatte mir, nur wenige Tage unter diesen zusammengetragenen Ähren verborgen zu liegen, bis der mächtigen Venus Zorn durch Zeit sich besänftigt oder bis wenigstens meine so unablässig angestrengten und nun völlig erschöpften Kräfte durch einige Ruhe wiederhergestellt sind!‹

›Deine Tränen‹, antwortet ihr Ceres, ›und deine Bitten rühren mich, und von ganzem Herzen wünschte ich, dir helfen zu können; allein die genauesten Bande der Verwandtschaft und Freundschaft verknüpfen mich mit der Venus, und sie ist auch sonst eine so gute Frau. Es ist mir unmöglich, etwas zu tun, wodurch ich sie mir (wie ich voraussehe), zur Feindin machen würde. Geh also nur gleich aus meinem Tempel, Psyche! Du kannst hier weder Schutz noch Herberge finden und wirst es mir wohl selbst nicht verdenken.‹

Abgewiesen zu werden, hatte Psyche keineswegs erwartet; doppelte Traurigkeit beklemmt also ihr Herz.

Sie geht den gekommenen Weg wieder zurück. Beim Herabsteigen vom Berge erblickt sie unten im Tale in einem dämmernden Haine einen Tempel von künstlicher Bauart. Neue Hoffnung belebte sie. Welcher Gottheit auch dieser Tempel geweihet sei, sie will die Huld derselben anrufen.

Als sie sich der heiligen Pforte naht, sieht sie an den Ästen naher Bäume und an den Türpfosten viele reiche Geschenke aufgehangen, bei jedem ein Tuch, dessen Goldstickerei die erhaltene Wohltat und den Namen der Göttin des Ortes erzählt.

Nun wischt sie die Tränen von ihren Augen, kniet hin, umfaßt den noch lauen Altar mit beiden Händen und betet also:

›Schwester und Gattin des großen Jupiter! Du bewohnst nun den uralten Tempel von Samos, das deiner Geburt, deines ersten kindlichen Lautes und deiner Erziehung sich rühmt, oder du besuchst deinen seligen Sitz im hohen Karthago, das dich als Jungfrau im löwenbespannten Wagen himmelan fahrend verehrt, oder du waltest an den Ufern des Inachus[52] über die hochberühmten Mauern der Argiver, die dich als Vermählte des Donnerers und der Göttinnen Königin anrufen! Du, die der ganze Aufgang als Vorsteherin der Ehe und der ganze Niedergang als Geburtsgöttin anbetet: O hilfreiche Juno, verlaß mich in meinem Drangsale nicht! Ich erliege unter der Last meines Elendes, stehe mir bei, entferne von mir die drohende Gefahr! Ich vertraue dir, o Göttin; deine Hilfe entgeht ja niemals notleidenden Schwangeren!‹

Kaum hat sie ausgebetet, so steht Juno in aller Majestät ihrer Gottheit vor ihr.

›Wie gern, o Psyche‹, so sagt sie, ›gewährte ich dein Gebet! Allein Venus ist meines Sohnes Weib, und ich habe sie von jeher wie mein eigenes Kind geliebt, ich müßte mich schämen, wollte ich mich deiner, ihrer Feindin, gegen sie annehmen.‹

Psyche, abermals in der Hoffnung, Schutz und ihren Gemahl zu finden, getäuscht, verzagt nun ganz und gar. Lauter Unglück ahnend, spricht sie also bei sich selbst:

›Umsonst, umsonst! Für mich ist keine Rettung mehr! Der Göttinnen bester Wille selbst ist ja für mich ohnmächtig! Was fliehe ich noch? Bin ich nicht überall mit Garnen umstellt wie ein gefangenes Reh? Und welches Dach, welche Finsternis mag mich vor dem allschauenden Auge der großen Venus verbergen? Auf denn, Psyche, ermanne dich! Hinweg mit der eitlen Hoffnung! Geh, liefere der Göttin dich freiwillig in die Hände. Unterwürfigkeit mag sie vielleicht allein noch erweichen, mag ihren Zorn mildern! Und ach, wer weiß? Triffst du nicht gar den bei seiner Mutter an, den du schon so lange allenthalben vergebens gesucht hast?‹

So war Psyche nun völlig zur mißlichen Demütigung vor Venus, ja selbst zum gewissen Verderben bereit. Sie sann nur noch auf den Anfang ihrer bittenden Rede, den ersten Ausbruch des Zornes der Göttin doch wenigstens zu schwächen, wen n sie ihn nicht ganz vermeiden könnte.

Mittlerweile war Venus müde, auf der Erde nach Psychen herumzuziehen. Sie erhebt sich gen Himmel. Schon läßt sie sich den Wagen rüsten, welchen Vulkan ihr zum Hochzeitsgeschenke gemacht hatte. Sauber und künstlich hatte ihn der Gott selber verfertigt. Er strahlte von Glanze. Was die nagende Feile ihm an Golde geraubt, hatte seine Kostbarkeit nur um so mehr erhöht.

Alsbald flattern vier von den weißen Täubchen herzu, welche in unzähliger Menge um die Wohnung der Göttin nisten. Sie wenden girrend ihre farbewechselnden Hälse, streifen das von Edelgestein blitzende Joch über, nehmen ihre Gebieterin ein und fliegen fröhlich mit ihr empor. Mit lautem Gezwitscher umgaukelt den Wagen ein Heer buhlerischer Spatzen, andere kleine liebliche Sänger schweben vorauf, in süßen Weisen der Göttin Ankunft verkündigend, sonder Furcht insgesamt vor den begegnenden Adlern oder den räuberischen Habichten.

Die Wolken schwinden, es öffnet sich der Himmel vor seiner Tochter; mit Freuden empfängt der hohe Äther die Göttin.

Sie begibt sich sogleich zu Jupiters königlicher Burg. Mit stolzer Bitte fordert sie als notwendige Hilfe den Merkur[53] zum Herold. Sie bedürfe seiner höchst notwendig. Zeus winkt ihr mit den hohen schwarzen Augenbrauen Gewährung ihrer Bitte zu.

Frohlockend steigt sie nun augenblicklich in Begleitung Merkurs vom Himmel herab und eröffnet ihm unterwegs ihr Anliegen.

›Bruder‹, sagte sie, ›du weißt es, ohne deinen Beistand tat deine Schwester Venus überall nichts. Auch jetzt weißt du, wie lange ich schon umher nach der versteckten Dirne suche. Umsonst! Sie entgeht allen meinen Nachforschungen. Ich wende mich wieder zu dir, lieber Merkur! Mach es doch auf der Erde bekannt, daß ich jedem, der sie mir zuweist, hohe Belohnung verspreche! Aber tu mir diesen Gefallen recht bald, bezeichne sie dabei höchst genau, auf daß sie allen Menschen kennbar werde und niemand, der sie verbirgt, hoffen dürfe, sich mit der Entschuldigung zu schützen, er habe sie nicht gekannt?‹

Darauf gibt sie ihm einen Zettel mit Psychens Namen und ihren übrigen Kennzeichen, verläßt ihn und begibt sich nach ihrem Palaste.

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52

Sohn des Oceanus.

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53

Der Götterbote.