Indem wir so miteinander uneins waren, kamen die Räuber mit dem letzten Rest ihres Raubes dazu. Sie hatten uns schon von ferne beim Mondenschein erkannt und wollten sich ganz tot über uns lachen.
»Ei, gehorsamer Diener!« rief uns einer von ihnen ganz spöttisch zu. »Wohin so eilig noch so spät in der Nacht? Und Sie fürchten sich nicht vor Gespenstern? Vermutlich wollen Mamsell inkognito einen kleinen Besuch bei Ihren Eltern abstatten? Mit Ihrer gütigen Erlaubnis werden wir Ihnen Gesellschaft leisten und auch einen nähern Weg zeigen.«
Mit diesen Worten hatte er mich schon beim Zügel erwischt und drehte mich um, nach der Höhle zu, und ließ dabei mit vieler Behendigkeit den Knüttel gar nachdenklich auf meinem Leder spielen.
Sobald ich wieder dem Tod, dem ich so zu entlaufen gedachte, wider Willen entgehen mußte, so war ich auch gleich wieder huf-, bug- und blattlahm. Ich hinkte, daß der Kopf ellenhoch auf- und niederschlug, und ich hätte das Spiel noch weiter getrieben, wenn mir nicht der Räuber, der mich wieder gehascht hatte, mit einem gewissen Tone zugerufen hätte:
»Fängst du schon wieder an zu zippern, zu humpeln und zu stolpern, du faule Bestie? Wart, ich will dir die Füße kurieren. Sie schienen doch vorher eben so morsch nicht, als es aufs Entfliehen ankam! Da ging’s ja wahrhaftig rascher noch mit dir vom Flecke als mit dem geflügelten Pegasus[66]!«
Während das Prügelwetter, das dies Kompliment begleitete und erst gar kein Ende nehmen wollte, gelangte wir zur äußersten Schanze der Räuberburg.
Siehe, da hing die Alte, einen Strick um den Hals, an dem Ast einer hohen Zypresse. Sie schnitten sie flugs ab und schleuderten sie, so wie sie war, an ihrem Halsbande in den nächsten Abgrund hinunter. Nach dem Leichenbegräbnis wurde das Mädchen erst in Ketten und Bande gelegt, und dann ging’s gleich wie reißende Tiere über die Mahlzeit her, welche das arme alte Weib ihnen noch zu guter Letzt zubereitet hatte.
Nach Verlauf einiger Zeit, während welcher die Vielfraße nur mit einem dumpfen Geräusch ihrer Gefräßigkeit opferten, kam endlich unsere Flucht auf das Tapet, und es wurde Rats gepflegt, wie man uns dafür am füglichsten zu bestrafen hätte. Bunt ging’s da zu: so viele Köpfe, so viele Sinne. Der eine wollte, das Mädchen sollte lebendig verbrannt werden, der andere war der Meinung, man müsse sie wilden Tieren vorwerfen, der dritte hängte sie an den Galgen, der vierte zerfleischte sie auf der Folterbank. Nur darin stimmten sei allesamt überein, daß sie den Tod erwirkt habe.
Zuletzt, als der größte Lärm sich gelegt hatte, hub einer mit vieler Gelassenheit also zu reden an:
»Kameraden! Es würde nicht der Regel unseres Ordens, nicht mit der Sanftmut eines jeglichen unter uns, nicht mit meiner eigenen Gerechtigkeitsliebe übereinstimmen, wenn ich zulassen wollte, daß ihr jetzt bei Bestrafung des gegenwärtigen Verbrechens so alles Maß überschrittet und alles Ziel. Hinweg mit den wilden Tieren, dem Galgen, dem Feuer, der Folterbank und überhaupt mit jedem frühen, schleunigen Tode. Wollt ihr meinem Rate folgen, so schenkt dem Mädchen das Leben; aber schenkt es ihr so, wie sie es verdient. Ihr erinnert euch, was ihr schon längst über den Esel da beschlossen habt. Schon immer unausstehlich faul auf den Füßen, aber desto geschäftiger mit den Kinnbacken, hat er sich durch verstelltes Unvermögen und durch gutwillige Beihilfe zur Flucht des Mädchens jetzt noch schuldiger gemacht als jemals. Laßt uns diesen morgenden Tags erwürgen, ihn völlig ausnehmen; das Mädchen, das er uns hat davontragen wollen, nackend in seinen Bauch einnähen, so daß sie nur mit dem Gesichte hervorragt, mit dem übrigen Leibe aber ganz in ihm eingefuttert ist; darauf laßt uns diesen gefüllten Esel nehmen und auf einen hohen freien Felsen tragen und ihn da an den Strahlen der Sonne braten. Auf diese Art leiden beide Verbrecher, was ihr ihnen mit so vieler Klugheit bestimmt hattet. Der Esel den Tod, den er längst schon verdient gehabt; das Mädchen aber die Bisse der wilden Tiere, wenn die Würmer ihre Glieder zernagen, die Glut des Feuers, wenn die allzugroße Sonnenhitze ihre Hülle entzündet, alle Marter des Galgens, wenn Hunde und Vögel ihr die innersten Eingeweide aus dem Leibe reißen, und außerdem noch weit andere größere Qualen und Drangsale mehr. Denn lebendig muß sie den Bauch eines verreckten Viehes bewohnen, muß beständig den unausstehlichen Gestank des Aases einatmen, muß vor Hunger elendiglich, allmählich hinsterben, ohne daß ihre freien Hände ihr den Tod zu geben vermögen.«
Als er so gesprochen, ging alles einmütig zu seiner Meinung über. Mir, der ich’s mit gereckten Ohren so mit anhörte, blieb weiter nichts übrig, als meine morgende Leiche zu beweinen.
Zweiter Teil
Siebentes Buch
Sobald nach vergangener Finsternis der Tag anbrach und der glänzende Sonnenwagen alles erleuchtete, kam noch ein neuer Kamerad der Räuber an. Nach gegenseitiger freundlicher Begrüßung setzte er sich in den Eingang der Höhle hin, ließ sich ein wenig zu Atem kommen und erstattete darauf seinen Kollegen folgenden Bericht:
»Was des Hypaters Milo Haus anlangt, das wir neulich beraubt haben, so dürfen wir deshalb ganz ruhig und außer Sorgen sein. Nachdem ihr, tapfere Kameraden, alles ausgeräumt hattet und nach unserem Standquartier zurückgezogen waret, mischte ich mich, wie ihr es mir befohlen, unter die zusammengelaufenen Leute, schimpfte und klagte weidlich mit ihnen über die geschehene Untat, paßte aber wohl auf, was man wegen Untersuchung derselben beschließen möchte, und ob überhaupt oder inwiefern darüber Nachsuchung angestellt werden sollte.
Hier ist, was ich eingezogen!
Jedermann gibt, nicht auf Mutmaßung, sondern aus wahrscheinlichen Gründen, einen gewissen Lucius für den unzweifelhaften Täter des geschehenen Diebstahls an. Dieser Schelm habe sich vor kurzem durch falsche Empfehlungsschreiben bei dem Milo eingeschlichen und sei von demselben als Gastfreund in sein Haus aufgenommen worden. Daselbst habe er sich verschiedene Tage aufgehalten, während welcher er die Magd des Milo durch unerlaubten Umgang auf seine Seite gebracht und alle Schlösser des Hauses und alle Behältnisse, worin der Wirt sein Vermögen verwahrt, untersucht und ausgekundschaftet. Es wäre auch nicht die geringste Spur von dem Bösewichte zu entdecken. Er wäre mit dem Augenblicke, da der Diebstahl geschehen, verschwunden und nirgend mehr anzutreffen. Auch hätte es ihm nicht an Mitteln gefehlt, seine Flucht zu beschleunigen und den Nachsetzern zu entgehen, da er gleich zu der Absicht mit einem schönen Schimmel versehen gewesen. Zwar habe man seinen Kerl noch im Hause gefunden und denselben in Verhaftung genommen, weil man geglaubt, er würde die Anschläge seines Herrn verraten. Allein ungeachtet dieser den andern Tag lange gefoltert und fast bis auf den Tod gemartert worden, so habe er doch nicht das geringste Nachteilige von seinem Herrn bekannt. Gleichwohl habe man viele Abgesandte nach dieses Lucius’ Vaterland geschickt, um daselbst wegen Bestrafung des Verbrechers anzusuchen.«
Während dieser also erzählte, verglich ich bei mir selbst meine vormalige Glückseligkeit als Lucius mit meinem jetzigen Elende als Esel und seufzte aus dem Innersten meines Herzens. Ich begriff jetzt, daß die klugen Alten nicht ohne Grund das Glück blind und völlig augenlos gebildet; da es mit seiner Gunst nur immer gegen böse und unwürdige Leute verschwenderisch ist, nie mit Beurteilung unter den Menschen eine Wahl trifft, vielmehr die am meisten vorzieht, vor denen es selbst laufen würde, wenn es sie sehen könnte, und (was von allem das Ärgste ist) über unsere Meinung ebenso wunderlich als widersinnig waltet, so daß der Schurke oft für einen rechtschaffenden Kerl gilt, indem der Biedermann wie ein Bösewicht behandelt wird.
»Dich« – sagte ich bei mir selbst –, »den es schon in seiner schlimmsten Laune zu dem allerverächtlichsten Tiere herabgewürdigt hatte, dessen Unglück auch dem verruchtesten Menschen Erbarmen und Mitleiden abgelockt haben würde, dich noch mit dem Verdachte der Beraubung, ja der Ermordung deines teuren Gastfreundes zu beladen! Und du mußt es noch so mit anhören und kannst dich nicht einmal verteidigen oder die Sache nur mit einem Worte leugnen!«