»Wir begegnen dir, wie es dir geziemt; du bist ein Dieb!« gaben ihm jene zur Antwort, »du hast uns den Esel gestohlen! Und sage gleich an, wo hast du den Treiber, was hast du mit ihm angefangen? Gewiß hast du ihn totgeschlagen!«
Damit rissen sie ihn zu Boden, schlugen ihn mit Fäusten, traten ihn mit Füßen; er mochte noch so sehr Stein und Bein schwören, daß er den Treiber mit keinem Auge gesehen und mich, da ich ganz frei und allein gelaufen gekommen, nur der Belohnung wegen, die er dafür vom Eigner zu erhalten gehofft, aufgefangen hätte.
»Wollte Gott«, sprach er, »der Esel könnte reden! Er würde meine Unschuld bezeugen, und ihr solltet euch schon für diese Behandlung hinter den Ohren kratzen!«
Allein das half alles nichts, die Knechte waren ungläubig. Sie legten ihm einen Strick um den Hals und schleppten ihn mit nach dem Busche, wo der Bursche zu holzen pflegte. Er war nirgends zu finden; wohl aber sah man hin und wieder zerstreute Glieder seines zerrissenen Leibes. Mir war es außer allem Zweifel, daß der Bär das Stück Arbeit verrichtet, Und traun! Ich hatte gern gesagt, was ich wußte, wenn ich nur hätte reden können. Da das aber nicht anging, tat ich, was ich konnte, ich frohlockte im Grunde des Herzens über meine endliche Rache.
Nach und nach wurden alle zerstreuten Teile des Leichnams zusammengefunden. Man setzte sie, soviel als es sich tun ließ, wieder aneinander und verscharrte sie an demselben Orte.
Meinen armen Bellerophon aber hielten nunmehr die Knechte für einen unstreitig überführten Dieb und Mörder und führten ihn vor der Hand gebunden nach der Stuterei. Mit Anbruch des folgenden Tages aber, sagten sie, sollt’ er zum Richter gebracht und seiner verdienten Strafe ausgeliefert werden.
Eben waren die Anverwandten des Burschen im besten Weinen und Wehklagen um seinen Tod, siehe, da kam richtig mein Herr Schweineschneider anspaziert, um an mir seine Operation zu verrichten. Allein es ward ihm gesagt: »Alleweile läge ihnen die Sache nicht am Herzen; er möchte morgen wiederkommen, da könnte er den verdammten Esel, anstatt zu kastrieren, auch wohl gar erwürgen, sie wollten ihm alle dabei helfen!«
Solchergestalt ward meine Beschneidung bis auf den andern Tag verschoben. Wie dankte ich da nicht aus Herzensfülle dem Jungen für diese Galgenfrist, die er mir durch seinen Tod erworben! Meine Freude währte aber sehr kurz.
Die Mutter des Burschen, ganz untröstlich über ihren Verlust, kam in völliger Trauer zu mir in den Stall geheult und geschrien, riß sich mit beiden Händen ihre grauen, mit Asche bedeckten Haare aus, zerschlug und zerkratzte sich die welken Brüste und rief:
»Und die infame Bestie hier soll so ruhig stehen, die Nase in die Krippe hängen und nur für Ausfüllung ihres bodenlosen Wanstes besorgt sein? Nicht achten meines Jammers, nicht gedenken des schrecklichen Unglücks seines Führers? Soll wohl gar meines Alters, meiner Schwäche noch spotten und für ihre Feigheit leer auszugehen glauben? Ja, sich unschuldig dünken, sich dem bösesten Gewissen zum Trotz, wie’s alle Bösewichter machen, weißbrennen?
Nein, bei allen Göttern! Du schändliches Vieh, du könntest die beredtste Zunge erborgen und würdest nicht einmal ein Kind von deiner Unschuld überzeugen! Konntest du nicht mit Beißen, konntest du nicht mit Hufschlägen den armen Jungen schützen? Ja, wie er noch lebte, da mochtest du wohl deine Hufe gegen ihn selbst spielen lassen; aber sie zu seiner Verteidigung gebrauchen – das konntest du nicht! Hättest du ihn wenigstens nur auf den Rücken genommen und wärst mit ihm davongerannt, und hättest ihn also aus den Händen des blutdürstigen Banditen gerettet! Aber so deinen Bruder, deinen Meister, deinen Gefährten, deinen Pflegevater im Stiche zu lassen und allein davonzulaufen! Du mußt nicht wissen, daß diejenigen, welche einem, der sich in Lebensgefahr befindet, Hilfe versagen, wie Totschläger behandelt werden, weil es in der Tat bübisch ist! Allein du sollst dich meines Verlustes nicht länger erfreuen, Mörder! Du sollst gleich fühlen, wie der Schmerz selbst den abgelebten Unglücklichen Jugendkräfte verleiht!«
Mit diesen Worten machte sie sich die Hände frei, band sich ihren Gürtel ab und knüpfte und schnürte mir damit die Beine dicht und fest zusammen, so daß ich keins nur rühren konnte, geschweige ausschlagen. Und nun ergriff sie den Baum, womit die Stalltüre zugestemmt wurde, und hörte auch nicht auf, mich damit zu bleuen, bevor sie nicht alle Kräfte verließen und der Bleuel, vermöge seiner eigenen Schwere, ihr aus den Händen sank.
Böse, daß die Arme ihr so bald versagten, lief sie zum Feuerherde, holte einen lebendigen Feuerbrand und begann mein Gemächte zu braten. In der äußersten Not wußt ich mir nicht anders zu helfen, als ich spritzte hintenheraus ihr dermaßen ins Gesicht, daß sie kein Auge mehr auftun noch vor Gestank bleiben konnte, und ich also das Verderben von mir abwendete; sonst wäre ich armes Eselein wirklich, gleich dem Meleager durch den Feuerbrand der rasenden Althäa[67] ums Leben gekommen.
Achtes Buch
Zur Zeit des Hahnenschreis kam ein Bursche aus der Stadt, ich hielt ihn für einen von den Leuten Charitens, der Dame, welche mit mir bei den Räubern gleiche Trübsal erlitten hatte. Er setzte sich zu den Knechten ans Feuer und erzählte denselben folgende wunderbare und traurige Geschichte von ihrem Tode und dem Unglücke ihrer ganzen Familie.
»Ihr Hüter der Pferde, Schafe und Rinder«, hub er an, »die unglückliche Charite ist nicht mehr! Ein schrecklicher Zufall hat sie uns entrissen! Doch ist sie noch ohne Geleite von hinnen gegangen; aber ihr müßt alles wissen! Ich will die ganze Begebenheit von Anfang erzählen! Sie wäre wert, von gelehrten Händen niedergeschrieben und für die Nachwelt aufbewahrt zu werden.
In der Stadt war ein junger Ritter von sehr edler Abkunft und großem Vermögen, mit Namen Thrasyll. Schmausen, Buhlen, Zechen war sein Geschäft, Gauner seine Gesellschaft, und Menschenblut hatte schon mehrmals seine Hände befleckt. So wahr dies alles, so bekannt war es auch. Gleichwohl war er einer der Eifrigsten, die sich um Charitens Hand bewarben, als diese mannbar geworden.
Von allen Mitbewerbern der Vornehmste von Geburt, suchte er noch durch sehr ansehnliche Geschenke die Eltern für sich einzunehmen; doch umsonst! Seine schlechte Aufführung überwog, und er hatte den Schimpf, einen Korb zu bekommen.
Charite ward dem Tlepolem zugestanden.
Thrasyll ließ darum seine Leidenschaft für sie, so hoffnungslos sie auch war, nicht fahren, sondern nährte dieselbe zugleich mit dem Unwillen über die erlittene Verschmähung und suchte nur durch eine blutige Tat seine Rache und Liebe zu vergnügen. Eine günstige Gelegenheit bot sich ihm dazu dar, und er ließ sie nicht ungenutzt vorbeigehen.
An dem Tage, als Charite durch die List und Tapferkeit ihres Bräutigams glücklich aus den Händen der Räuber befreit worden war, kam er, unter die Menge der Gratulanten gemischt, und tat außer sich vor Freuden über die gegenwärtige Erhaltung und über das darauffolgende Beilager, aus dem, wie er sagte, notwendig die allerglänzendste Nachkommenschaft ersprießen müßte.
Er ward von der Zeit an, besonders um seiner Familie willen, unter die vorzüglichsten Gastfreunde unseres Hauses aufgenommen. Weislich verbarg er seine heimliche Tücke und spielte den Herzensfreund in größter Vollkommenheit. Durch seine Gespräche, durch häufige Besuche, durch einstweilige Gesellschaft bei der Mahlzeit, beim Weine, wußt’ er sich täglich mehr und mehr beliebt zu machen. Jedoch versank er darüber unversehens selbst in den tiefsten Abgrund der Liebe, und ganz natürlich! Denn der erste Funke der Liebe ist klein und erwärmt angenehm das Herz; aber wenn er durch den Umgang angefacht wird, so lodert er in Flammen auf, die endlich in wilder Glut unser ganzes Wesen verzehren.
Thrasyll dachte also lange bei sich selbst nach, wie er sich Charite heimlich entdecken könnte. Allein, wie ihr anzukommen, da sie beständig von Leuten umgeben und bewacht war? Wie es zu machen, ihr von seiner Liebe vorzureden, da ihre Neigung zu ihrem Gemahle im ersten Wachstume war und mit jedem Tag stärker wurde? Ja fände er, welches doch im mindesten nicht wahrscheinlich, fände er auch Gehör bei Charite; ihre jungfräuliche Unerfahrenheit würde dem Manne sogleich die verstohlene Liebe verraten.