Die Freunde nahmen alsbald den Leichnam der Unglücklichen auf, wuschen hin ab und legten ihn zu dem Tlepolem ins Grab. Beide Gatten sind also auf ewig vereint.
Wie dies Thrasyll vernahm, wußte er nicht, wie er genugsam für alles angerichtete Unglück büßen sollte. Mit dem Schwerte sich das Leben nehmen, düngte ihm ein viel zu leichter Tod. Er ließ sich in Tlepolems und Charites Gruft bringen. Allda schrie er zu wiederholten Male überlaut:
›Empfangt hier, ihr Geister, die ich beleidigt, empfangt euer freiwilliges Opfer!‹
Darauf schloß er fest die Türen des Grabmahls hinter sich zu und ließ sich, nach eigenmächtig über sich gefälltem Urteile, Hungers sterben.«
Also erzählte der Bediente aus der Stadt unter langen Seufzern und öfteren Tränen den Stutereiknechten, die ihm insgesamt mit der größten Rührung zuhörten. Sie beklagten sehr das Unglück ihrer gewesenen Herrschaft, beschlossen aber endlich, aus Furcht vor der zukünftigen davonzulaufen.
Der Gestütmeister, dem meine Pflege so eifrig war anbefohlen worden, stahl alles rein weg, was nur von einigem Werte im Hause war, packte es mir und noch anderen Tieren auf, und so wanderte er fort aus der alten Herberge. Wir trugen Weiber und kleine Kinder, trugen Hühner und Gänse, junge Ziegen und junge Hunde. Kurz alles, was nicht geschwind genug fortgekonnt und also die Flucht verzögert hätte, mußte mit unseren Füßen laufen. So überschwer auch die Last war, die mir zuteil geworden, so fühlt’ ich sie doch kaum, weil ich mit Freuden vor dem grausamen Räuber meiner Mannheit floh.
Wir hatten einen rauhen, waldigen Berg überstiegen und schon ein ganzes Stück Wegs in der Ebene zurückgelegt, als es dämmerig ward und wir zu einer volkreichen, wohlhabenden Burg kamen. Die Einwohner warnten uns, weder in der Nacht noch des Morgens in der Frühe weiterzugehen. Sie sagte, es gäbe in der Gegend eine abscheuliche Menge großer, starker, reißender Wölfe, die alles anfielen und sogar wie Räuber den Reisenden an der Straße auflauerten; ja, jetzt trieb sie der Hunger schon so weit, daß sie in die benachbarten Dörfer einbrächen und der Menschen sowenig als des Viehes schonten. Auf dem Wege, den wir zu passieren hätten, läge mancher halbverzehrte Leichnam, manches abgenagte Gerippe. Wir sollten uns also ja vorsehen! Das beste, was wir tun könnten, wäre, daß wir uns erst am hellen lichten Tage, wenn die Sonne schon hoch stünde, wieder auf den Weg begäben, denn das Licht mache die Tiere doch etwas schüchtern. Inzwischen müßten wir immer vor unvermuteten Überfällen auf der Hut sein und nicht einzeln zerstreut, sondern in einem dichten Haufen beisammen marschieren, sonst könne es uns dennoch übel ergehen.
Allein unsere Führer kümmerten sich viel um diese heilsame Weisung! Die Schelme fürchteten weiter nichts als das Nachsetzen und suchten nur ihre heimliche Flucht bestens zu beschleunigen. Sie warteten nicht einmal, bis es hell ward, sondern gleich nach Mitternacht trieben sie uns mit unserer Ladung wieder aus.
Ich, der ich mir die bedrohte Gefahr fein hinter die Ohren geschrieben, ich stieß und drängte, was ich wußte und konnte, damit ich nur mitten unter den andern Eseln und Pferden zu gehen kam und meinen Hintern vor den Anfällen der reißenden Wölfe deckte. Wie frisch konnte ich nicht laufen! Um nicht hinten zu bleiben, schritt ich dermaßen zu, daß sich jedermann über meine Schnelligkeit verwunderte. Furcht beflügelte mich wie einst den Pegasus, denn der ehrliche Gaul hat zuverlässig seine Flügel auch nur der Feigheit zu danken. Er fürchtete sich vor den Bissen der feuerspeienden Chimära[68] und tat Sätze bis an den Himmel, da sagte man, er sei beschwingt!
Indessen waren unsere Treiber wie zum Treffen gerüstet. Der eine schwang die Lanze, der andere einen Jagd-, der dritte einen Wurfspieß, der vierte einen Knüttel. Andere trugen Steine, woran es überhaupt in der felsigen Gegend nicht fehlte. Noch andere führten spitze Zaunpfähle, die meisten aber suchten durch brennende Fackeln dem Feinde Schrecken einzujagen. Es fehlte an weiter nichts als an der Trompete, so war das Kriegsheer fertig.
Jedoch unsere Furcht war vergeblich. Es traf uns aber ein anderer Unfall.
Die Wölfe, entweder vom Gelärme der gedrängt einhermarschierenden Schar oder vom hellen Glanze der Fackeln verscheucht, oder auch anderwärts streifend fielen uns nicht allein nicht an, sondern ließen sich auch nicht einmal in der Ferne blicken. Allein die Bauern in einem Dorfe, vor dem wir nahe vorbeizogen, hielten uns, unserer Menge wegen, für Räuber, gerieten deshalb in große Bestürzung und hetzen uns ihre ungeheuren, grimmigen Hunde, ärger noch als Wölfe und Bären, die sie zur Sicherheit hatten, mit lautem, heftigem Geschrei auf den Hals. Die Bestien, von Natur böse und durch die Stimmen ihrer Herren noch mehr angereizt, stürzten wütend auf uns ein. Den Augenblick hatten sie uns umzingelt und nun Menschen und Vieh ohne Unterschied gepackt, zerbissen, zu Boden geworfen. Wahrlich, ein tragischer Anblick, wie die Rotte Hunde wild unter uns wütete, hier Fliehende faßte, dort Stillstehende an der Kehle hielt oder niederzog, anderwärts Gefallene and er Erde knetete und rechts und links, was ihr nur vorkam, mit unbarmherzigen Zähnen zerfleischte. Doch das war noch nicht alles! Es kam besser. Von den Häusern und von den nächsten Hügeln herab ließen die Bauern unablässig Steine auf uns hageln. Wir wußten nicht mehr, ob wir uns vor den Hundebissen oder Steinwürfen schützen sollten.
Endlich wurde die Frau Gestütmeisterin, die ich zu tragen die Ehre hatte, an ihrem Haupte getroffen. Sie fing Zetermordio zu schreien an, so daß der Herr Gemahl gleich zur Hilfe herbeieilte. Das Blut strömte ihr übers Gesicht; er wischte es flugs ab, war bemüht, es zu stillen, und rief dabei aus vollem Halse den Bauern zu:
»Aber um Gottes willen! Was fallt Ihr uns arme Leute und harmlose Wanderer denn so feindselig an und richtet uns zugrunde? Wir sind ja keine Räuber, die euch Gut und Blut zu nehmen kommen, getan haben wir euch auch nichts, und ihr bewohnt ja weder Höhlen der wilden Tiere noch rauhe Felsen wie Barbaren, daß ihr auch am Blutvergießen ergötzen könntet!«
Kaum hatte er das gesagt, so hörte der Steinregen auf und die angehetzten Bullenbeißer wurden zurückgerufen und angenommen. Einer von den Bauern rief aus dem Wipfel einer hohen Zypresse hinunter: »Ei, berauben wollen wir euch nicht, wir fürchteten es aber von euch; darum empfingen wir euch also. So gehet immer ruhig und in Frieden weiter!«
Äußerst übel zugerichtet zogen wir unsere Straße. Der zeigte eine große Beule von einem Steinwurfe, der eine klaffende Wunde von einem Hundebiß vor. Ein jeder hatte seinen Teil.
Als wir ein gut Stück Wegs weiter vorgerückt waren, kamen wir zu einem Walde mit hohen Bäumen und luftigen, offenen, grünen Plätzen. Da gefiel es unseren Treibern, stillzuhalten, um auszuruhen und sich gehörig zu verbinden.
Sie lagerten sich hier und da ins Gras, und nachdem sie sich erst ein wenig erholt hatten, sorgte jeglicher für seine Verletzung. Dieser wusch sich im vorüberfließenden Bache das Blut ab, jener legte nasse Schwämme auf eine Geschwulst. Ein anderer band wieder eine weit voneinanderstehende Wunde mit Leinwand zu. Solchergestalt waren alle beschäftigt, sich Linderung und Hilfe zu verschaffen.
Mittlerweile sah ihnen ein alter Kerl oben von einem Hügel herunter zu. Ziegen, die um ihn her weideten, kündigten ihn für einen Hirten an.
Einer von den unsern fragte denselben, ob er keine Milch oder frischen Käse zu verkaufen hätte. Er schüttelte etliche Male mit dem Kopfe und rief darauf: »Wie? Hier denkt ihr an Essen und Trinken oder an anderlei Erquicken? Ihr müßt nicht wissen, wo Ihr seid!« Mit den Worten trieb er seine Herde zusammen, schwenkte sich und zog hinweg.
Des Hirten Rede und Flucht jagte unseren Leuten keine kleine Furcht ein. Indem sie aber erschrocken nachforschten, was dies wohl für ein Ort sein möchte, doch niemand finden konnten, der ihnen Auskunft gegeben hätte, stand mit einmal ein anderer alter Mann neben ihnen am Wege; groß, viele Jahre auf dem Nacken, krumm auf den Stab gebeugt, matt die Beine nachschleppend und übermäßig weinend.