Nachdem die Brüder sich lange umhergezankt, sich untereinander die bittersten Vorwürfe gemacht, sich beiderseits hoch und teuer zugeschworen hatten, daß sie von allem Betrug und Diebstahle rein wären, so kamen sie friedlich überein, alle mögliche List anzuwenden, ihren gemeinschaftlichen Dieb ausfindig zu machen. Sie konnten durchaus nicht begreifen, wo immer just das Delikateste von ihren Gerichten hinkäme. Unmöglich könne doch der Esel von solcherlei Speisen versucht werden, und so große Fliegen, wie vormals die Harpyien[76] waren, welche dem Phineus die Mahlzeit wegfraßen, kämen doch auch nicht zu den Fenstern herein!
Inzwischen, die herrliche Tafel, die ganz menschliche Kost, in der ich so täglich schwelgte, schlug bei mir gar zu gut an. In kurzer Zeit war ich speckfett. Weich und sanft war meine Haut anzufühlen, und mein Haar glänzte wie ein Spiegel.
Über diese Schönheitsblüte merkten meine Herren Unrat, zumal sie auch gewahr wurden, daß ich das Heu immer unberührt liegenließ. Sie paßten mir auf. Um die gewöhnliche Zeit schlossen sie die Tür ab, als ob sie nach dem Bade gingen, belauerten mich aber draußen. Durch eine Ritze sahen sie denn bald, wie ich nach Appetit jetzt von diesem, jetzt von jenem hingesetzen Gerichte naschte.
Sie hatten solch ein Wunder über diese sonderbare Leckerhaftigkeit eines Esels, daß sie den Schaden vergaßen, der ihnen dadurch zugefügt wurde, und vor Lachen bersten wollten. Sie riefen noch andere von ihren Kameraden herbei und zeigten denen auch, was sie für ein geschmackvolles Langohr besäßen. Da war ein Gelächter. Endlich kam noch der Herr dazu und fragte, was es denn so zu lachen gebe. Man sagte ihm die Ursache. Er trat an die Spalte, guckte durch, und sah all sein Freude an mir. Er lachte, daß ihm der Leib weh tat und daß er gar nicht mehr konnte. Endlich ließ er die Tür aufmachen und kam herein und sah mir in der Nähe zu. Denn da ich merkte, daß die Sache eine so lustige Wendung genommen, und es mir schein, als ob das Glück mich anlächle, so schöpfte ich Mut aus der Freude der Anwesenden und ließ mich im mindesten nicht stören, sondern fraß ganz sorglos fort, bis der Hausherr, über die Neuheit des Schauspiels erfreut, mich in seinen Speisesaal führen ließ, oder vielmehr selbst mit eigenen hohen Händen hineinführte und Befehl gab, für mich die Tafel zu decken und ordentlich, wie es sich gehört, anzurichten.
Ich hatte mich zwar schon ganz artig vollgestopft, jedoch, um mich bei dem Herrn beliebter und angenehmer zu machen, verzehrte ich alles, was mir vorgesetzt wurde, mit großem Appetit. Noch dazu waren es allerhand stark gewürzte Gerichte, die sonst wohl einem Esel widerstehen möchten, die man aber recht vorsätzlich, um mich desto besser auf die Probe zu stellen, gewählt hatte: Ragouts mit Assaf, tüchtig gepfefferte Frikassees, Fische mit einer ausländischen Brühe, kurz, lauter Hochgeschmack. Der Saal erscholl während meines Geschmauses von hellem Gelächter.
»Oh!« schrie endlich ein Spaßvogel, der zugegen war, »gebt doch dem Burschen auch ein wenig Wein! Er wird dursten!«
»Wohlgesprochen, Schelm!« sprach der Herr, der das Wort auffing, »leicht könnte der Kauz auch wohl mit einem Gläschen Met fürliebnehmen. He! Junge, spüle gleich da den großen silbernen Pokal aus und reich denselben voller Met unserm Schmäcksbrädel hin! Sagt ihm zugleich, ich brächt’s ihm zu.«
Alle Anwesenden standen voller Erwartung. Ich meinesteils, ich sah nicht ab, warum ich hätte den Schüchternen spielen sollen. Fröhlichen Muts spitzte ich aufs possierlichste meine Lippen und schlürfte den ganzen Pokal auf einen Zug hinunter. Einstimmig schrie alles miteinander: »Wohl bekomm’s! Wohl bekomm’s!«
Kurz, ich gewährte dem Herrn so viel Kurzweil, daß er auf der Stelle meine Eigentümer hereinkommen ließ und ihnen für mich viermal soviel bezahlte, als ich ihnen gekostet hatte.
Er tat mich, nicht ohne die angelegentlichste Empfehlung, zu einem Freigelassenen, der bei ihm sehr in Gunst stand und ziemlich begütert war. Dieser hielt mich ziemlich menschlich und artig, und, um sich noch beliebter bei seinem Patrone zu machen, war er auch beflissen, zu allerhand Gaukeleien mich abzurichten, die denselben belustigen könnten.
Er lehrte mich nicht allein, wie die Menschen auf dem Ellbogen bei Tische liegen, sondern auch ringen und mit aufgehobenen Vorderfüßen tanzen. Ja, was das Allerpossierlichste und Wunderbarste schien, er lehrte mich sogar, ihn aufs Wort zu verstehen und durch Winke antworten. Verlangte ich etwas, so nickte ich mit dem Kopfe, schlug ich etwas aus, so schüttelte ich. Durstete ich und wollte zu trinken haben, so sah ich mich nach dem Mundschenk um und blinkte demselben mit einem Auge ums andere zu.
Ich stellte mich um so gelehriger an, da ich auch ohne Anweisung alle die Faxen machen konnte, nur damit zurückhalten mußte, weil zu fürchten stand, daß, wenn ich mich so ohne Lehrmeister als Mensch gebärdete, man mich als ein Wunder- und Unglückstier schlachten und den Geiern des Himmels zum Fraße überlassen möchte.
In kurzem verbreitete sich das Gerücht von meinen Wunderkünsten so sehr unter die Leute, daß mein Herr sich nur sehen lassen durfte, so hieß es: »Seht, seht! Das ist der, der den neckischen Esel hat, welcher wie ein Mensch speist und ringt und tanzt, und Schnaken macht und alles versteht, was man ihm sagt, auch durch Winke sich wieder verständlich machen kann!«
Doch ich muß euch wohl erst sagen (was ich allerdings gleich zu Anfang hätte sagen sollen), wer und woher mein Herr war.
Thyasus (also nannte er sich) war aus Korinth, der Hauptstadt von ganz Achaia, gebürtig. Seiner Geburt und seinem Stande gemäß hatte er sich von einer Ehrenstufe zur andern, bis nun endlich zum fünfjährigen Oberrichteramt, wozu er eben ernannt worden war, emporgeschwungen. Um diese hohe Würde mit allem erforderlichen Pompe anzutreten und den ganzen Umfang seiner Freigebigkeit sehen zu lassen, hatte er sich zu Kampfspielen, die drei Tage dauern sollten, anheischig gemacht, und weil er wünschte, bei dem Volke Ehre einzulegen, so war er selbst bis nach Thessalien gereist, um die edelsten wilden Tiere und die berühmtesten Fechter aufzukaufen. Bereits war seine Absicht erreicht und alles nach Wunsch angeschafft, und er eilte wieder nach Hause. So viele schöne Wagen, Kutschen und Kaleschen er auch mit sich hatte, so fuhr er dennoch auf der Reise in keiner einzigen; sie mußten alle nebst den Sänften, nebst den stolzen thessalischen Zeltern, nebst den köstlichen gallischen Zuchthengsten ledig hinten nachfolgen. Vorauf paradierte er auf mir, der ich auf das stattlichste mit goldenem Geschirr, prächtigem Sattel, purpurner Schabracke, gesticktem Gurte und hellklingenden Schellen herausstaffiert war. Er koste im Reiten oftmals sehr liebreich mit mir und versicherte mir unter anderem, daß es ihm eine unsägliche Freude sei, so in mir zu gleicher Zeit einen Gesellschafter und Träger gefunden zu haben.
Als wir nun unsere Reise teils zu Lande, teils zur See zurückgelegt hatten und zu Korinth ankamen, so strömte das Volk allenthalben haufenweise zusammen; nicht sowohl, wie’s mir vorkam, um dem Thyasus Ehre zu erweisen, als aus Begierde, mich zu sehen. So sehr war der Ruf von meiner Geschicklichkeit vor uns hergegangen!
Das machte sich der anschlägige Freigelassene, mein Verpfleger, zunutze; er merkte nicht so bald, daß die Leute so großes Verlangen nach meinen Künsten trügen, als er mich unter dem Schlosse hielt und mich niemand anders als für Geld sehen ließ. Das brachte ihm täglich keine Kleinigkeit ein.
Unter den vielen Leuten, die sich die Neugier, mich zu sehen, was kosten ließen, befand sich auch eine reiche, vornehme Dame. Diese belustigte sich so sehr an meiner Drolligkeit und meinen mannigfaltigen Gaukeleien, daß sie sich gar zuletzt, nachdem sie mich lange aufs lebhafteste bewundert hatte, sterblich in mich verliebte. Sie verschmähte jedes andere Mittel, sich von dieser unsinnigen Leidenschaft zu heilen, und strebte nur wie eine andere Pasiphae[77] nach meinem Genusse. Kurzum, sie bot meinem Wächter eine große Summe Geldes für eine einzige Nacht von mir. Leider fand sie in der eigennützigen Denkart desselben keinen Widerstand! Ohne Bedenken gestand ich der Nichtswürdige ihr Begehren zu, und abends, als wir von der Tafel unseres Herrn zurückkamen, fanden wir vor der Kammertüre die Dame schon unserer warten.
77
Die Tochter des Sol, Gemahlin des Minos, die in Liebe zu einem Stier entbrannte und den Minotaurus gebar.