Allein, außerdem ich mich schämte, mit einer so gottlosen, schandbaren Kreatur angesichts des ganzen Volkes Beilager zu halten, so fürchtete ich mich auch, mein liebes Leben dabei einzubüßen. »Welches Tier«, dachte ich bei mir selbst, »man auch herauslassen mag, das Weibsstück zu zerreißen, so wird es doch nimmermehr weder klug noch künstlich abgerichtet, noch enthaltsam genug sein, daß, wenn es uns selbander im Liebesknoten verschlungen antrifft, es gerade nur die Delinquentin hinwegnehmen und dich, weil du nichts verbrochen hast, unverletzt liegenlassen sollte!«
Da es mir also weit mehr um die Rettung meines Lebens denn um die Schonung meiner Schamhaftigkeit zu tun war, so nahm ich wohl des Augenblicks wahr, wo mein Wärter eben seine ganze Aufmerksamkeit auf Zubereitung des Bettes geheftet hatte, das andere Gesinde aber teils mit Zurüstung der Tiergefechte, teils mit Erwartung des schlüpfrigen Schauspiels beschäftigt, auf mich zahmen, frommen Esel gar nicht acht hatte, stahl mich zum Stadttore, das ziemlich in der Nähe war, unvermerkt hinaus, und nun aus Leibeskräften ausgerissen!
Sechstausend Schritte hatt’ ich in vollem Galopp zurückgelegt, als ich mich vor Cendreä befand, das der edlen korinthischen Kolonie zugehört, vom Ägäischen und Saronischen Meere bespült wird und einen sehr sicheren, schiffreichen Hafen hat.
Ich mied das Getümmel der Menschen und begab mich lieber beiseite auf das einsame Gestade. Allda streckt’ ich dicht an der Brandung meine müden Glieder gemächlich auf weichen Sand hin. Bereits hatte die Sonne das äußerste Ziel des Tages erreicht. Der süßeste Schlaf sank auf mich hernieder.
Elftes Buch[84]
Ungefähr um die erste Nachtwache wurde ich durch ein jähes Erschrecken aus dem Schlafe geweckt. Eben stieg in vollem Glanze der Mond aus den Meeresfluten herauf.
Die Majestät dieses hehren Wesens erfüllte mich mit tiefster Ehrfurcht, und überzeugt, daß alle menschlichen Dinge durch seine Allmacht regiert werden, überzeugt, daß nicht allein alle Gattungen zahmer und wilder Tiere, sondern auch die leblosen Geschöpfe durch den unbegreiflichen Einfluß seines Lichtes fortdauern, ja daß selbst alle Körper auf Erden, im Himmel und im Meere in vollkommenster Übereinstimmung mit demselben ab- und zunehmen, so bediente ich mich der feierlichen Stille der Nacht, mein Gebet an das holdselige Bild dieser hilfreichen Gottheit zu verrichten; um so mehr, da das Schicksal, meiner so großen und langwierigen Qualen satt, mir endlich Ahnungen meiner Erlösung eingab.
Flugs schüttelte ich jeglichen Rest von Trägheit ab, stand munter auf, badete mich, um mich zu reinigen, im Meere, und nachdem ich mein Haupt siebenmal unter die Fluten getaucht, welches die Zahl ist, die der göttliche Pythagoras als die schicklichste zu gottesdienstlichen Verrichtungen angibt, betete ich frohen und munteren Herzens, doch betränten Angesichts, zur heiligen Göttin also:
»Königin des Himmels! Du seist nun die allernährende Ceres, des Getreides erste Erfinderin, welche, in der Freude ihres Herzens über die wiedergefundene Tochter, dem Menschen, der gleich den wilden Tieren mit Eicheln sich nährte, eine mildere Speise gegeben hat und die eleusinischen Gefilde bewohnt, oder du seiest die himmlische Venus, welche im Urbeginne aller Dinge durch ihr allmächtiges Kind, den Amor, die verschiedensten Geschlechter gegattet und also das Menschengeschlecht fortgepflanzt hat, von dem sie zu Paphos in dem meerumflossenen Heiligtume verehrt wird, oder des Phöbus Schwester, welche durch den hilfreichen Beistand, den sie den Gebärerinnen leistet, so große Völkerschaften erzogen hat und in dem herrlichen Tempel zu Ephesus angebetet wird. Oder du seiest endlich die dreigestaltige Proserpina, die nachts mit grausigem Geheul angerufen wird, den tobenden Gespenstern gebietet und unter der Erde sie einkerkert, während sie entlegenen Haine durchirrt, wo ein mannigfacher Dienst ihr geweiht ist: Göttin! die du mit jungfräulichem Scheine alle Regionen erleuchtest, mit deinem feuchten Strahle der fröhlichen Saat Nahrung und Gedeihen gibst und nach der Sonne Umlauf dein wechselndes Licht einteilst; unter welchem Namen, unter welchen Gebräuchen, unter welcher Gestalt dir die Anrufung immer am wohlgefälligsten sein mag! Hilf mir in meinem äußersten Elende! Stehe mir bei, daß ich nicht gänzlich zugrunde gehe; nach so vielen, so schwer überstandenen Trübsalen verleihe mir endlich einmal Ruhe und Frieden! Ich habe genug des Jammers, genug der Gefahren! Nimm von mir hinweg die schändliche Tiergestalt! Laß mich wieder werden, was ich war; laß mich Lucius werden und gib mich den Meinigen wieder! Oder habe ich ja irgendeine unversöhnliche Gottheit ohne mein Wissen beleidigt: Ach, so sei lieber mir erlaubt, zu sterben denn so zu leben, o Göttin!«
Nachdem ich solchergestalt gebetet und mein Leid geklagt hatte, kehrte ich auf meinen vorigen Ruheplatz zurück, und ein süßer Schlaf bemächtigte sich aufs neue meiner Sinne.
Kaum war ich eingeschlummert, siehe, so erhob sich eine göttliche Gestalt mitten aus dem Meere! Erst zeigte sich ihr selbst den Göttern ehrwürdiges Antlitz, darauf entstieg nach und nach ihr ganzer Körper den Wellen.
Das herrliche Gebild schien vor mir stillezustehen.
Ich will versuchen, euch diese wunderbare Erscheinung zu schildern, wenn anders die Armut menschlicher Sprache zu der Beschreibung hinreicht oder die mir erschienene Gottheit mir Fülle der Beredsamkeit will angedeihen lassen.
Reiche, ungezwungene Locken spielen sanft in angenehmer Verwirrung um den Nacken der Göttin; ihren hohen Scheitel schmückte ein vielförmiger Kranz mit mancherlei Blumen. Über der Mitte der Stirn glänzte mit blassem Scheine eine flache Rundung nach Art eines Spiegels oder vielmehr der Scheibe des Mondes, darumher auf beiden Seiten sich gewundene Schlangen gleich Furchen zogen, und darüber hin, wie bei der Ceres, Kornähren gelegt waren.
Ihr Kleid war feines Zeug, das bald weiß, bald gelb, bald rosenrot wechselte. Es umhüllte sie ein Mantel von blendender Schwärze, der unter dem rechten Arm hindurch über die linke Schulter geschlagen war. Der Zipfel wie ein Schild eines Kriegers über den Rücken zurückgeworfen, fiel in mannigfachen Falten hinab, und die Fransen des Saumes flatterten zierlich im Winde. Sowohl auf der Verbrämung als auf dem Mantel selbst flimmerten zerstreute Sterne in deren Mitte der Vollmond in seiner ganzen Pracht glänzte, und eine schwere Kette allerlei künstlich zusammengeordneter Blumen und Früchte irrte allenthalben verloren darüber hin.
In ihren Händen führte die Göttin weit voneinander verschiedene Dinge; denn in der Rechten hielt sie eine goldene Klapper, durch deren schmales Blech, das sich wie ein Gürtel zusammenbog, einige Stäbe gezogen waren, die beim dreimaligen Schütteln des Armes einen hellen Klang gaben. Von der Linken aber hin ihr ein goldenes Trinkgeschirr herab, über dessen Handhabe an der Seite, wo sie sichtbar war, eine Schlange sich emporreckte mit hocherhobenem Haupte und geschwollenem Nacken.
Ihre ambrosiaduftenden Füße bedeckten Schuhe aus Blättern der Siegespalme geflochten.
Also geschmückt und des wonnigen Arabiens Wohlgeruch um sich her verbreitend, würdigte die hohe Göttin mit folgender Anrede:
»Schau! Dein Gebet hat mich gerührt. Ich, Allmutter Natur, Beherrscherin der Elemente, erstgeborenes Kind der Zeit, Höchste der Gottheiten, Königin der Manen, Erste der Himmlischen; ich, die in mir allein die Gestalt aller Götter und Göttinnen vereine, mit einem Wink über des Himmels lichte Gewölbe, die heilsamen Lüfte des Meeres und der Unterwelt klägliche Schatten gebiete. Ich, die alleinige Gottheit, welche unter so mancherlei Gestalt, so verschiedenen Bräuchen und vielerlei Namen der ganze Erdkreis verehrt – denn mich nennen die Erstgeborenen aller Menschen, die Phrygier, pessinuntische Göttermutter, kekropische[85] Minerva; den eiländischen Kypriern paphische Venus; den pfeilführenden Kretern dictynnische [86] Diana; den dreizüngigen Siziliern stygische Proserpina; den Eleusinern Altgöttin Ceres. Andere nennen mich Juno, andere Bellona, andere Hekate[87], Rhamnusia[88] andere. Sie aber, welche die aufgehenden Sonne mit ihren ersten Strahlen beleuchtet, die Äthiopier, auch die Arier und die Besitzer der ältesten Weisheit, die Ägypter, mit den angemessensten eigensten Gebräuchen mich verehrend, geben meinen wahren Namen mir: Königin Isis[89]. – Ich erscheine dir aus Erbarmen über dein Unglück; ich komme zu dir in Huld und Gnaden. Hemme denn den Lauf deiner Tränen! Stelle ein dein Trauern, dein Klagen! Der Tag deines Heils ist da, kraft meiner Allmacht; öffne nur deine betrübte Seele meinem göttlichen Gebote!
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Den Altertumsforschern ist dieses Buch wegen der darin enthaltenen Nachrichten von dem Dienste und den Geheimnissen der Isis höchst wichtig. Es sind die einzig ausführlichen, die wir davon haben.