Unter solcherlei Gerede und unter dem Getöse feierlicher Gebete rückten wir allmählich fort, bis wir dem Gestade naheten und endlich an denselben Ort kamen, wo ich vergangene Nacht meine Ruhestätte gehabt hatte.
Daselbst wurden die Bilder der Götter gehörig in Ordnung aufgestellt. Mit keuschem Munde verrichtete sodann der Hohepriester ein förmliches Gebet, reinigte mit brennender Fackel, Ei und Schwefel ein künstlich gezimmertes und ringsumher mit ägyptischen Wundermalereien geziertes Schiff und weihte und heiligte es der Göttin.
Im blendenden Segel dieses heiligen Kiels stand mit großen Buchstaben das Gelübde für die gesegnete Schiffahrt des neuen Jahres geschrieben. Hoch erhob sich der runde, glattbehauene Tannenmast mit wallendem Wimpel. Auf dem Hinterteile prangte eine vergoldete Gans mit gewundenem Halse, und über und über glänzte das ganze Schiff von geglättetem, köstlichem Zitronenholz.
Nun kamen Priester und Laien und trugen um die Wette Körbchen voll Gewürze und solcherlei Geschenke herbei und gossen eine Milchmährte [93] über die Wellen hin.
Als endlich das ganze Schiff mit reichlichen Gaben und Sühneopfern angefüllt war, wurden die Ankertaue gelöst, und ein eigener, frischer Wind trieb es in die hohe See.
Sobald es aus unserm Gesichte verschwunden war, nahmen die heiligen Träger ein jeglicher dasjenige wieder, was er gebracht hatte, und unter denselben Gebräuchen, worunter die feierliche Prozession gekommen, kehrte sie fröhlich wieder nach dem Tempel zurück.
Wie wir vor dem Tempel angelangt waren, begab sich der Hohepriester nebst denen, welche die Bilder der Götter trugen, und denen, welche vorlängst in das Allerheiligste waren aufgenommen worden, in die Sakristei der Göttin und setzten allda gehörig die atmenden Bilder nieder. Darauf erschien einer von ihnen, der von allen der Geheimschreiber genannt wurde, vor der Pforte und berief das Kollegium der Pastophoren (Erzpriester) zusammen. Sodann sprach er von einer hohen Kanzel herab aus einem Buche und aus besonderen Schriften den Segen über den Kaiser, den Senat, die Ritter und das ganze römische Volk, über die Schiffahrt und über alles aus, was der Herrschaft unseres Reiches untertan ist, und schloß endlich mit der Formeclass="underline" »Gehet nun heim, es ist vollbracht!« – »Amen«, antwortete auf sein Gebet mit lautem Geschrei die Gemeinde, »Amen!« Und heilige Zweige und Kräuter oder Kränze tragend, küßten alle, mit Freuden überströmt, die Füße der Göttin, die, aus Silber gebildet, auf den Stufen des Tempels stand, und zogen dann jeglicher seines Weges heim. Ich aber, ich konnte es nicht von meinem Herzen erlangen, nur einen Fingerbreit von dannen zu weichen. Meine ganze Seele auf der Göttin Ebenbild geheftet, blieb ich da und dachte meinem Schicksale nach.
Unterdessen hatte das flügelschnelle Gerücht nicht gesäumt, flugs in meinem Vaterlande der huldreichen Göttin große Wohltat nebst meinen besonderen Abenteuern hin und wieder auszuposaunen. Eiligst kamen Freunde und Diener und meine nächsten Blutsverwandten, nach abgelegter Trauer über die falsche Nachricht von meinem Tode vor plötzlicher Freude außer sich, mit allerlei Geschenken herbei, mich durch göttliche Gnade Neugeborenen wiederzusehen. Ihr Anblick war mir ein wahres Labsal, da ich schon alle Hoffnung aufgegeben hatte, sie jemals mit Augen wiederzuschauen. Für ihre Geschenke aber bedankte ich mich herzlich, da meine Familie mir so viel geschickt hatte, als ich überflüssig zu Kleidung und zum Lebensunterhalt brauchte.
Nachdem ich mich mit einem jeglichen von ihnen aufs freundschaftlichste unterhalten und allen meine erlittenen Trübsale und meine jetzige Glückseligkeit erzählt hatte, kehrte ich wiederum zum Anschauen meiner Göttin zurück.
Ich mietete mir ein Haus innerhalb der Ringmauern des Tempels, worin ich meine Wohnung eine Zeitlang aufschlug, um desto bequemer mit den Priestern der Göttin Umgang zu pflegen und unzertrennlich mit denselben den öffentlichen und Privatgottesdienst abzuwarten. Da ging auch keine Nacht hin – der Schlaf schloß kein einzig Mal meine Augen –, daß die Göttin mich nicht in einem Gesichte ermahnt hätte, mich, der ich vorlängst schon zu ihrem Dienste berufen wäre, doch endlich einweihen zu lassen! Indessen, so sehnlich ich’s auch selbst begehrte, so hielt mich dennoch eine heilige Furcht davon zurück. Ich hatte beobachtet, daß diese Religion sauer zu erfüllende Pflicht auferlege, zu vielerlei Enthaltsamkeit fordere und das Leben, das leider! der Mühen schon genug hat, durch gar zu strenge Selbstverleugnung noch mehr erschwere. Je mehr ich das bedachte, desto mehr eilte ich mit Weile.
Eine Nacht aber schien es mir im Schlafe, ich sähe den Hohenpriester mir den Schoß voll Sachen bringen, und als ich ihn fragte, was ich denn damit solle, da gäbe er mir zur Antwort: Soeben wären mir diese Sachen aus Thessalien samt meinem Diener Schimmel nachgeschickt worden.
Lange sann ich beim Erwachen hin und her, was dies Gesicht wohl zu bedeuten haben möchte; zumal, da ich gewiß war, niemals einen Kerl, der Schimmel geheißen, in meinem Dienst gehabt zu haben. Wie ich aber auch meinen Traum drehen und wenden mochte, so konnt’ ich mir dennoch nichts weiter daraus nehmen, denn allenfalls eine Hoffnung zu einem bevorstehenden Glücke, weil mir doch Sachen waren zugebracht worden.
Unruhig in der Ahnung irgendeines frohen Begegnisses, harrte ich am Morgen der Eröffnung des Tempels.
Die weißen Vorhänge wurden endlich aufgezogen; wir beteten vor dem ehrwürdigen Bilde der Göttin. Der Hohepriester ging von einem umstehenden Altar zum andern, verrichtete Opfer und goß unter feierlichen Gebeten aus dem Weihkessel, der aus einem Quell im Allerheiligsten des Tempels gefüllt worden, Wasser aus. Dies auf gebührende Weise vollbracht, begannen alle Eingeweihten laut die Frühmette zu singen. Und siehe da, die Bedienten, die ich zu Hypata gelassen hatte, als Fotis aus Versehen mich zum Langohr gemacht, traten herein. Meine mütterlichen Anverwandten brachten sie mir nebst meinem Pferde, das sie, nachdem es schon durch verschiedene Hände gegangen war, an einem Zeichen auf dem Rücken wiedererkannt und reindiziert hatten. Zu meiner großen Verwunderung sah ich also meinen Traum vollkommen ausgehen, sah die mir verheißenen Sachen, sah meinen treuen thessalischen Schimmel, der als ein Bedienter mir war angedeutet worden.
Hierdurch bewegt, widmete ich mich mit desto lebendigerem Eifer dem Dienste der Göttin. Diese gegenwärtigen Wohltaten waren mir für meine zukünftige Hoffnungen Bürge. Nicht minder entflammte von Tag zu Tage mehr und mehr meine Begierde nach dem Empfängnis der Heiligtümer. Mit den dringendsten Bitten lag ich zum öftern dem Hohepriester an, mich in der Weih-Nacht Geheimnisse aufzunehmen. Allein dieser fromme, im Rufe der lautersten Gottesfurcht stehende Mann wußte immer mit ebensoviel Freundlichkeit und Milde, als nur ein liebreicher Vater bei Bezähmung des jugendlichen Ungestüms seines Sohnes anwenden kann, die Ungeduld meiner Seele durch süße Hoffnung hinzuhalten. Die Göttin, sagte er, bestimme durch unmittelbare Eingebung allemal zuvor sowohl den Tag der Weihe, als auch den Priester, welcher dieselbe und den zur Feierlichkeit erforderlichen Aufwand zu verrichten habe. Ob diese Weissagung auch verziehe, so müsse ich ihrer dennoch mit geziemender Geduld harren. Zudringlichkeit sei ebenso gefährlich als Widerspenstigkeit. Ich versündige mich nicht minder an der Göttin, wenn ich ihrem Rufe voreilig zuvor-, denn saumselig nachkäme. Niemand aus seinem Orden besitze auch eine so ruchlose Frechheit, das Geschäft der Einweihung zu übernehmen, ohne gleichfalls seinerseits ausdrücklichen Befehl der Göttin dazu erhalten zu haben: das hieße, sich des Todes schuldig machen. In den Händen der Isis läge überhaupt das Leben eines jeglichen Menschen, lägen die Schlüssel zum Reiche der Schatten; in ihren Mysterien würde Hingebung zu einem freiwillig gewählten Tod und Wiedererlangung des Lebens durch die Gnade der Göttin gefeiert und vorgestellt. Auch pflege die Göttin nur solche zu erkiesen, die nach vollbrachter Lebenszeit am Rande des Grabes sich befänden, weil denen die großen Geheimnisse der Religion am sichersten könnten anvertraut werden. Durch ihre Allmacht würden dieselben dann gleichsam wiedergeboren und zu einem neuen Leben zurückgeführt. Wäre ich nun gleich aus besonderer, sichtbarer Gunst der großen Göttin vorlängst schon zu ihrem seligen Dienste auserkoren und berufen, so müsse ich demungeachtet mich jener himmlischen Verordnung unterwerfen, mich gerade wie ihre anderen Diener aller unheiligen und verbotenen Nahrungsmittel von nun an zu enthalten. Ich würde dadurch desto fähiger, zu den verborgensten Geheimnissen der allerreinsten Religion zugelassen zu werden. Also der Hohepriester.