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Mein Herr, entgegnete ich, ichbitte Sie nicht für mich. Ich werde mich rächen, aber meinBruder hatte eine Frau; die Arme würde Hungers sterben, denn sie lebte allein von der Arbeit meinesBruders. Erlangen Sie eine kleine Pension für sie von der Regierung!

Jede Revolution hat ihre Katastrophen, antwortete Herr von Villefort. IhrBruder ist ein Opfer der neuesten gewesen, das mögen Sie als ein Unglückbetrachten, aber die Regierung ist Ihrer Familie deshalbnichts schuldig. Wenn wir zu Gericht zu sitzen hätten über alle Rachetaten, welche die Parteigänger des Usurpators gegen die Parteigänger des Königs verübten, als noch die Macht in ihren Händen lag, so wäre IhrBruder heute vielleicht zum Tode verurteilt. Was hier vorgeht, kann nur als etwas Natürliches erscheinen, denn es ist die Folge des Gesetzes der Vergeltung.

Herr, rief ich, ist es möglich, daß Sie so sprechen, Sie, als Staatsbeamter?

Bei meinem Ehrenwort, alle Korsen sind Narren, erwiderte Herr von Villefort, Sie glauben, Ihr Landsmann sei noch Kaisers, Sie irren sich in der Zeit, mein Lieber, Sie hätten mir das vor zwei Monaten sagen müssen. Gehen Sie, oder ich lasse Sie abführen!

Ich schaute ihn einen Augenblick an, um zu sehen, obweiteresBitten Erfolg verspräche. Aber der Mann war von Stein. Ich näherte mich ihm und sagte mit halber Stimme: Wohl! da Sie die Korsen so gut kennen, so müssen Sie wissen, wie sie ihr Wort halten. Sie meinen, man habe wohl daran getan, meinenBruder umzubringen, der einBonapartist war, während Sie Royalist sind. Ichbin ebenfallsBonapartist und sage Ihnen nur eins: Ich werde Sie töten. Von diesem Augenblicke an erkläre ich Ihnen Vendetta! Seien Sie also auf Ihrer Hut, denn sobald wir uns wieder von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, hat Ihre letzte Stunde geschlagen. Darauf öffnete ich, ehe er sich von seinem Erstaunen erholt hatte, die Tür und entfloh.

Ah! ah! sagte Monte Christo, mit Ihrem ehrlichen Gesichtebringen Sie dergleichen fertig und noch dazu gegen einen Staatsanwalt! Pfui doch! Und wußte er denn, was das Wort Vendettabesagen wollte?

Er wußte es so gut, daß er von diesem Augenblick an nicht mehr allein ausging, sich zu Hause verschanzte und mich überall suchen ließ. Zum Glück war ich so gut verborgen, daß er mich nicht finden konnte. Da faßte ihn die Angst, er fürchtete sich, länger in Nimes zubleiben; erbat um Versetzung, und da er wirklich ein einflußreicher Mann war, soberief man ihn nach Versailles. Aber Sie wissen, daß es für einen Korsen, der seinem Feinde Rache geschworen hat, keine Entfernung gibt, und sein Wagen, so gut er gefahren wurde, hatte nie über einen halben Tag Vorsprung vor mir, während ich ihm doch zu Fuße folgte.

Das Schwierige dabei war nicht, ihn zu töten, denn hundertmal fand ich hierzu Gelegenheit, aber ich mußte ihn töten, ohne entdeckt undbesonders ohne verhaftet zu werden. Denn ich gehörte nicht mehr mir; ich hatte meine Schwägerin zubeschützen und zu ernähren. Drei Monate langbelauerte ich Herrn von Villefort; drei Monate lang machte er keinen Schritt, keinen Spaziergang, ohne daß ihm meinBlick folgte. Endlich entdeckte ich, daß er insgeheim nach Auteuil kam; ich folgte ihm und sah ihn in das Haus gehen, in dem wir unsbefinden; nur kam er, statt durch die Haustür vorn einzutreten, entweder zu Pferde oder zu Wagen, ließ Pferd oder Wagen im Wirtshaus und schlich sich durch die kleine Tür herein, die Sie dort sehen.

Ich hatte nichts mehr in Versailles zu tun, bliebin Autenil und zog Erkundigungen ein. Wollte ich ihn fangen, so mußte ich offenbar hier meine Falle stellen. Das Haus gehörte Villeforts Schwiegervater, Herrn von Saint‑Meran. Dieser wohnte aber in Marseille, folglich war ihm dieses Landhaus unnütz; es hieß auch, er habe es an eine junge Witwe vermietet, die nur unter dem Namen dieBaroninbekannt war. Während ich eines Abends über die Mauer schaute, sah ich wirklich eine hübsche junge Frau allein im Garten gehen. Sieblickte häufig nach der kleinen Tür, und ich sagte mir, daß sie Herrn von Villefort am Abend erwarte. Als sie so nahe zu der Mauer kam, daß ich trotz der Dunkelheit ihre Züge zu unterscheiden vermochte, erkannte ich, daß sie sehr hübsch, blond, groß und etwa neunzehn Jahre alt war; auch konnte ichbemerken, daß sie sich in andern Umständenbefand, und ihre Schwangerschaft schien mir sogar ziemlich weit vorgerückt. Einige Augenblicke nachher öffnete man die kleine Tür; ein Mann trat ein, die junge Fran lief ihm so rasch als möglich entgegen, sie umarmten sich, küßten sich zärtlich und gingen ins Haus. Dieser Mann war Herr von Villefort. Ich dachte, wenn er herauskäme, besonders wenn erbei Nacht herauskäme, müßte er den Garten in seiner ganzen Länge durchschreiten.

Und Sie haben seitdem den Namen der Frau erfahren? fragte der Graf.

Nein, Exzellenz, Sie werden sehen, daß ich nicht Zeit gehabt habe, mich danach zu erkundigen. — Ich hätte den Staatsanwalt vielleicht an diesem Abend töten können; aber ich kannte den Garten noch nicht genau genug und fürchtete, wenn er nicht sofort tot wäre und Leute auf sein Geschrei herbeiliefen, nicht schnell genug fliehen zu können. Deshalbverschobich die Ausführung meines Vorhabens auf das nächste Mal undbezog, damit mir nichts entginge, ein kleines Zimmer mit der Aussicht auf die Straße, die längs der Gartenmauer hinlief.

Drei Tage nachher sah ich gegen sieben Uhr abends einen Diener zu Pferde aus dem Garten eilen und im Galopp auf dem Wege fortsprengen, der zur Straße nach Sèvres führte. Ich nahm an, er reite nach Versailles, und täuschte mich nicht. Drei Stunden später kam er mit Staubbedeckt zurück. Zehn Minuten nach ihm erschien ein anderer Mann, in einen Mantel gehüllt, zu Fuß und öffnete die kleine Gartentür, die sich wieder hinter ihm schloß.

Ich ging rasch hinab. Obschon ich das Gesicht des Mannes nicht gesehen hatte, so verrieten mir doch die Schläge meines Herzens, daß er es sei; ich ging über die Straße zu einem Randstein an der Mauerecke, von dem aus ich das erste Mal in den Garten gesehen hatte. Diesmalbegnügte ich mich nicht mit dem Schauen, ich zog mein Messer aus der Tasche, überzeugte mich, daß es gehörig geschärft war, und sprang über die Mauer. Es war mein erstes, an die Tür zu laufen; er hatte den Schlüssel stecken lassen und ihn nur zweimal umgedreht. Nichts konnte also von dieser Seite meine Flucht hemmen. Ich übersah die Örtlichkeit; der Gartenbildete ein langes Geviert, mittendurch zog sich ein Rasenteppich, an dessen Rande dichtbelaubteBaumgruppen standen. Um sich von dem Hause an die kleine Tür oder von der kleinen Tür nach dem Hause zubegeben, mußte Herr von Villefort an einer von diesenBaumgruppen vorübergehen.

Es war Ende September, der Windblies heftig, ein wenig Mondschein, alle Augenblicke durch dichte Wolken verschleiert, die schnell am Himmel hinglitten, ließ den Sand der zu dem Hause führenden Alleen weiß erscheinen, vermochte aber die Dunkelheit der Gebüsche nicht zu durchdringen. Ich verbarg mich also in dem Gebüsch, an dem Herr von Villefort vorüberkommen mußte. Kaum war ich hier, als ich unter den Windstößen, welche dieBaumzweige über meine Stirnbeugten, etwas wie Seufzen zu unterscheiden glaubte. Es vergingen zwei Stunden, während deren ich wiederholt dasselbe Seufzen zu hören glaubte. Endlich schlug es Mitternacht.

Als noch der letzte Schlag verhallte, sah ich einen schwachen Schimmer die Geheimtreppe erhellen, auf der wir soeben herabgekommen sind. — Die Tür öffnete sich, und der Mann mit dem Mantel erschien. Der furchtbare Augenblick war da. Doch ich hatte mich auf diesen Augenblick so lange vorbereitet, daß ich nicht die geringste Schwäche empfand; ich zog mein Messer, öffnete es und hielt mich fertig.