Der Mann mit dem Mantel kam gerade auf mich zu; als er aber in dem entblößten Raume weiter vorschritt, glaubte ich zubemerken, daß er in der rechten Hand eine Waffe hielt; ich fürchtete nicht den Kampf, sondern das Mißlingen. Sobald er nur noch einige Schritte von mir entfernt war, erkannte ich, daß das, was ich für eine Waffe gehalten hatte, nichts anderes war, als ein Spaten. Ich hatte noch nicht erraten können, in welcher Absicht Herr von Villefort das Gerät trug, als er am Saume des Gebüsches stehenbliebund, nachdem er sich umgeschaut hatte, ein Loch in die Erde zu graben anfing. Nunbemerkte ich, daß er etwas in seinem Mantel trug, das er auf den Rasen legte, um in seinenBewegungen freier zu sein. Da mischte sich, muß ich gestehen, etwas Neugier in meinen Haß, ich wollte sehen, was Herr von Villefort tat, bliebunbeweglich, atemlos und wartete.
Es kam mir ein Gedanke, der sich auchbestätigte, als ich den Staatsanwalt ein kleines, etwa zwei Fuß langes und sechsbis acht Zollbreites Kistchen unter seinem Mantel hervorziehen sah, das er in das Loch legte, auf das er wieder Erde warf; diese frische Erdebearbeitete er sodann mit seinen Füßen, um die Spur seines nächtlichen Werkes verschwinden zu lassen. Hierauf warf ich mich auf ihn, stieß ihm mein Messer in dieBrust und sagte: Ichbin GiovanniBertuccio! Dein Tod für meinenBruder, dein Schatz für seine Witwe. Du siehst, meine Rache ist noch vollständiger als ich hoffte.
Ich weiß nicht, ober diese Worte hörte, ich glaube es nicht, denn er sank nieder, ohne einen Ton von sich zugeben; ich fühlte dasBlut heiß auf meine Hände und in mein Gesicht spritzen; aber ich war trunken, ich war wahnsinnig; diesesBlut erfrischte mich, statt mich zubrennen. In einer Sekunde hatte ich das Kistchen mit Hilfe des Spatens wieder ausgegraben; ich füllte das Loch wieder, warf den Spaten über die Mauer, eilte durch die Tür, schloß sie doppelt von außen und nahm den Schlüssel mit.
Gut, sagte Monte Christo, das war, scheint mir, ein Raubmord.
Nein, Exzellenz, erwiderteBertuccio, es war Vendetta, verbunden mit einer Wiedererstattung.
Sie fanden doch wenigstens eine runde Summe?
Ich lief an den Fluß und sprengte, begierig zu erfahren, was das Kistchen enthielt, das Schloß mit meinem Messer.
In eine Windel von seinemBattist war ein neugebornes Kind eingewickelt; sein purpurrotes Gesicht und seineblauen Hände deuteten an, daß es durch eine Schnur, die sich um seinen Hals geschlungen, erdrosselt war. Da es mir jedoch noch nicht ganz kalt zu sein schien, zögerte ich, das arme Geschöpf in das Wasser zu werfen; nach einem Augenblick glaubte ich in der Tat ein leichtes Schlagen in der Gegend des Herzens zu fühlen. Ichbefreite seinen Hals von der Schnur, und da ich als Krankenwärter im Hospital vonBastia gedient hatte, so tat ich, was ein Arzt unter solchen Umständen hätte tun können, das heißt, ichblies ihm kräftig Luft in die Lunge, und nach einer Viertelstunde unerhörter Anstrengung sah ich es atmen, und unmittelbar darauf hörte ich einen Schrei seinerBrust sich entwinden. — Ich stieß ebenfalls einen Schrei aus, aber einen Freudenschrei. Gott verflucht mich also nicht, sagte ich zu mir selbst, denn er gestattet mir, einem Menschen Leben zu geben, im Austausch für das Leben, das ich einem andern genommen habe.
Und was taten Sie mit diesem Kinde? fragte Monte Christo; es war ein ziemlichbeschwerliches Gepäck für einen Menschen, der fliehen mußte.
Ich hatte auch keinen Augenblick den Gedanken, es zubehalten. Doch ich wußte, daß es in Paris ein Hospiz gibt, wo man diese armen Geschöpfe aufnimmt. Als ich durch dieBarriere kam, gabich vor, ich hätte das Kind auf der Straße gefunden und erkundigte mich. Das Kistchen machte meine Aussage glaubwürdig! dieBattistwindeln deuteten an, daß das Kind reichen Eltern gehörte; dasBlut, mit dem ichbedeckt war, konnte ebensowohl von dem Kinde, als von irgend einem andern Wesen herrühren. Man machte keine Einwendung, bezeichnete mir das Hospiz, das ganz oben in der Rue l'Enfer lag, und nachdem ich aus Vorsicht die Windel so entzwei geschnitten hatte, daß einer von denbeidenBuchstaben, womit sie gezeichnet war, bei der Einhüllungblieb, während ich den andern an mich nahm, legte ich meineBürde in den Turm, läutete und entlief, so rasch ich nur immer vermochte. Vierzehn Tage nachher war ich wieder in Rogliano und sagte zu Assunta: Tröste dich, meine Schwester. Israel ist tot, aber ich habe ihn gerächt. Dabat sie mich um Erläuterung meiner Worte, und ich erzählte ihr alles, was vorgefallen war.
Giovanni, sagte Assunta, du hättest das Kind hierherbringen sollen; wir würden Elternstellebei ihm vertreten und ihm den NamenBenedetto gegeben haben, und Gott hätte uns für diese gute Handlung gesegnet.
Statt einer Antwort gabich ihr die Hälfte der Windel, die ichbehalten hatte, um das Kind eines Tages, wenn wir reicher wären, zurückzufordern.
Mit welchenBuchstaben war die Windel gezeichnet? fragte der Graf.
Mit einem H und N, und darüber eineBaronenkrone.
Fahren Sie fort! Ichbinbegierig, zu erfahren, was aus dem Kleinen geworden ist, und welches Verbrechens man Siebeschuldigte, als Sie einenBeichtiger verlangten und der AbbéBusoni Sie darauf im Gefängnis aufsuchte.
Bertuccio fuhr in seiner Erzählung fort: Halbum die Erinnerungen zu vertreiben, die michbeständig quälten, halbum dieBedürfnisse der armen Witwe zubestreiten, legte ich mich wieder mit allem Eifer auf das Schmugglerhandwerk. Dieses Gewerbe ist sehr einträglich, wenn man dabei mit einigem Verstand und Geschick zu Werke geht. Ich für meine Person lebte im Gebirge, denn ich hatte nun eine doppelte Ursache, die Gendarmen und Zöllner zu fürchten. Da ich tausendmal lieber getötet als verhaftet werden wollte, vollführte ich erstaunliche Dinge. Meine Unternehmungen wurden immer ausgedehnter und immer vorteilhafter. Assunta war eine gute Wirtschafterin, und unser kleines Vermögen rundete sich allmählich. Als ich eines Tages eine neue Wanderung antrat, sagte sie zu mir: Geh, bei deiner Rückkehrbereite ich dir eine Überraschung.
Mein Ausflug dauertebeinahe sechs Wochen; als ich zurückkam, war das erste, was ich erblickte, ein Kind von siebenbis acht Monaten, in einer im Verhältnis zu unserer sonstigen Ausstattung sehr kostbaren Wiege. Ich stieß einen Freudenschrei aus. Die einzigen traurigen Gedanken, die mich seit der Ermordung des Staatsanwaltes heimgesucht, waren durch das Verlassen des Kindes verursacht worden. Es versteht sich von selbst, daß ich inBeziehung auf den Mord selbst keine Gewissensbisse fühlte.
Die arme Assunta hatte alles erraten; sie hatte, um nichts zu vergessen, den Tag und die Stunde, wo das Kind im Hospiz niedergelegt worden war, genau aufgeschrieben und war, mit der Windel versehen, nach Paris gereist, um den Kleinen zurückzufordern. Man machte keine Einwendung, und sie erhielt das Kind.
Ah! ich gestehe, Herr Graf, als ich das arme Kind in seiner Wiege schlafend erblickte, dehnte sich meineBrust aus, und Tränen traten in meine Augen. In der Tat, Assunta, rief ich, dubist eine vortreffliche Frau, und die Vorsehung wird dich segnen.
Dies ist weniger Philosophie, sagte der Graf, als Glaube.
Ach! Exzellenz, sagteBertuccio, Sie haben ganz recht, gerade dieses Kind wählte Gott zum Werkzeug meinerBestrafung. Nie offenbarte sich früher eine verderbte Natur, und dennoch kann man nicht sagen, daß es schlecht erzogen wurde, denn meine Schwesterbehandelte es wie den Sohn eines Fürsten. Es war ein Knabe von reizender Gesichtsbildung, mit hellblauen Augen; nur verliehen die etwas feurigblonden Haare dem Gesichte des Jungen einen seltsamen Ausdruck, den die Lebhaftigkeit seines Auges und die Schlauheit seines Lächelns noch verstärkten. Nach dem Sprichwort sind die Roten entweder ganz gut oder ganzböse; dieses Sprichwort log nicht inBeziehung aufBenedetto; er zeigte sich schon von seiner frühesten Jugend ganzböse. Es ist nicht zu leugnen, daß die Sanftmut seiner Mutter seine ersten üblen Neigungen ungemeinbegünstigte; denn während meine arme Schwägerin auf den Markt der fünfbis sechs Stunden entlegenen Stadt ging, um die ersten Früchte und das wohlschmeckendste Zuckerwerk zu kaufen, zog der Knabe die Kastanien und Äpfel, die er dem Nachbar stahl, vor.