Eines Tages — Benedetto mochte etwa fünf Jahre alt sein — kam der Nachbar Wasilio, der nach, der Gewohnheit unsers Landes weder seineBörse, noch seine Schmucksachen verschloß — der Herr Graf weiß, daß es in Korsika keine Diebe gibt, — zu uns und klagte, es sei ein Louisd'or aus seinerBörse verschwunden. Man glaubte, er habe falsch gezählt; aber erbehauptete, seiner Sache gewiß zu sein. Benedetto hatte das Haus schon am Morgen verlassen, und wir gerieten in nicht geringe Unruhe, als wir ihn am Abend mit einem Affen zurückkehren sahen, den er gefesselt am Fuße einesBaumes gefunden zu haben vorgab. Seit einem Monat war es das leidenschaftliche Trachten des Kindes gewesen, einen Affen zubesitzen. Ein Gaukler, der durch Rogliano kam und mehrere solche Tierebesaß, deren Possen unsern Jungen sehr ergötzten, hatte ihm ohne Zweifel dieses unglückliche Verlangen eingeflößt.
Man findet in unsern Wäldern keinen Affen, sagte ich zu ihm, undbesonders keinen gefesselten Affen; gestehe mir also, wie du dir das Tier verschafft hast.
Benedettobeharrtebei seiner Lüge und gabnoch weitere nähere Umstände an, die mehr seiner Einbildungskraft, als seiner Wahrheitsliebe Ehre machten; ich ärgerte mich, er lachte; ich drohte, er zog sich ein paar Schritte zurück. — Du kannst mich nicht schlagen, sagte er, du hast nicht das Recht dazu, denn dubist nicht mein Vater.
Wir wußten gar nicht, wer ihm dieses unselige Geheimnis entdeckt hatte, das wir mit so großer Sorgfalt vor ihm verbargen. Aber die Antwort erschreckte mich so, daß mein aufgehobener Arm niederfiel, ohne den Schuldigen zuberühren. Das Kind triumphierte und wurde infolgedessen so unbändig, daß alles Geld Assuntas, deren Liebe zu ihm immer mehr zuzunehmen schien, je weniger er derselben würdig war, für tolle Launen des Knaben, die sie nicht zubekämpfen vermochte, daraufging. Wenn ich in Rogliano war, ging es noch erträglich; aber sobald ich abreiste, warBenedetto Meister im Hause, und einböser Streich folgte dem andern. Kaum elf Jahre alt, wählte er seine Kameraden unter den jungen Leuten von achtzehn und neunzehn Jahren, den schlimmstenBurschen vonBastia und Corte, undbereits hatte uns das Gericht Warnungen zugehen lassen.
Es wurde mirbange; jede Untersuchung konnte verhängnisvolle Folgen nach sich ziehen, und ich sollte eben einer wichtigen Expedition halber Korsika für einige Zeit verlassen. Ich sann lange nach undbeschloß, um ein Unglück zu vermeiden, Benedetto mit mir zu nehmen. Ich hoffte, das tätige harte Leben eines Schmugglers, die strenge Disziplin anBord würden ihm, der sonst unrettbar verloren schien, gut tun. Ich nahm ihn alsobeiseite und machte ihm den Vorschlag, mir zu folgen, wobei ich ihm alles Mögliche versprach, was ein Kind von zwölf Jahren locken kann.
Er ließ mich reden, ohne mich zu unterbrechen. Als ich aber zu Ende war, schlug er ein Gelächter an und rief: Seid Ihr ein Narr, Oheim? — so nannte er mich, wenn er guter Laune war — Ich soll das Leben, das ich führe, meinen schönen Müßiggang, gegen die schauderhafte Arbeit vertauschen, die Ihr tut? Ich soll die Nacht in der Kälte, den Tag in der Hitze zubringen, mich fortwährend verbergen, oder, wenn ich mich zeige, Flintenschüsse kriegen, und dies alles, um ein wenig Gold zu gewinnen? Geld habe ich, soviel ich will; Mutter Assunta gibt mir, so oft ich von ihr fordere. Ihr seht also, daß ich dumm wäre, wenn ich Euern Vorschlag annähme.
Während ich noch ganz starr vor Staunen über diese Worte war, kehrte er zu seinen Kameraden zurück, und ich sah von ferne, wie er mich ihnen gegenüber für einen Dummkopf erklärte.
Ein reizendes Kind! murmelte Monte Christo.
Oh! wenn er mir gehört hätte, sagteBertuccio, wenn er mein Sohn oder wenigstens mein Neffe gewesen wäre, so würde ich ihn auf den rechten Pfad zurückgeführt haben, denn das gute Gewissen verleiht Stärke. Aber der Gedanke, daß ich ein Kind schlagen sollte, dessen Vater ich getötet hatte, machte es mir unmöglich, ihn zu züchtigen. Ich gabmeiner Schwester, die den Jungen stets verteidigte, gute Ratschläge, und da sie mir gestand, es hätten ihr wiederholt größere Summen gefehlt, sobezeichnete ich ihr einen Ort, wo sie unsern kleinen Schatz verbergen könnte. Mein Entschluß war gefaßt: Benedetto konnte vortrefflich lesen, schreiben und rechnen, denn wenn er sich zufällig zur Arbeit herbeiließ, so lernte er in einem Tag so viel, wie andere in einer Woche. Mein Entschluß, sage ich, war gefaßt; ich wollte ihn als Schreiber auf irgend einem zu langen Seefahrtenbestimmten Schiffe unterbringen und, ohne ihn zuvor in Kenntnis zu setzen, an einem schönen Morgen nehmen und anBord schaffen lassen. War er dem Kapitän gehörig empfohlen, so hing seine Zukunft nur von ihm ab. Sobald dieser Plan festgestellt war, brach ich nach Frankreich auf. Alle unsere Operationen sollten diesmal im Golf von Lyon ausgeführt werden; die Unternehmungen wurden aber immer schwieriger, denn der Küstendienst war strenger geworden, als je. Anfänglich ging alles vortrefflich. Wirbanden unsereBarke, die einen doppeltenBoden hatte, worin wir unsere Waren verbargen, mitten unter einer Anzahl von Schiffen an, die an denbeiden Ufern der Rhone vonBeaucairebis Arles lagen. Hierbegannen wir nächtlicherweile unsere verbotenen Waren auszuschiffen und durch die Vermittlung von Leuten, die mit uns in Verbindung standen, oder mit Hilfe der Wirte, bei denen wir unsere Niederlagen hatten, in die Stadt zu schaffen. Mag es nun sein, daß uns das Glück unvorsichtig gemacht hatte, oder waren wir verraten: eines Abends gegen fünf Uhr, als wir eben unser Vesper verzehren wollten, lief unser Schiffsjunge ganz erschrocken herbei und sagte, er habe eine Abteilung Zollbeamter auf unser Schiff zukommen sehen. In einem Augenblick waren wir auf denBeinen, aber es war schon zu spät, man hattebereits unsereBarke umzingelt. Unter den Zöllnernbemerkte ich auch einige Gendarmen, und durch diesen Anblick erschreckt, stieg ich in den Schiffsraum hinab, schlüpfte durch eine Stückpforte und ließ mich in den Fluß fallen; dann schwamm ich unter dem Wasser, schöpfte nur nach laugen Zwischenräumen Atem und erreichte, ohne gesehen zu werden, einen kurz zuvor angelegten Graben, durch den die Rhone mit dem Kanal in Verbindung steht, der vonBeaucaire nach Aigues‑Mortes führt. Nun war ich gerettet, denn ich konnte dem Graben folgen, ohne gesehen zu werden. Ungehindert kam ich in den Kanal. Diesen Weg hatte ich auch deshalbgewählt, weil ich denBesitzer eines kleinen Gasthofs auf der Straße vonBellegarde nachBeaucaire kannte.
Wie hieß dieser? fragte der Graf, der wieder einiges Interesse an der ErzählungBertuccios zu nehmen schien.
Er hieß Gaspard Caderousse und war mit einer Frau verheiratet, die am Sumpffieber hinsiechte. Der Mann dagegen war ein kräftigerBursche, der uns mehr als einmal unter schwierigen UmständenBeweise von Geistesgegenwart und Mut gegeben hatte.
Und Sie sagen, fragte der Graf, diese Dinge seien vorgefallen im Jahre…
Am 3. Juni 1829 abends.
Ah! sagte Monte Christo, am 3. Juni 1829?… Gut, fahren Sie fort.
Bei Caderousse gedachte ich also eine Zufluchtsstätte zu finden. Da wir aber gewöhnlich nicht durch die Tür, die nach der Straße führte, bei ihm eintraten, so stieg ich über die Gartenhecke und erreichte, in derBesorgnis, Caderousse könnte einen Reisenden im Hause haben, eine Art Schuppen, worin ich wiederholt die Nacht zugebracht hatte. Dieser Schuppen war von der Gaststube im Erdgeschoß nur durch einenBretterverschlag getrennt, in dem man Öffnungen gemacht hatte, damit wir im geeigneten Augenblick unsre Anwesenheit anmelden könnten. Ich gedachte, Caderousse, wenn er allein wäre, von meiner Ankunft in Kenntnis zu setzen, schlich mich also unter den Schuppen und tat Wohl daran, denn in demselben Augenblick kam Caderousse mit einem Unbekannten nach Hause. Ich hielt mich still und wartete, nicht um die Geheimnisse meines Wirtes zubelauschen, sondern weil ich nicht anders konnte.