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Als er sich erhob, beleuchtete einBlitz den weiten Raum. Bei dessen Schimmer sah Dantes zwischen der Insel Lemaire und dem Cap Croiselle, eine Viertelstunde entfernt, ein kleines Fischerfahrzeug erscheinen, das zugleich vom Sturme und der Woge fortgerissen wurde. Eine Sekunde nachher erschien das Schiff, mit furchtbarer Geschwindigkeit sich nähernd, auf dem Gipfel einer zweiten Welle. Gleichzeitig vernahm er ein furchtbares Krachen, und Todesgeschrei erreichte sein Ohr. Dann versank alles in Nacht. Nach und nach legte sich der Wind, der Himmel wälzte gegen Westen große graue Wolken; die dunkle Himmelsbläue erschien wieder mit Sternen, die heller funkelten als je; bald zeigte gegen Osten ein langer rötlicher Streifen am Horizont das Nahen des Morgens.

Dantesbliebunbeweglich und stumm vor diesem großen Schauspiel, als erblickte er es zum ersten Male — er hatte es in der Tat seit der Zeit, daß er im Kastell If war, nicht wieder gesehen. Es mochte ungefähr fünf Uhr sein, und das Meerberuhigte sich immer mehr. In zweibis drei Stunden, sagte Edmond zu sich selbst, wird der Schließer in mein Zimmer kommen, den Leichnam meines armen Freundes finden, ihn erkennen, mich vergebens suchen und Lärm machen. Dann wird man das Loch in der Wand finden; man wird die Menschenbefragen, die mich ins Meer schleuderten und die den Schrei, den ich ausstieß, hören mußten. Sobald dieBarken mitbewaffneten Soldaten gefüllt sind, werden sie dem unglücklichen Flüchtling nachsetzen, da man wohl weiß, daß er nicht fern sein kann. Die Kanone wird der ganzen Küste Nachricht geben, daß man einem Menschen, der nackt und ausgehungert umherirrt, keine Zufluchtsstätte geben soll. Was soll dann aus mir werden? Ich hungere, ich friere, ich habe alles, selbst das rettende Messer, das mir im Schwimmen hinderlich war, weggeworfen; ichbin der Gnade des nächstenBauern preisgegeben, der durch meine Auslieferung zwanzig Franken verdienen möchte; ichbesitze weder Kraft, noch einen Gedanken, noch Entschlossenheit mehr.

In dem Augenblick, wo Edmond in völliger geistiger wie körperlicher Erschöpfung seinenBlick angstvoll dem Schlosse If zuwendete, sah er an der Spitze der Insel Pomègue ein lateinisches Segel vom Horizont sich abheben und ein kleines Fahrzeug erscheinen, in dem nur das Auge eines Seemanns eine genuesische Tartane auf der noch dunkeln Linie des Meeres zu erkennen vermochte. Sie kam aus dem Marseiller Hafen und gewann das offene Meer.

Oh! rief Edmond, wenn ichbedenke, daß ich in einer halben Stunde dieses Schiff erreichen könnte, befürchtete ich nicht, als Flüchtling erkannt und nach Marseille zurückgeführt zu werden! Was soll ich tun? Was soll ich sagen? Welche Fabel soll ich erfinden, mit der ich Glauben fände? Meist sind das Schleichhändler, halbe Piraten. Unter dem Vorwande der Küstenschiffahrt treiben sie Seeräuberei; sie werden mich lieber verkaufen als eine für sie nutzlose, wenn auch gute Handlung ausführen. Ich will warten… Doch das Warten ist etwas Unmögliches; ich sterbe vor Hunger, in ein paar Stunden wird das Wenige, was mir von Kraft übrig geblieben ist, vollends verschwunden sein. Überdies naht die Stunde desBesuchs, man hat noch nicht Lärm gemacht. Vielleicht haben die Leute keinen Argwohn; ich kann mich für einen von den Matrosen des kleinen Schiffes ausgeben, das in der Nacht gescheitert ist. Das klingt nicht unwahrscheinlich; keiner wird zurückkehren, um mir zu widersprechen, denn das Meer hat sie alle verschlungen.

Während Dantes diese Worte sprach, wandte er die Augen nach der Stelle, wo das kleine Schiff zerschellt war, und erbebte. Am Rande eines Felsens war die phrygische Mütze eines der schiffbrüchigen Matrosen hängen geblieben, und nahe dabei schwammen einige Trümmer des Kiels, trägeBalken, die das Meer an den Fuß der Insel warf. Dantes' Entschluß war auf der Stelle gefaßt, erbedeckte sich den Kopf mit der Mütze, warf sich in die See, ergriff einen von denBalken und wandte sich, um in die Fahrtlinie des Schiffes zu gelangen.

Nunbin ich gerettet, murmelte er.

Indessen näherten sich Schiff und Schwimmer einander unmerklich. Da erhobsich Dantes aus den Wellen undbewegte seine Mütze als Notzeichen, aber niemandbemerkte ihn auf dem Schiffe. Er wollte rufen, erkannte jedoch, als er mit dem Auge die Entfernung maß, daß seine Stimme nichtbis zum Schiffe gelangen konnte. Er wünschte sich nun Glück, daß er so vorsichtig gewesen war, sich auf einemBalken auszustrecken. Geschwächt, wie er war, hätte er sich vielleicht nicht auf dem Meere halten können, bis er die Tartane erreicht hatte; und fuhr die Tartane vorüber, ohne ihn zu sehen, so wäre er nicht im stande gewesen, die Küste zu gewinnen. Obgleich des Wegesbeinahe gewiß, den das Schiff verfolgte, begleitete es Dantes doch angstvoll mit seinen Augenbis zu der Minute, wo es nur noch einige hundert Meter entfernt war. Sogleich erhober sich nun mit äußerster Anstrengung, daß erbeinahe auf dem Wasser stand, bewegte seine Mütze in der Luft und schrie laut um Hilfe.

Diesmal hörte und sah man ihn. Die Tartane unterbrach ihren Lauf und drehte nach seiner Seite; zu gleicher Zeitbemerkte er, daß man eine Schaluppe ins Meer ließ. Einen Augenblick nachher steuerte die Schaluppe, mit zwei Matrosenbemannt, auf ihn zu. Dantes ließ nun denBalken los, dessen er nicht mehr zubedürfen glaubte, und schwamm kräftig, um denen, die ihm entgegenkamen, den halben Weg zu ersparen. Der Schwimmer hatte indessen seinen Kräften zuviel zugemutet, seine Arme fingen an, steif zu werden, seineBeine hatten ihreBiegsamkeit verloren, seineBewegungen wurden hart, seineBrust keuchte. Er stieß einen zweiten Schrei aus, die Ruderer verdoppelten ihre Tätigkeit, und einer von ihnen rief ihm italienisch» Mut!«zu. Das Wort drang in dem Augenblick zu ihm, als eine Woge, die er zu überwältigen nicht mehr Kraft hatte, über seinen Kopf hinging und ihn mit Schaumbedeckte.

Er erschien wieder, stieß einen dritten Schrei aus und fühlte, wie er untersank, als hätte er noch die tödliche Kugel am Fuße. Das Wasser ging über seinen Kopf, und durch die Wellen sah er denbleifarbigen Himmel mit schwarzen Flecken. Ein gewaltiger Ruckbrachte ihn auf die Oberfläche zurück. Es kam ihm vor, als obman ihnbei den Haaren faßte, dann sah und hörte er nichts mehr; er war ohnmächtig. Als er die Augen wieder öffnete, lag er auf dem Verdeck der Tartane Amalie, die ihren Weg fortsetzte. Er achtete vor allem auf die Richtung, die sie verfolgte; man entfernte sich immer mehr vom Schlosse If.

Dantes war so erschöpft, daß der Ausruf der Freude, den er von sich gab, für einen Schmerzensseufzer gehalten wurde; ein Matrose riebihm die Glieder mit einer wollenen Decke; ein anderer schobihm die Mündung einer Kürbisflasche durch die Lippen; ein dritter, ein alter Seemann, der zugleich der Patron war, schaute ihn mitleidig an. Einige Tropfen Rum aus der Flaschebelebten den geschwächten Magen des jungen Mannes, während die Reibungen, die der vor ihm knieende Matrose mit der Wolldecke an seinem Körper fortsetzte, seinen Gliedern wieder Geschmeidigkeit verliehen.

Wer seid Ihr? fragte in schlechtem Französisch der Patron.