Ichbin ein maltesischer Matrose, antwortete Dantes in schlechtem Italienisch; wir kommen von Syrakus und hatten Wein geladen. Der Sturm heute nacht überfiel unsbei Kap Morgiou, und wir scheiterten an den Felsen, die ihr dort seht; ich klammerte mich glücklicherweise daran an, während sich unser armer Kapitän den Kopf zerschellte. Ichbin, glaube ich, allein am Leben geblieben; ich sah euer Schiff, befürchtete, zu lange auf der einsamen Insel warten zu müssen, und suchte auf einem Trümmerstück unseres Fahrzeuges zu euch zu gelangen. Ich denke, daß ihr mir das Leben gerettet habt; ich wäre verloren gewesen, wenn mich nicht einer von euchbei den Haaren gefaßt hätte.
Das war ich, sagte ein Matrose mit treuherzigem, von einem langen schwarzenBarte umrahmten Gesichte, und es war Zeit, denn Ihr sankt unter.
Ja, sagte Dantes, ihm die Hand reichend, ja, mein Freund, und ich danke Euch zum zweitenmale.
Meiner Treu! versetzte der Matrose, ich zögerte fast; mit Eurem sechs Zoll langenBarte und Euren fußlangen Haaren sahet Ihr eher aus wie ein Räuber, als wie ein ehrlicher Mann.
Dantes erinnerte sich nunmehr, daß er sich seit seinem Aufenthalt im Schlosse If weder die Haare geschnitten noch rasiert hatte.
Ja, sagte er, ich habe in einem Augenblick der Gefahr der heiligen Jungfrau ein Gelübde getan, mir zehn Jahre lang weder die Haare noch denBart zu schneiden.
Was sollen wir nun mit Euch machen? fragte der Patron.
Ach! was Ihr wollt. Die Feluke, zu der ich gehörte, ist verloren, der Kapitän ist tot. Ichbin demselben Schicksale entgangen, aber wie Ihr seht, völlig nackt. Zum Glück versteh' ich das Schifferhandwerk. Setzt mich im nächstenbesten Hafen ab, wo Ihr vor Anker geht, und ich werde auf einem HandelsschiffeBeschäftigung finden.
Ihr kennt das mittelländische Meer?
Ich fahre darauf seit meiner Kindheit.
Ihr wißt, wo gute Ankerplätze zu finden sind?
Es gibt wenige Häfen, selbst unter den schwierigsten, wo ich nicht mit geschlossenen Augen aus- und einfahren könnte.
Sagt, Patron, sagte der Matrose, der Dantes Mut zugerufen hatte, warum soll der Kamerad nichtbei unsbleiben, wenn er die Wahrheit spricht?
Ja, wenn er die Wahrheit spricht, erwiderte der Patron mit einer Miene des Zweifels; aber in dem Zustande, in dem sich der arme Teufelbefindet, verspricht man viel und hält dann eben gerade, was man kann.
Ich werde mehr halten, als ich versprochen habe.
Oh! oh! rief der Patron lachend, wir werden sehen.
Wann Ihr wollt, sagte Dantes aufstehend. Wohin fahrt Ihr?
Nach Livorno.
Warum preßt Ihr nicht, statt Schläge zu tun, wobei Ihr eine kostbare Zeit verliert, ganz einfach den Wind so fest als möglich?
Weil wir gerade auf die Insel Rion zulaufen würden.
Ihr kommt auf mehr als zwanzig Faden daran vorbei.
So nehmt das Steuerruder, sagte der Patron, und wir werdenbald sehen, was Ihr versteht.
Der junge Mann setzte sich an das Steuerruder, überzeugte sich durch einen leichten Druck, daß das Schiff gehorsam war, und rief: An dieBrassen undBoleinen.
Die vier Matrosen, welche die Mannschaftbildeten, liefen an ihre Posten, während ihnen der Patron zuschaute.
Holt an! fuhr Dantes fort.
DieserBefehl wurde ausgeführt, und statt mit Schlägen fortzulaufen, rückte das kleine Schiff gegen die Insel Rion vor, an der es, wie Dantes vorhergesagt hatte, vorüberkam, indem es dieselbe zwanzig Faden vom Steuerbord ließ.
Bravo! riefen der Kapitän und die Matrosen.
Und alle schauten verwundert diesen Mann an, dessenBlick wieder eine Energie und dessen Körper wieder eine Kraft erfüllte, die keiner in ihnen vermutet hatte.
Ihr seht, sagte Dantes, das Steuerruder loslassend, daß ich Euch auf der Fahrt wenigstens zu etwas nütze sein könnte; wollt Ihr mich in Livorno nichtbehalten, nun, so laßt Ihr mich dort, und von meinen ersten Monaten Sold entschädige ich Euch für meine Kostbis dahin und für die Kleider, die Ihr mir leiht.
Gut! gut! versetzte der Patron. Die Sache läßt sich machen, wenn Ihr nicht zu viel verlangt; doch nun, Jacopo, gebt dem Manne Kleider!
Der Matrose, der Dantes das Leben gerettet hatte, schlüpfte durch die Luke hinabund kam in einem Augenblick mit Hemd und Hose zurück, die Dantes mit unbeschreiblicher Freude anzog.
Braucht Ihr noch etwas? fragte der Patron.
Ein StückBrot und noch einen Schluck von dem vortrefflichen Rum, den ich gekostet, denn ich habe lange nichts zu mir genommen.
Manbrachte Dantes ein StückBrot, und Jacopo reichte ihm die Flasche.
Halt, fragte der Patron, was ist im Kastell If los?
Eine kleine weiße Wolke war soeben an der südlichenBastei des Kastells sichtbar geworden, und eine Sekunde nachher erstarbder Lärm eines entfernten Knalles anBord der Tartane. Die Matrosen schauten einander an.
Es wird ein Gefangener in dieser Nacht entwichen sein, und man feuert die Lärmkanone ab, sagte Dantes.
Der Patron warf dem jungen Mann, der die Kürbisflasche an den Mund gesetzt hatte, einen prüfendenBlick zu; aber er sah ihn den Trank mit solcher Ruhe schlürfen, daß er keinen Verdacht hegte.
Euer Rum ist teufelmäßig stark, sagte Dantes, mit dem Hemdärmel seine von Schweiß triefende Stirn abtrocknend.
Ist er es, murmelte der Kapitän, ihn anschauend, destobesser, ich habe in jedem Fall einen tüchtigen Mannbekommen.
Unter dem Vorwande der Müdigkeitbat Dantes, sich ans Steuerruder setzen zu dürfen. Sehr erfreut, seiner Funktionen überhoben zu sein, fragte der Ruderführer den Patron mit dem Auge, und dieserbedeutete ihm durch ein Zeichen, er könne den Helmstock seinem neuen Gefährten übergeben.
Den wievielten haben wir? fragte Dantes Jacopo, der sich zu ihm gesetzt hatte.
Den 28. Februar, antwortete dieser.
Und welches Jahr? fragte Dantes.
Welches Jahr? Ihr fragt, welches Jahr wir haben?
Was wollt Ihr, sagte Dantes, ich habe diese Nacht eine solche Angst ausgestanden, daß mein Gedächtnis noch völlig gestört ist.
Das Jahr 1829, sagte Jacopo.
Es waren auf den Tag vierzehn Jahre, daß man Dantes verhaftet hatte. Mit neunzehn Jahren war er in das Kastell If gekommen, und er verließ es mit dreiunddreißig Jahren. Ein schmerzliches Lächeln zog über seine Lippen hin; er fragte sich, was aus Mercedes während dieser Zeit, wo sie ihn hatte für tot halten müssen, geworden sei. Dann entzündete sich einBlitz des Hasses in seinen Augen, indem er an die drei Menschen dachte, denen er eine so lange und grausame Gefangenschaft zu verdanken hatte, und er erneuerte gegen Danglars, Fernand und Villefort den Schwur unversöhnlicher Rache, den er im Gefängnis geleistet hatte; und sein Schwur war jetzt keine leere Drohung mehr, denn zu dieser Stunde hätte derbeste Schnellsegler im Mittelländischen Meer sicherlich die kleine Tartane nicht mehr einholen können, die mit voller Kraft nach Livorno fuhr.
Die Schmuggler
Dantes war noch keinen Tag anBord, als erbereits wußte, mit wem er es zu tun hatte, erbefand sich anBord eines Schmugglerschiffes. Der Patron hatte ihn auch anfangs mit einem gewissen Mißtrauen aufgenommen; er war allen Zollbeamten der Küste sehr wohlbekannt, und da zwischen diesen Herren und ihm selbst einbeständiger Wettkampf in Listen stattfand, so meinte er zuerst, Dantes sei nichts als ein Zollspion. Die glänzende Art und Weise jedoch, wie Dantes aus der Prüfung hervorgegangen war, hatte ihn völlig von dessen Vertrauenswürdigkeit überzeugt. Als er sodann den leichten Rauch über derBastei des Kastells If schweben sah, dachte er einen Augenblick, er hätte einen von denen anBord genommen, denen man, wie den Königenbei ihren Ein- und Auszügen, bei ihrem Ausrücken die Ehre des Kanonierens zuteil werden ließ. Diesbeunruhigte ihn schon weniger, als wenn der Ankömmling ein Zöllner gewesen wäre; doch die zweite Mutmaßung verschwandbald wie die erste angesichts der vollkommenen Ruhe seines Rekruten.