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Edmondbetrachtete sie einen Augenblick mit dem sanften, traurigen Lächeln des überlegenen Mannes und sagte: In zwei Stunden werden diese Leute, fünfzig Piaster reicher, wieder abfahren und ihr Leben an den Versuch setzen, weitere fünfzig Piaster zu verdienen; dann werden sie mit sechshundert Livres in derBörse zurückkehren und diesen Schatz mit dem Stolze eines Sultans und demBewußtsein eines Nabobs verschleudern. Meine Hoffnung läßt mich heute ihren Reichtum verachten, der mir das tiefste Elend zu sein scheint; morgen wird mich die getäuschte Hoffnung vielleicht nötigen, dieses tiefe Elend als das höchste Glück zubetrachten… Oh, nein! rief Edmond, das wird nicht der Fall sein, der unfehlbare Faria wird sich nicht in dieser einzigen Sache getäuscht haben. Überdies wäre esbesser zu sterben, als dieses erbärmliche Leben zu führen. So genügte Dantes, der drei Monate zuvor nur nach der Freiheit schmachtete, diese Freiheit schon nicht mehr, und seine ganze Sehnsucht war auf den Reichtum gerichtet.

Einem zwischen zwei Felsmauern verlorenen, wahrscheinlich durch Sturzbäche ausgehöhlten Wege folgend, den ohne Zweifel noch kein menschlicher Fußbetreten hatte, näherte sich Dantes immer mehr dem Orte, wo seiner Vermutung nach die Grottenbestanden haben mußten. Während er am Meeresstrande fortwanderte und alles mit peinlichster Aufmerksamkeit prüfte, glaubte er an einzelnen Felsen von der Hand des Menschen herrührende Einkerbungen zubemerken.

Die Zeit schien diese Zeichen verschont zu haben, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit und ohne Zweifel in der Absicht, eine Spur anzudeuten, gemacht waren. Von Zeit zu Zeit verschwanden jedoch die Zeichen unter Myrtensträuchern, die sich in großen, mitBlütenbedecktenBüschen ausbreiteten, oder unter Schmarotzerpflanzen. Dann mußte Edmond die Zweige auf die Seite schieben oder die Moose aufheben, um die Merkmale zu finden, die ihn in diesem Labyrinthe leiteten. Diese Zeichen hatten übrigens Edmond frohe Hoffnung verliehen. Warum sollte sie nicht der Kardinal gemacht haben, damit sie im Falle einer Katastrophe, die er nicht hatte voraussehen können, seinem Neffen als Führer dienten? Der einsame Ort mußte wohl einem Manne zusagen, der einen Schatz vergraben wollte. Doch hatten die ungetreuen Zeichen nicht auch andere Augen angezogen, als die, für welche siebestimmt waren, oder hatte die Insel mit den düsteren Wundern ihr herrliches Geheimnis treubewahrt?

Ungefähr sechzig Schritte vom Hafen kam es indessen Edmond, der durch die Gestalt desBodens seinen Gefährten stets verborgen war, vor, als obdie Wegzeichen aufhörten, ohne daß sie jedoch in eine Grotte mündeten. Ein großer, runder, auf fester Grundlage ruhender Fels war das einzige Ziel, nach dem sie zu führen schienen. Edmond dachte, statt das Ziel erreicht zu haben, sei er vielleicht erst am Anfang; er kehrte daher wieder auf seinen Spuren zurück. Während dieser Zeitbereiteten seine Gefährten das Frühstück, schöpften Wasser an der Quelle, brachtenBrot und Früchte ans Land und ließen die junge Ziegebraten. Gerade als sie diese von dem selbstgeschnitztenBratspieß zogen, gewahrten sie Edmond, der, leicht und verwegen wie eine Gemse, von Fels zu Fels sprang; sie feuerten eine Flinte ab, um ihm das Signal zu geben. Der Jäger veränderte sogleich die Richtung undbeeilte sich, zu ihnen zurückzulaufen. Aber in der Sekunde, wo alle mit den Augen seinem Laufe folgten, wobei ihnen seine Gewandtheit als Verwegenheit erschien, glitt Edmond aus, als hätte er es darauf abgesehen, ihreBefürchtungen zu rechtfertigen; er strauchelte, stieß einen Schrei aus und verschwand.

Alle sprangen gleichzeitig auf, denn alle liebten Edmond; Jacopo kam zuerst an Ort und Stelle. Er fand den Gesuchtenblutend und fastbewußtlos daliegend; der Arme war von einer Höhe von fünfzehn Fuß herabgerollt. Nachdem man ihm einige Tropfen Rum eingeflößt hatte, schlug er die Augen wieder auf undbeklagte sich über heftigen Schmerz am Knie, über große Schwere des Kopfes und über unerträgliche Stiche in den Lenden. Man wollte ihn ans Gestadebringen; als man ihn aberberührte, erklärte er seufzend, er fühle sich nicht kräftig genug, den Transport zu ertragen. Erbehauptete, erbrauche für sich nur ein wenig Ruhe, und forderte seine Kameraden auf, zu ihrem Frühstück zurückzukehren. Die Matrosen ließen sich nicht zu sehrbitten, sie hatten Hunger, der Geruch der jungen Ziege drangbis zu ihnen, und unter Seebären ist man nicht sehr förmlich.

Nach einer Stunde kamen sie zurück. Edmond hatte sich inzwischen nur durch einen Raum von etwa zehn Schritten schleppen können und sich dort an einen moosigen Felsen gelehnt. Die Schmerzen hatten noch an Heftigkeit zugenommen. Da er seine Ladung am Morgen zwischen Piemont und Frankreich, zwischen Nizza und Frejus niederlegen mußte, forderte der alte Patron Dantes dringend auf, er möge sich zu erheben versuchen. Dantes machte übermenschliche Anstrengungen, um dieser Aufforderung zu entsprechen; dochbei jedem Versuche fiel er klagend und erbleichend zurück.

Er hat die Lenden gebrochen, sagte ganz leise der Patron; gleichviel, er ist ein guter Kamerad, und wir dürfen ihn nicht verlassen; versuchen wir es, ihn auf die Tartane zu schaffen!

Aber Dantes erklärte, daß er lieber auf der Stelle sterben wolle, als die grausamen Schmerzen ertragen, die ihm jede, auch die geringsteBewegung mache.

Gut, sagte der Patron, komme, was da will! Man soll nicht sagen, daß wir einenbraven Kameraden, wie Ihr seid, ohne Hilfe gelassen haben. Wirbrechen erst heute abend auf.

Dieser Entschluß setzte die Matrosen sehr in Erstaunen, aber keiner von ihnenbekämpfte ihn, im Gegenteil. Der Patron war ein so strenger Mann, daß man ihnbei dieser Veranlassung zum erstenmale auf ein Unternehmen Verzicht leisten, oder dessen Ausführung verzögern sah. Dantes wollte auch nicht leiden, daß man um seinetwillen die anBord herrschende strenge Disziplin durchbreche.

Nein, sagte er zu dem Patron, ich war ungeschickt, und es istbillig, daß ich die Strafe für meine Ungeschicklichkeit erdulde. Laßt mir ein wenig Vorrat an Zwieback, eine Flinte, Pulver undBlei, um Ziegen zu erlegen oder um mich zu verteidigen, und eine Hacke, um mir, wenn Ihr mich zu lange hier laßt, eine Art Obdach herzurichten.

Aber du wirst Hungers sterben, erwiderte der Patron.

Lieber dies, sagte Edmond, als die unerhörten Schmerzen ertragen, die mir die geringsteBewegung verursacht.

Der Patron kehrte sich nach dem Schiffe um, das sich, bereit in die See zu gehen, in dem kleinen Hafen schaukelte.

Was sollen wir denn tun, Malteser? sagte er. Wir können dich nicht so verlassen und können doch auch nicht hierbleiben.

Geht! geht! rief Dantes.

Wir sind wenigstens acht Tage abwesend, entgegnete der Patron, und wir müssen auch von unserm Wege abgehen, um dich zu holen.

Hört, sagte Dantes, wenn Ihr in zweibis drei Tagen von jetzt an irgend ein Fischerboot oder ein anderes Fahrzeug trefft, das in diese Gegend kommt, so empfehlt ihm an, mich zu holen; ichbezahle fünfundzwanzig Piaster für die Rückfahrt nach Livorno. Findet Ihr keins, so kommt selbst.

Der Patron schüttelte den Kopf.