Hört, PatronBaldi, es gibt ein Mittel, alles ins reine zubringen, sagte Jacopo; geht Ihr, und ichbleibebei dem Verwundeten, um ihn zu pflegen.
Und du leistest auf deinen Anteil am Gewinn Verzicht, umbei mir zubleiben? sprach Edmond.
Ja, sehr gern.
Dubist einbraverBursche, Jacopo, rief Edmond, und Gott wird dich für deinen guten Willenbelohnen; aber ichbrauche niemand und danke dir; ein oder zwei Tage Ruhe werden mich wieder herstellen, und ich hoffe, an diesen Felsen Kräuter zu finden, die für Quetschungen vortrefflich sind.
Ein seltsames Lächeln zog über Dantes' Lippen; er drückte Jacopo freundschaftlich die Hand, war aber unerschütterlich in seinem Entschlusse, allein zubleiben. Die Schmuggler ließen Edmond Proviant und was er sonst verlangt hatte, zurück und entfernten sich sodann, wobei sie sich wiederholt umwandten und ihm freundschaftliche Zeichen machten, die Edmond nur mit der Hand erwiderte, da er den übrigen Körper nichtbewegen konnte. Als sie verschwunden waren, murmelte er lachend: Es ist sonderbar, daß man unter solchen MenschenBeweise von Freundschaft und Handlungen treuer Ergebenheit findet.
Dann schleppte er sich vorsichtigbis auf die Spitze eines Felsens, der ihm den Anblick des Meeres gewährte, und sah von hier aus die Tartane ihre Zurüstung vollenden, die Anker lichten, sich anmutig wiegen wie eine Möve, die sich soeben zum Fluge anschickt, und abfahren. Nach Verlauf einer Stunde war sie völlig verschwunden; wenigstens wurde es auf der Stelle, wo der Verwundete weilte, unmöglich, sie zu sehen.
Dann erhobsich Dantes, geschmeidiger und leichter als eine junge Ziege, unter den Myrten und Mastixstauden auf dem wilden Gestein, nahm seine Flinte in eine Hand, seine Hacke in die andere und eilte nach dem Felsen, auf den die Kerben hinführten, die er zuvor wahrgenommen hatte.
Und nun, rief er, indem er sich der Geschichte des arabischen Fischers erinnerte, die ihm Faria erzählt hatte, nun öffne dich, Sesam!
ZweiterBand
Der Schatz
Die Sonne hatte ungefähr ein Drittel ihres Tageslaufes zurückgelegt, und ihre Strahlen fielen warm undbelebend auf die Felsen. Tausende von Grillen ließen im Heidekraut ihr eintöniges, unablässiges Zirpen vernehmen, und in der Ferne sah man auf den Felsen wilde Ziegen springen, die zuweilen einen Jäger auf die Insel locken; mit einem Worte, das Eiland war voll Leben. Dennoch fühlte sich Edmond allein in Gottes Hand, und es erfaßte ihn etwas wie Furcht. Dieses Gefühl war so stark, daß er, als er zur Arbeit schreiten wollte, innehielt, seine Hacke niederlegte, die Flinte wieder aufnahm, zum letztenmal den höchsten Felsen der Insel erstieg und einen weitenBlick über seine Umgebung warf. Alles, was er sah, beruhigte ihn; dieBrigantine, diebei Tagesanbruch die Anker gelichtet hatte, war am Horizont verschwunden, die Tartane fuhr in entgegengesetzter Richtung an Korsika hin. Er faßte nun seine nähere Umgebung ins Auge. Kein Mensch war auf der Insel sichtbar, keineBarke an ihrem Gestade, nichts als das azurblaue Meer, das den Strand peitschte. Dann stieg er mit raschen Schritten, aber vorsichtig hinab; er hütete sich ängstlich vor einem Unfall, wie er ihn so geschickt und erfolgreich seinen Gefährten vorgetäuscht hatte.
Dantes war, wie gesagt, den Spuren der in den Felsen gehauenen Zeichen rückwärts gefolgt und hatte gesehen, daß sie zu einer kleinen, verborgenenBucht führten, die tief genug war, daß ein kleines Fahrzeug darin ankern konnte. Er sagte sich, der Kardinal Spada sei, in der Absicht, nichtbemerkt zu werden, in dieserBucht gelandet, habe sein kleines Fahrzeug darin versteckt, die gezeichnete Linie verfolgt und an ihrem Ende seinen Schatz vergraben. In dieser Annahme war Dantes wieder zu dem runden Felsen gelangt. Nur einsbeunruhigte ihn und machte ihn wankend in seiner Vermutung. Wie hatte man ohne gewaltige Kraftanstrengung diesen Felsen, der etwa fünfzig Zentner schwer war, auf die Stelle hinaufbringen können, auf der er jetzt ruhte?
Plötzlich kam Dantes ein Gedanke. Konnte man den Felsen nicht auch von oben heruntergebracht haben? Und er eilte hinaus, um die Stelle des ersten Standortes zu suchen. Er erkannte in der Tatbald, daß der Fels herabgeglitten war und an der Stelle Halt gemacht hatte, wo ihm ein anderer Fels als Untersatz diente. Steine und Kiesel waren sorgfältig wieder so gelegt worden, daß man die vorgenommene Änderung nicht merkte. Pflanzenerde war darauf gedeckt worden. Gras war gewachsen, und Moos hatte sich ausgebreitet. Dantes nahm vorsichtig die Erde weg und erkannte, wie sinnreich die Sache angelegt war. Dann fing er an, mit der Hacke die im Laufe der Zeit dicht gewordene Zwischenmauer anzugreifen.
Nach einer Arbeit von zehn Minuten gabdie Mauer nach, und es entstand ein Loch, durch das man den Arm schieben konnte. Dantes fällte nun einen starken Olivenbaum, steckte ihn in das Loch und machte so einen Hebel daraus; aber der Fels war zu schwer und zu fest durch den unteren Felsen unterlegt, als daß eine menschliche Kraft ihn hätte erschüttern können. Da wurde ihm klar, daß er diese Unterlage selbst angreifen müsse, aber durch welches Mittel? Er schaute spähend umher, und seinBlick fiel auf sein Pulverhorn, das ihm sein Freund Jacopo zurückgelassen hatte; er lächelte: des Pulvers Kraft sollte das Werk verrichten.
Mit Hilfe seiner Hacke grubDantes zwischen dem oberen und unteren Felsen einen Minengang, dann stopfte er ihn mit Pulver voll, fädelte sein Taschentuch aus, rollte es in Salpeter und machte eine Lunte daraus. Sobald die Luntebrannte, entfernte er sich. Die Explosion ließ nicht auf sich warten; der obere Fels wurde einen Augenblick durch die gewaltige Kraft aufgehoben, der untere zersprang in Stücke.
Dantes näherte sich. Nunmehr ohne Stütze, neigte sich der obere Fels gegen den Abgrund. Der unermüdliche Sucher ging um ihn herum, wählte eine von den schwankendsten Stellen, stützte seinen Hebel an eine der Ecken und stemmte sich mit ganzer Kraft gegen den Felsen. Schon wankte dieser, und als Dantes seine Anstrengung verdoppelte, gaber endlich nach, rollte, stürzte nieder und verschwand, im Meer versinkend. Er ließ einen kreisförmigen Platz entblößt undbrachte einen eisernen Ring an den Tag, der mitten in eine Platte von viereckiger Form gelötet war.
Dantes stießbei diesem glänzenden Erfolge einen Schrei der Freude und des Erstaunens aus. Dann steckte er seinen Hebel in den Ring und hobihn kräftig empor. Die Platte öffnete sich, und eine Art von Treppe wurde sichtbar, die sich im Schatten einer immer dunkler werdenden Grotte verlor.
Dantesbliebeine Minute unbeweglich. Dann aber stieg er hinab, ein Lächeln auf den Lippen, und murmelte das letzte Wort der menschlichen Weisheit: Vielleicht…
Aber statt der Finsternis, die er zu finden erwartet hatte, statt einer undurchsichtigen, schlechten Atmosphäre, sah er nur einen Schimmer sanften, bläulichen Tageslichtes. Luft und Licht drangen nicht nur durch die Öffnung, die er gemacht hatte, sondern auch durch Felsspalten des oberenBodens, durch die man das Azur des Himmels erblickte, auf dem die zitternden Zweige der grünen Eichen und die dornigenBrombeerstauden spielten. Nach einem Aufenthalte von ein paar Sekunden, vermochte sein an die Finsternis gewöhnterBlick die entferntesten Winkel der aus glitzerndem Granitbestehenden Höhle zu erforschen. Dantes erinnerte sich des Testaments, das er auswendig wußte: In der entferntesten Ecke der zweiten Öffnung.
Er war aber nur in die erste Grotte gedrungen und mußte nun den Eingang in die zweite suchen. Diese mußte natürlich in das Innere der Insel verlaufen. Er untersuchte die Steinlagen und schlug an eine Wand, von der erbestimmt glaubte, daß sich hinter ihr die zweite Höhlebefinde. Die Hacke entlockte dem Felsen einen matten Ton. Endlich kam es dembeharrlichen Gräber vor, als obein Teil der Granitmauer ein dumpferes, tieferes Echo gebe. Er näherte seinen glühendenBlick der Wand und erkannte mit den scharfen Augen des Gefangenen, daß hier eine Öffnung sein mußte. Um sich jedoch keine unnötige Arbeit zu machen, untersuchte er auch die anderen Wände mit seiner Hacke, prüfte denBoden mit dem Schafte seiner Flinte, durchwühlte den Sand an verdächtigen Stellen und kehrte, als er nichts fand, nichts erkannte, zu dem Teile der Wand zurück, der den tröstlichen Ton von sich gab. Hier mußte er wühlen und ging kräftig an die Arbeit. Nach einigen Schlägenbemerkte er, daß die Steine nicht festgemauert, sondern nur übereinander gelegt und mit einem Anwurfbedeckt waren. Edmond steckte das Eisen der Hacke in eine Spalte, drückte auf den Stiel und sah zu seiner großen Freude den Stein wie auf Angeln rollen und zu seinen Füßen fallen. Nun hatte er nur noch jeden Stein mit dem eisernen Zahn der Hacke an sich zu ziehen, und einer nach dem andern rollte zu dem ersten.