Die zweite Grotte war niedriger, düsterer und sah furchtbarer aus als die erste. Die Luft, die nur durch die soeben gemachte Öffnung eindrang, erfüllte schwefliger Geruch, den Dantes zu seinem Erstaunen in der ersten nicht gefunden hatte. Er ließ der äußeren Luft Zeit, diese tote Atmosphäre wieder zubeleben, und trat dann ein. Links von der Öffnung war eine tiefe, finstere Ecke, die jedoch für Dantes' scharfe Augen nicht undurchdringlich war. Er untersuchte die zweite Grotte, aber auch sie war leer wie die erste. Der Schatz mußte also, wenn überhaupt vorhanden, in der düstern Ecke vergraben sein.
Nun ergriff ihn aber die Angst derBangigkeit; er hatte nur noch zwei Fuß Erde zu durchwühlen, und der Erfolg mußte ihm entweder die höchste Freude oder die höchste Verzweiflungbereiten. Unverzüglich griff er zur Hacke und schlug auf denBoden. Beim fünften oder sechsten Hiebe erklang Eisen. Daneben fand er denselben Widerstand, aber nicht denselben Ton. Es ist eine hölzerne Kiste mit eisernen Reifen, sagte er.
In diesem Augenblick zog ein rascher Schatten vorüber. Dantes ließ seine Hacke fallen, ergriff seine Flinte, schlüpfte durch die Öffnung und stürzte hinaus. Eine wilde Ziege warbeim Eingang zur ersten Grotte vorüber gesprungen und weidete einige Schritte davon. Dantes schnitt einen harzigenBaum ab, entzündete ihn an dem noch rauchenden Feuer, an dem die Schmuggler ihr Frühstückbereitet hatten, und kehrte mit dieser Fackel zurück. Er näherte die Fackel der Ecke und erkannte, daß er sich nicht getäuscht hatte. Seine Streiche hatten abwechselnd das Eisen und das Holz getroffen. Er steckte nun seine Fackel in die Erde und ging wieder ans Werk. In einem Augenblicke war eine drei Fuß lange und etwa zwei Fußbreite Stelle frei, und Dantes vermochte eine Kiste zu erkennen, die mit Reifen von ziseliertem Eisen umlegt war. In der Mitte des Deckels glänzte auf silberner Platte das Wappen der Familie Spada, ein pfahlartig auf ovalem Wappenschild ruhendes Schwert und darüber ein Kardinalshut.
Im Augenblick war die ganze Umgebung der Kiste abgeräumt, und Dantes sah nach und nach das mittlere Schloß, das zwischen zwei Vorlegschlössern angebracht war, und diebeiden Griffe an der Seite erscheinen. Er faßte die Kiste an den Griffen und suchte sie aufzuheben; es war unmöglich. Er wollte sie öffnen, aber die Schlösser waren geschlossen und schienen als getreue Wächter ihren Schatz nicht herausgeben zu wollen. Er schobdie schneidende Seite seiner Hacke zwischen die Kiste und den Deckel, drückte auf den Stiel, und der Deckel krachte und zersprang.
Ein schwindelartiges Fieber ergriff Dantes, er nahm seine Flinte und stellte sie mit gespanntem Hahn neben sich. Anfangs schloß er die Augen, wie es Kinder tun, um in der funkelnden Nacht ihrer Einbildungskraft mehr Sterne zu sehen, als sie am gestirnten Himmel zählen können, dann öffnete er sie wieder undbliebgeblendet.
Drei Abteilungen enthielt die Kiste; in der ersten glänzten die Goldtaler mit ihren rötlichgelben Reflexen, in der zweitenbefanden sich in guter Ordnung aufgereihte, aber schlecht geglättete Goldstangen, aus der dritten endlich, die halbvoll war, zog Dantes handvollweise Diamanten, Perlen, Rubine heraus. Nachdem erberührt, betastet, seinebebenden Hände in Gold und Edelsteinen gebadet hatte, erhober sich wieder und lief durch die Höhlen, vor Erregung zitternd, wie ein Mensch, der dem Wahnsinne nahe ist. Er sprang auf einen Felsen, von wo er das Meer überschauen konnte, und sah nichts; er war allein, ganz allein mit diesen unberechenbaren, unerhörten, fabelhaften Reichtümern, die ihm gehörten. Er war ungewiß, ober wache oder träume. War es ein flüchtiger Traum, oder umfaßte er die Wirklichkeit?
Er mußte sein Gold wiedersehen, und dennoch fühlte er, daß er in dieser Minute nicht die Kraft hatte, seinen Anblick zu ertragen. Er drückte einen Augenblickbeide Hände an den Kopf, als wollte er die Vernunft nicht entfliehen lassen; dann stürzte er durch die Insel, ohne einerbestimmten Richtung zu folgen, scheuchte die wilden Ziegen auf und erschreckte die Seevögel durch sein Geschrei und seine heftigen Gebärden. Endlich kehrte er noch zweifelnd auf einem Umwege zurück, eilte von der ersten Grotte in die zweite undbefand sich wieder im Angesichte der ungeheuren Gold- und Diamantenmine. Diesmal fiel er auf die Knie, preßte seine Hände krampfhaft an sein springendes Herz und murmelte ein für Gott allein verständliches Gebet. Bald fühlte er sich ruhiger und folglich auch glücklicher, denn jetzt erst fing er an, an sein Glück zu glauben.
Erbegann, sein Vermögen zu zählen; er fand tausend Goldstangen, jede von zweibis drei Pfund; dann häufte er fünfundzwanzigtausend Goldtaler auf, je im Werte von etwa achtzig Franken und alle mit demBildnis Papst Alexanders VI. und seiner Vorgänger, und erbemerkte, daß das Fach nur halbleer war; endlich maß er zweimal die Weite seinerbeiden Hände in Perlen, in Edelsteinen, in Diamanten, von denen viele, von denbesten Goldschmieden ihrer Zeit gefaßt, abgesehen von ihrem Preise an sich, einenbesonderen Wert durch die Arbeitbesaßen.
Dantes sah den Tag sich neigen und allmählich erlöschen. Erbefürchtete, überrascht zu werden, wenn er in der Höhlebliebe, und ging, seine Flinte in der Hand, hinaus. Ein Stück Zwieback und einige Schluck Wein waren sein Abendbrot. Dann setzte er den Stein wieder an seine Stelle, legte sich darauf und schlief, mit seinem Leibe den Eingang der Höhlebedeckend, nur wenige Stunden.
Der Unbekannte
Der Tag, den Dantes längst mit offenen Augen erwartet hatte, erschien endlich. Bei seinen ersten Strahlen erhober sich und stieg, wie am Tage vorher, auf den höchsten Felsen der Insel, um die Gegend zu erforschen. Es war alles öde, wie am Tage vorher.
Edmond stieg wieder hinab, hobden Stein auf, füllte seine Taschen mit Edelsteinen, brachte, so gut er konnte, dieBretter undBeschläge der Kiste wieder an ihre Stelle, bedeckte sie mit Erde, stampfte diese Erde ein, warf Sand darauf, um die frisch umgewühlte Stelle dem übrigenBoden gleichzumachen. Dann trat er aus der Grotte hervor, legte die Platte wieder auf, häufte auf die Platte Steine von verschiedener Größe, stopfte Erde in die Zwischenräume, pflanzte in diese Myrten und Heidekraut, bedeckte die neuen Pflanzungen, damit sie wie alte aussähen, mit Staub, verwischte die Spuren seiner ringsum sichtbaren Tritte und erwartete mit Ungeduld die Rückkehr seiner Gefährten. Denn jetzt galt es nicht mehr, seine Zeit mitBeschauung dieses Goldes und dieser Diamanten hinzubringen und, wie ein unnütze Schätze hütender Drache, auf der Insel Monte Christo zu verweilen; er mußte ins Leben, unter die Menschen zurückkehren und in der Gesellschaft den Rang, den Einfluß, die Gewalt erlangen, die in der Welt der Reichtum verleiht, die erste und größte der Kräfte, worüber der Mensch zu verfügen hat.
Am sechsten Tage kehrten die Schmuggler zurück; Dantes schleppte sich zum Hafen wie der verwundete Philoktet, und als seine Gefährten landeten, sagte er ihnen, immer noch klagend, es sei eine merklicheBesserung in seinem Zustande eingetreten; dann hörte er seinerseits die Erzählung der Abenteurer an. Die Fahrt war im ganzen nicht schlecht gewesen, und alle, besonders Jacopo, beklagten, daß Dantes nicht mitgemacht habe, und darum seines auf fünfzig Piaster sichbelaufenden Anteils am Nutzen verlustig gehe. Edmond verriet sich durch keine Miene, er lächelte nicht einmalbei der Aufzählung der Vorteile, die ihm zugeflossen wären, wenn er die Insel hätte verlassen können. Da die Amalie nur nach Monte Christo gekommen war, um ihn abzuholen, so schiffte er sich ein und folgte dem Patron nach Livorno, wo er sich, da seine Dienstzeit abgelaufen war, von dem alten Seemann verabschiedete. In Livorno ging er zu einem Juden und verkaufte für hunderttausend Franken vier von seinen kleinsten Diamanten. Der Jude hätte sich erkundigen können, wie ein Fischer zu solchen Wertgegenständen komme, aber er hütete sich wohl, denn er gewann an jedem Stein mehrere tausend Franken. Am andern Tage kaufte er eine ganz neueBarke und schenkte sie Jacopo, dem er außerdem noch hundert Piaster gab, damit er sich Leute anwerben könne, alles unter derBedingung, daß Jacopo nach Marseille ginge und dort über einen Greis, namens Louis Dantes, der in den Allées de Meillan wohnte, und über ein Mädchen in dem Dorfe der Katalonier, namens Mercedes, Erkundigungen einzöge.